»Du guckst auf die Bühne, als wenn du auch gern da oben stehen würdest«, neckte ihn Kitiara.
Tanis deutete mit dem Kopf auf die Familie. »Musik. Das ist ein Unterschied zwischen Elfen und Menschen.«
Als Kitiara die Augenbrauen hochzog, fuhr der Halbelf fort: »In Qualinost geht man davon aus, daß jedes Kind ein Instrument lernt. Bei Sonnenuntergang versammeln sich die Elfen oft einfach im Himmelssaal und machen Musik.«
»Und?« fragte Kitiara. »Menschen mögen auch Musik.« Tanis runzelte die Stirn. »Aber Menschen sehen darin etwas, was nur Musikanten machen. Ich kenne nicht viele Menschen, die selbst Musik machen. Sie kommen zu Orten wie diesem.« Er machte eine umfassende Geste. Der Hof füllte sich allmählich. Sie hatten sich ans Ende einer Bank gesetzt – Kitiara war nicht gern mitten in einer Menge gefangen –, so daß die Zuschauer sich auf dem Weg zu den letzten freien Plätzen immer wieder an ihnen vorbeischoben.
»Was spielst denn du, Halbelf?« fragte Kitiara.
»Psalter, Zither…«
»Und das ist?«
»Der Psalter ist eine Art Zimbal«, erläuterte Tanis. »Die Zither ist wie eine Laute. Ich habe auch andere Instrumente ausprobiert, aber ich beherrsche sie nicht besonders gut, auch wenn ich Spaß daran habe. Flint schickt mich zum Üben nach draußen.« Er sah Kitiara an. »Spielst du ein Instrument, Kit?«
Sie verzog die Oberlippe. »Mein Instrument ist das Schwert. Aber ich kann es so singen lassen, daß alles, was diese armselige Truppe spielen kann, nichts ist.« Sie wies auf die Bühne, wo die Familie leise eine flotte, sich aber endlos wiederholende Melodie anstimmte, mit der sie sich einsangen. »Und mein Schwert ist viel wirksamer gegen Hobgoblins.«
Kitiaras Ausführungen wurden von der Frau unterbrochen, die von der Bühne aus das Publikum begrüßte. Ihre Stimme war rauchig und leise. Sie sah zu ihrem Mann zurück, der bei den Trommeln und dem Gong wartete, und zu den Kindern, die mit Flöten und Klavichord bereitstanden. Dann blickte sie wieder die Zuschauer an und begann zu singen.»Ein schönes Mädchen in Daltigod
das weinte einst für sich allein,
verschmäht von seinem Liebsten…«Ihre Stimme war so frisch wie der Frühling, und der behäbige Mann neben Tanis erschauerte. »Das schöne Mädchen von Daltigod«, sagte der Mann gedämpft. »Mein Lieblingslied.«
Das Publikum kam zur Ruhe. Die Dämmerung war abendlicher Dunkelheit gewichen. Über dem Hof stand hoch oben Solinari, und Lunitari, der rote Mond, ging bald auf. Die Fackeln zwangen die Aufmerksamkeit auf die Bühne, doch der Halbelf konnte erkennen, wie einige Zuschauer durch Bogentüren in die Taverne gingen und mit schäumenden Bierkrügen zurückkehrten. Auch Kit hatte das offensichtlich bemerkt. »Möchtest du ein Bier?« fragte sie.
Kaum hatte Tanis genickt, da war die Kriegerin auch schon auf dem Weg in die Taverne nebenan. Plötzlich versperrte ihr ein muskulöser Mann mit schwarzen Haaren, schwarzen Augen und einem entschlossenen Gesichtsausdruck den Weg. Er trug glänzende schwarze Hosen und Stiefel, ein weißes Hemd und einen roten Umhang. Selbstbewußt baute er sich vor Kit auf. »Kitiara Uth Matar!« sagte der Mann ruhig.
»Caven Mackid!« erwiderte sie kühl. Sie stellte Tanis den Mann nicht vor, obwohl dieser sich schweigend erhoben hatte und zu ihnen kam. Neben den Halbelfen stellte sich ein schlanker Junge mit smaragdgrünen Augen, der neugierig zusah.
Caven sah weder nach rechts noch nach links. »Du hältst wohl nicht viel von geraden Wegen, Frau«, sagte er. »Ich habe eine Woche gebraucht, um deine Spur zu finden, und mehr als einen Monat, um dich hier aufzuspüren.« Caven schien Tanis jetzt erst zu bemerken. »Glücklicherweise«, meinte er etwas lauter zu dem Halbelfen, »ist Kitiara die Sorte Frau, die man nicht vergißt, wenn man sie einmal gesehen hat. Wie du bestimmt schon bemerkt hast.« Caven sah wieder Kitiara an. »Ein argwöhnischer Mann könnte meinen, du wolltest ihm aus dem Weg gehen, mein Schatz«, sagte er.
