Sie wartete noch genau fünf Minuten. Dann sahen wir, wie eine winzige Lichtkugel aus der Killer herausschoß - eine Tiefsee-Rakete, die uns wie ein Pfeil entgegenjagte. Sekunden später erschütterte wieder ein dumpfer Aufprall die Kuppel.
Aber noch vorher war Gideon zur Kanone gerannt. Mit einer Hand stellte er den Mikrosonarschirm nach, die andere hatte er am Auslöser. Ich sah, wie er den Knopf drückte ...
Erst klopfte ein Stakkato, dann hüpfte der Kanonenlauf ein halbes Dutzendmal ein paar Millimeter, als Gideon eine Salve von sechs Geschossen auf die Killer abfeuerte. Sechsmal flammte der Schirm auf, als die Geschosse in einer raschen Folge von Druckwellen explodierten.
Als der Schirm wieder klar wurde, hing die Killer Whale noch immer da, umgeben von einer Herde kreisender Saurier.
Gideon nickte. »Natürlich außerhalb unserer Reichweite. Aber das trifft für uns ebenso zu, obwohl sie auf dem Kreuzer die bessere Waffe haben. Aber wir können hoffen, sie uns auf Armeslänge vom Leib halten zu können . Jim und David, wollt ihr für mich nachladen? Ich will nicht vom Auslöser weggehen, falls Trencher mit seinen Leuten ganz schnell zupacken will.«
Wir arbeiteten blitzschnell. Die Granaten waren sauber aufgereiht in ihren Regalen um die Kanone herum, und wir füllten die Kammer, von wo aus sie der automatische Lademechanismus weiterbeförderte. Unser Vorrat war nicht sehr eindrucksvoll.
»Ist zu wenig«, bemerkte David. »Gideon, kannst du ein paar Minuten hier allein bleiben? Ich gehe mit David ins Lager und hole frische Granaten herauf.«
»Ist schon in Ordnung. Aber bleibt nicht zu lange aus. Ich habe so das Gefühl, wir brauchen in den nächsten paar Minuten jede Granate, die wir bekommen können.«
Der Angriff kam aber nicht. David und ich organisierten einen Arbeitstrupp. Bob, Laddy und Roger brachten die schlanken Granaten aus dem Lager ganz unten in der Kuppel, und wir trugen sie nach oben. Jeder konnte jedesmal drei Stück tragen. Jeder von uns machte zwei- oder dreimal den Weg.
Aber der Angriff kam noch immer nicht.
David und Bob kamen dann schließlich aus dem Lager mit je einer Granate. Davids Gesicht war aschfahl. »Sie sind alle verschwunden. Das war noch da. Die Amphibianer ließen nur noch ein paar Granaten zurück. Das ganze Arsenal haben sie sonst ausgeräumt, als sie gegen meinen Vater revoltierten.«
Wir zählten schnell durch. Es waren ungefähr fünfundsiebzig Stück, nicht mehr. Und bei jedem Abschuß gingen sechs Granaten hinaus!
In der Instrumentenkammer hielten wir einen kurzen Kriegsrat. Auf den Schirmen an den Wänden sahen wir den ganzen Seegrund um uns herum.
Die Killer Whale hing noch immer da, drohend und wartend. In unregelmäßigen Abständen feuerten sie einen Schuß ab, aber keiner hatte bisher Schaden angerichtet, also ignorierten wir das Geballer. Und die Saurier waren noch alle da.
»Das ist jetzt der Beginn ihrer Brutzeit«, sagte David. »Seit Millionen von Jahren, glaube ich. Das ist ein seltsames Ritual, mit dem sie sich aufpeitschen. Ich habe es schon oft gesehen. Stundenlang machen sie das, und dann wird einer hinaufsteigen zu den Höhlen, wo sie ihre Eier ablegen. Die anderen folgen dann .«
Er schloß die Augen, und ich konnte mir gut vorstellen, was er vor sich sah: eine Horde von Sauriern, viele hundert, die den Hang heraufstürmten, an der Kuppel vorbei ... Und Joe Trencher in der Killer Whale, von wo aus er sie dirigierte, direkt zur Kuppel, die er mit Raketen beschoß .
Sicher, die Edenit-Kuppel war stark, aber jedes von diesen Biestern war von fast Walgröße! Zwanzig oder dreißig Tonnen Fleisch, multipliziert mit zwei- oder dreihundert ... Und schließlich kam die Widerstandskraft des Edenit-Films von der Energie, die von empfindlichen elektronischen Geräten erzeugt und gesteuert wurde. Wenn für einen Sekundenbruchteil die Stromversorgung ausfiele ...
