Seine linke Hand streifte etwas Pelziges.
Tanis sah hoch, und ihm stockte der Atem. Genau neben seiner Hand hockte eine mehr als faustgroße, giftige Moorspinne auf dem Ast. Er versuchte sein Gewicht nach rechts zu verlagern. Die Bewegung zog ihn eine Handbreit tiefer in den Treibsand, und das purpurrote Tier folgte ihm den Ast entlang.
»Kit!« rief er.
Die Kämpferin sah zu ihm hin, schnitt eine Grimasse und setzte ihre Angriffe gegen das Irrlicht mit doppelter Wucht fort. Aber das Luftwesen wich aus und blieb genau über dem Ast stehen, an dem der Halbelf hing.
»Deine Angst läßt das Irrlicht wachsen, Tanis!« schrie Kitiara. »Gib ihm nichts mehr!«
Die purpurrote Spinne streckte ein Bein vor und streichelte Tanis’ kleinen Finger. »Vallenholzbäume«, murmelte der Halbelf vor sich hin.
»Solace«, ergänzte Kitiara. »Hängebrücken, Gewürzkartoffeln und Bier im Gasthaus ›Zur Letzten Bleibe‹.«
Das Irrlicht schwebte nach unten. Die Giftspinne setzte ein Bein, dann noch eins auf Tanis’ Hand. Die winzigen Klauen am Ende der Beine pieksten die Hand des Halbelfen. Er wagte keine Bewegung, versuchte, nicht an die Giftdrüsen der Spinne zu denken, doch die Farbe des Irrlichts wurde kräftiger und glühte auf.
»Flint Feuerschmied«, stammelte Tanis verzweifelt. »Gewürzkartoffeln.«
Kitiara faßte ihren Dolch jetzt an der Klinge. Nur einen Fuß über Tanis hielt das Irrlicht still, es konzentrierte sich offenbar auf den Halbelfen. Kitiara blinzelte, zielte und warf dann mit einer schnellen Bewegung den Dolch. »Tanis! Laß los!« schrie sie gleichzeitig. Gefolgt von der Spinne plumpste Tanis in den Treibsand.
Kitiaras Dolch zischte genau durch die Stelle, wo Tanis gehangen hatte, und mitten in das Irrlicht hinein.
Die Luft zitterte von der Wucht der Explosion. Diesmal war das Wesen endgültig verschwunden.
3
Komplikationen
»Erstaunlich, was ein Bad und saubere Kleider aus einem Mann machen können«, stellte Kitiara am nächsten Tag fest, während sie und der Halbelf über den Markt von Haven schlenderten, der vor Menschen nur so wimmelte. »Halbelf, du hast wenig Ähnlichkeit mit dem schleimigen Ding, das ich aus dem Treibsand gezogen habe. Paladin hat dich kaum erkannt – nachdem wir ihn endlich wiedergefunden hatten.«
Tanis lächelte. »Die Pferde futtern Hafer im Mietstall und könnten einen Tag Pause vertragen. Wir können den Schatz des Irrlichts ausgeben und in Ruhe den sonnigen Tag genießen.« Er legte den Kopf schief. »Darf ich Euch zum Frühstück einladen, Kitiara Uth Matar.«
Kitiara willigte mit vornehmem Nicken ein. Sie hatten bereits in ihrem Zimmer in den »Sieben Zentauren« gegessen, doch jetzt, gegen Mittag, meldeten sich ihre Mägen schon wieder. »Das muß daran liegen, daß wir uns wochenlang von diesen furchtbaren elfischen eisernen Rationen ernährt haben«, meinte sie dazu und blieb stehen, um die Auslage eines Marktstands zu bewundern – auf Blechen brutzelte duftendes Wildbret mit Zwiebeln und Eiern. »Ich würde alles essen, außer noch mehr Quith-Pa von den Elfen. Trockenfrüchte, puh!« Sie wollte schon einen Teller von dem gebratenen Fleisch bestellen, als ihr Blick auf ein Tablett mit Cremeschnitten fiel, die mit Erdbeerzuckerguß überzogen waren. Wie hypnotisiert hielt sie inne. »Immer diese Entscheidungen«, murmelte sie glücklich.
»Wir nehmen einen Teller Fleisch und zwei von diesen Zuckerkuchen«, sagte Tanis dem Verkäufer, während Kitiara noch schwankte. »Damit du dem Mann nicht alles vollsabberst«, meinte er zu der Kämpferin, die seinen Spott gutgelaunt hinnahm.