Kitiara richtete sich auf, reichte Caven Mackid aber dennoch nur bis zur Schulter. »Ich bin immer noch deine Vorgesetzte, Soldat. Nimm dich in acht.« Ihr Ton war neckisch, aber in ihren Augen stand keine Wärme.
Das Lied der Barden ging weiter, doch zahlreiche Zuschauer, die spürten, daß sich hier vielleicht ein größeres Schauspiel anbahnte, starrten statt dessen Kitiara und Caven an.
Bei Kitiaras Worten ließ Caven die Hände sinken. Alle Freundlichkeit wich aus seinem Gesicht. Mit einem seltsamen Funkeln in den Augen starrte der große Mann Kitiara an – Ärger, aber noch etwas anderes. Hier lag etwas in der Luft, das der Halbelf nicht greifen konnte, aber er hatte genügend Erfahrung mit Frauen, um zu erkennen, daß Kitiara für diesen Mann einmal mehr gewesen war als seine Vorgesetzte.
»Ich glaube, du hast noch etwas von mir, Hauptmann Uth Matar«, sagte Mackid einschmeichelnd. »Einen Geldbeutel vielleicht? Zweifellos ein Versehen deinerseits, unsere privaten Sachen haben sich da schon ein Weilchen vermischt, wenn ich mich recht erinnere.«
Der schlanke Bursche kicherte. »Kann man wohl sagen«, meinte er mit einem Blick auf Tanis.
»Und wenn ich mich recht erinnere«, fuhr Caven Mackid fort, ohne auf den Jungen zu achten, »bist du ziemlich überstürzt aufgebrochen, mein Schatz – so schnell, daß du nicht einmal eine Nachricht hinterlassen konntest. Bestimmt auf der Flucht vor Ogern. Aber ich gehe doch davon aus, daß du mein Geld sicher aufbewahrt hast und es jetzt dabeihast.«
Der Halbwüchsige beugte sich zu Tanis hin. »Ist abgehauen, als er auf der Jagd war, und hat fast alle seine Ersparnisse mitgehen lassen«, flüsterte er. »Wenn sie einfach nur abgehauen wäre. Das hätte ihm bestimmt nicht viel ausgemacht. Aber beklaut zu werden, das hat Caven gewurmt.«
»Wod!« wies Caven den Jungen nachsichtig zurecht. »Gute Knappen halten vor Fremden den Mund.«
Hinter Kitiara beendeten die fahrenden Sänger die Ballade und begannen einen lebhaften Volkstanz. Die Kriegerin nahm endlich den Halbelfen zur Kenntnis. »Tanis, das ist Caven Mackid, einer meiner Untergebenen bei meinem letzten Einsatz.«
Caven lächelte Tanis beinahe freundlich an, doch seine Worte richteten sich an Kit. »Ein Halbelf, Kitiara? Etwas tief gesunken, nicht wahr?« Sein Knappe lachte wieder höhnisch, doch der Mann brachte ihn mit einem Blick zum Schweigen. Dann sah Caven Kitiara in die Augen. Seine nächsten Worte waren ein Befehclass="underline" »Mein Geld. Jetzt.«
Unbemerkt von den vieren, zog sich seitwärts eine Frau mit dunkelbrauner Haut vorsichtig in die Schatten eines Eingangs zurück. Eine weiche, taubengraue Wollrobe betonte ihre dunklen Gesichtszüge, die so braun waren wie polierte Eiche. Der Blick ihrer blauen Augen mit den überraschend dunklen Pupillen war starr. Ihr glattes, blauschwarzes Haar floß ihr über die Schultern, über die verknitterte Kapuze ihrer Robe und den Rücken.
»Kitiara Uth Matar«, sagte sie leise zu sich selbst. »Und dieser Soldat mit den dunklen Haaren… den kenne ich auch.«
Mit zusammengekniffenen Augen sah sie weiter wortlos aus dem Schatten heraus zu, während ihre schlanken Finger mit den Seidenbeuteln spielten, die an ihrem Gürtel hingen.
4
Zweifacher Schrecken
Selbst das Summen von tausend Moskitos konnte die donnernden Schritte des Monsters und die Nörgeleien seiner zwei Köpfe im Dunkeln nicht übertönen.
»Res heiß!«
»Lacua hungrig.«
»Blödes Viehzeug. Will Schnee. Warum heiß?«
»Frühling. Du dumm.«
Pause. »Res geht jetzt heim.«
»Nein!«
Auf einer kleinen Ebene südlich von Haven sah der dreizehn Fuß große Ettin sich selbst an – keine leichte Aufgabe für ein Wesen mit so kurzen, fetten Hälsen. Die wäßrigen Augen des Ettins waren so winzig wie Schweinsäuglein und im Augenblick vor Zorn blutunterlaufen. Jede seiner schinkengroßen Pranken, die vom Kopf der entsprechenden Körperseite gesteuert wurde, hielt eine Dornenkeule. Der Streit entwickelte sich in einem Mischmasch aus Orkisch, Goblinisch und der Sprache der Riesen.