... dann wäre innerhalb weniger Sekunden die Kuppel plattgedrückt ... Und wir wären es auch.
Bob Eskow rieb sich die Stirn und stand auf. »David«, sagte er, »das wär’s. Die Kanone kann die Saurier vielleicht aufhalten, aber mit Hunderten von Sauriern und nur fünfundsiebzig Granaten können wir die Sache auch gleich sein lassen. Mit unserer Kanone bekommen wir die Killer Whale nie. Sie bleibt außerhalb unserer Reichweite. Es gibt also nur eine Möglichkeit.«
»Er hat recht, David«, warf ich ein. »Es liegt nun an dir. Ihr müßt Frieden schließen mit den Amphibianern.«
Er lachte scharf. »Frieden schließen? Wenn ich das nur könnte! Aber versteht ihr denn nicht? Das könnte doch nur mein Vater tun. Aber er ist oft nicht mehr ganz da. Das habt ihr ja selbst gesehen. Die Amphibianer sind nicht an unsere Welt gewöhnt. Sie verstehen, daß sie einen Führer brauchen, und dieser Führer ist Joe Trencher. Der hat sich einmal unter die Herrschaft meines Vaters gebeugt. Ich sage nicht, daß mein Vater immer recht hatte. Er war ein sehr strenger Mann. Vielleicht war sein Geist immer ein wenig ... einseitig. Es wäre kein Wunder bei all dem, was er hinter sich hat! Nun, er mag zu streng, zu unnachgiebig gewesen sein. Deshalb hat sich Joe Trenchers Volk gegen ihn gewandt.
Sie respektieren meinen Vater aber noch immer, auch wenn sie gegen ihn kämpfen. Wenn er Frieden zu schließen versuchte, könnte es vielleicht gelingen. Das wird er aber nie tun. Sein Verstand wird diese Möglichkeit nie akzeptieren.«
»David«, sagte ich, einer plötzlichen Eingebung folgend, »das muß doch früher schon einmal passiert sein. Ich meine nicht die Rebellion der Amphibianer, sondern die Brutzeit der Saurier. Was habt ihr da früher getan, um sie an der Beschädigung der Kuppel zu hindern?«
David hob die Schultern. »Die Amphibianer haben sie zu Herden zusammengetrieben. Ein paar Dutzend stationierten wir vor der Kuppel mit Flugleuchten und Gongs. Unter Wasser pflanzt sich der Schall ausgezeichnet fort, und die Gongs und Flutleuchten hielten sie von der Kuppel fern. Oh, ein paarmal ging es ordentlich knapp her. Mein Vater hätte die Kuppel nicht an dieser Stelle bauen sollen. Aber er ist sehr dickköpfig. Ohne die Hilfe der Amphibianer, und wenn sie uns sogar gleichzeitig angreifen - es ist hoffnungslos.«
Für weitere Überlegungen hatten wir jetzt keine Zeit mehr, denn kurz nacheinander schlugen drei Raketen ein. Hoch über uns schoß Gideon zurück.
Wir beobachteten die Schirme. Die Saurierherde war nicht mehr ein ungeordneter Haufen; einige kamen auf die Kuppel zu, andere folgten.
Und die schimmernde Killer Whale kam mit ihnen und schoß, während sie heranlief.
19. Wilde Jagd der Tiefsee
Die ganze Kuppel bebte von dem nun fast ununterbrochenen Beschuß.
Gideon erwiderte das Feuer, kühl, verzweifelt - und hoffnungslos. Es gelang ihm wenigstens, in die Saurierherde Verwirrung zu bringen. Die erste Welle dieser Riesentiere hatte er zurückgeschlagen, dann war aber eine zweite Welle gefolgt und an der Kuppel vorbeigestürmt, ihren Laichplätzen entgegen. Unsere kleinen Granaten hatten sie doch demoralisiert.
Einen dritten und vierten Angriff hatte Gideon umleiten können. Ich hatte aber mitgezählt und wußte, daß unsere Munition fast zu Ende war. Mir tat Gideon unendlich leid. Dieser Kampf ging ihn nichts an. Ich hatte mich selbst hineingebracht, aber nun gab ich mir seinetwegen die Schuld. Viel Zeit für diese Gedanken hatte ich jedoch nicht. Wir mußten handeln.
David hatte eine verzweifelte Idee: Wir konnten die kleinen Sauerstoffbehälter in unseren Druckanzügen aufladen, auch die Batterien, soviel sie nur aufnehmen mochten und versuchen, mit Lichtern und Gongs hinauszugehen, um die Saurier vielleicht von der Kuppel abzulenken.