Eine Zeitlang aßen sie schweigend, während der Halbelf und die Söldnerin durch die bevölkerten Gassen schlenderten. Kitiara in ihrem kurzen, geschlitzten, schwarzen Lederrock mit der weiten Bluse aus eierschalenfarbenem Leinen zog viele bewundernde Blicke von Passanten auf sich, die sie unbekümmert hinnahm. Tanis hingegen trug eine schlotternde, geraffte, dunkelbraune Hose und ein passendes Baumwollhemd dazu. Beides hatte er sich von dem beleibten Wirt in den »Sieben Zentauren« geliehen. Das Hemd bauschte sich auf, wenn der schlanke Halbelf sich bewegte.
Kitiara musterte ihn wieder. »Wir müssen neue Kleider für dich finden, Halbelf, denn deine Ledersachen sind hin. Ich kenne dich nur in der Kleidung der Steppenvölker; die steht dir besser als die Sachen dieser fetten Stadtmenschen.«
Da er größer war als Kitiara, hatte Tanis den besseren Überblick und schob ihr zur Antwort eine Hand unter den Arm, um sie durch die Menge zu ziehen. »Ich weiß auch genau, wo«, sagte er.
Vor einem großen Wagen, der auf der Rückseite offen war, über dem Fahrersitz jedoch ein muschelartiges Verdeck hatte, blieb der Halbelf stehen. Der Wagen war so kopflastig, daß er von vier Maultieren gezogen werden mußte, wie Kitiara feststellte. Auf dem bändergeschmückten Gefährt stand ein Hügelzwerg, dessen rostroter Bart sich bis zu seiner Gürtelschnalle hinunter lockte. Er trug waldgrüne Kleider und abgestoßene, braune Lederstiefel, die er wahrscheinlich schon Jahrzehnte an den Füßen hatte.
Tanis und Kitiara warteten, während der Zwerg noch eine Kundin bediente, eine laute Frau, die sich nicht zwischen einem Haarschmuck aus Perlen und Platin und einem Perlmuttkamm entscheiden konnte. »Wie alt schätzt du diesen Zwerg?« fragte Kitiara beiläufig.
Tanis überlegte. »Flint ist fast hundertfünfzig, und dieser Zwerg da sieht jünger aus als Flint. Ich würde sagen, er dürfte um die hundert sein. Etwa zehn Jahre älter als ich.«
Kitiara brauste auf. »Ich gebe mich mit einem Mann ab, der schon uralt war, als ich zur Welt gekommen bin?«
Als Tanis nickte und murmelte: »Nach Menschenjahren schon, ja«, schnaubte sie.
»Macht dir das was aus?« fragte er.
Kitiara lachte. »Nein«, gab sie zu. »Schließlich wollen wir doch nicht heiraten oder so.«
Die Frau entschied sich für den Kamm und den Haarschmuck, und der Zwerg, dem der Wagen gehörte, kam gemächlich zu Tanis und Kitiara herübergeschlendert. »Was wollt ihr denn?« raunzte er den Halbelfen und die Kämpferin an.
Kitiara schien sich über die Unhöflichkeit des Zwergs zu ärgern, aber Tanis, der Flints unwirsche Art gewöhnt war, lächelte nur. Barschheit war unter Hügelzwergen keine Seltenheit. »Wir suchen Kleidung für mich und einen Dolch für die Dame«, sagte der Halbelf.
Der Zwerg musterte betont Tanis’ schlecht sitzende Sachen. »Wollt also nicht mehr den fahrenden Sänger mimen, was?«
Kitiara wurde wütend, doch Tanis legte ihr beruhigend die Hand auf den Arm. Die sicherste Art, einen Hügelzwerg zu ärgern – zumindest galt das für Flint Feuerschmied –, war, sein Schelten zu ignorieren.
»Handelt Ihr mit dem Volk aus den Ebenen?« fragte der Halbelf.
»Ich handle mit jedem«, sagte der Zwerg mürrisch, »und alle versuchen mich zu übervorteilen. Die Menschen aus den Ebenen, die Gnome, sogar andere Zwerge. Man könnte meinen, ich hätte Geld wie Heu, so versuchen sie mich zu betrügen.«
»Ich brauche eine Lederhose und ein Lederhemd«, warf Tanis ein.
»Mit Fransen, was?« jammerte der Zwerg. »Alle Welt will Fransen. Verdammter Plunder. Wozu in ganz Ansalon sollen Fransen gut sein, frage ich Euch?«
Tanis lächelte freundlich, während Kitiara kochte. Ihre Brauen waren über den funkelnden Augen zusammengezogen. »Fransen wären schön«, sagte Tanis, »müssen aber nicht sein«, der Halbelf machte eine vielsagende Pause, »wenn Ihr nichts mit Fransen habt.«
Der Zwerg plusterte sich auf. »Klar hab’ ich was! Was denkst du eigentlich, was für’n billigen Laden ich hier führ’, Halbelf?«
Kitiara zog ihren Arm von Tanis weg und zeigte auf den Zwerg. Ihre Stimme bebte. »Hör mal, alter Zwerg, sollen wir unser Geld lieber woanders ausgeben?«