»Tröpfelchen Torhopser!« rief Kitiara aus. »Das war die Kenderin. Ich weiß es!« Sie stöhnte. »Und meinetwegen ist sie inzwischen wahrscheinlich weit fort von Haven. Beim schattenlosen Abgrund, die kriegen wir nie.«
Caven sprach mit weicher Stimme weiter. »Paß auf, Halbelf. Kitiara wollte heute nacht bestimmt sowieso mit deinem Geld verschwinden. Kitiara Uth Matar darf man nie aus den Augen lassen.«
Plötzlich schrie Kitiara auf. Selbst im gelben Licht der Fackeln an der Tür zum Wirtshaus wirkte ihr Gesicht weiß. »Bei den Göttern, meine Tasche! Wenn diese Kenderin…« Sie fuhr herum und warf den Packsack auf das Kopfsteinpflaster. Den ganzen Tag hatte sie darauf bestanden, ihn mitzuschleppen. Kitiara wühlte in der abgenutzten Tasche herum, schob etwas beiseite und seufzte. »Den Göttern sei Dank.«
»Unser Geld?« fragte Tanis, der Caven Mackid einen triumphierenden Blick zuwarf, als Kitiara die Sachen wieder ordentlich verstaute.
Aber Kitiara schüttelte den Kopf. »Etwas Wertvolleres. Die… Sachen für Raistlin.«
»Hah!« höhnte Caven. »Sie hat dein Geld da drin, Halbelf. Ich guck’ mal nach.« Er näherte sich Kitiara, griff nach ihrem Packsack – und wich sofort vor ihrem neuen Dolch zurück.
»Dein Leben kann dir nicht viel wert sein, Mackid«, knurrte sie, »wenn du so etwas versuchst.«
»Sie hat dein Geld, Halbelf«, widersprach Caven. »Und meins wahrscheinlich auch. Los, sieh nach.«
Tanis streckte die Hand aus. »Laß mich nachsehen, Kit.«
Kitiara starrte Tanis lange mit undurchschaubarem Gesichtsausdruck an. Caven flüsterte: »Laß dich nicht einwickeln, Halbelf. Sie lügt.«
Die Kriegerin, die immer noch Tanis ansah, kam zu einem Entschluß. »Ich zeig’ es dir, Halbelf.« Zu Caven sagte sie über die Schulter: »Aber du kannst zum Abgrund fahren, Mackid.« Kitiara machte die Klappe des Leinenbeutels auf und hielt dem Halbelf die Öffnung hin. »Sieh hinein«, drängte sie.
Nach kurzem Zögern steckte Tanis eine Hand in den Packsack. Seine Finger berührten Kleider, Proviantkrümel von der wochenlangen Reise und ein kurzes Messer in einem Holzetui. Kein Geldbeutel. Er zog die Hand zurück. »Nichts«, sagte er zu Caven.
»Hab’ ich doch gesagt«, sagte Kitiara. Sie schnürte ihren Packsack zusammen und warf ihn über die Schulter.
Einen Augenblick schien Caven zu glauben, Kitiara und Tanis hätten sich gegen ihn verschworen, doch nach einem Blick auf den Halbelfen änderte er augenscheinlich seine Meinung. Mit der Stiefelspitze trat er gegen einen Stein. »Zehn Stahlmünzen«, murmelte er. »Ich folge der Frau einen Monat wegen zehn lumpiger Stahlmünzen, und sie hat das Geld nicht mehr. Und ich habe nur noch eine einzige Stahlmünze übrig.« Er sah hoch. Plötzlich lag in seiner Stimme Hoffnung. »Wieviel Geld habt ihr?«
Tanis und Kitiara sahen einander an. Kitiara schien sich nicht über den abrupten Stimmungsumschwung ihres Söldnerfreunds zu wundern. »Ich bin blank, Mackid. Gib’s auf.«
»Ich habe ein bißchen Kleingeld«, sagte der Halbelf. »Genug zum Abendessen – für Kitiara und mich.« Die letzten paar Worte betonte er.
»Und ich habe eine Stahlmünze«, schloß Caven. »Gehen wir in eine andere Taverne und bereden die Frage bei einem Krug Bier.«
Tanis merkte, daß sein Gesichtsausdruck starr wurde – Flint nannte das seinen ›unglaublich eselhaften Elfenblick‹. »Die Frage?« wiederholte er.
Caven nickte. »Die Frage«, erklärte er, »wie ihr zwei die zehn Stahlmünzen auftreibt, die Kitiara gestohlen hat, weil ich sonst womöglich zur Stadtwache von Haven gehe und euch wegen Diebstahls einsperren lasse.«
Kitiara schrie auf und warf sich mit gezücktem Dolch auf Caven. Sie hätte den Mann um ein Haar durchbohrt, doch Tanis riß sie zurück. Wods begeisterte Blicke waren reinem Hohn gewichen. »Halbelf, laß mich los!« kreischte Kitiara. »Ich mache ihn und auch seinen klapprigen Knappen fertig, das schwöre ich! Mackid will mich ins Gefängnis bringen? Es war mein Geld, sag’ ich dir!«
»Bis du das beweisen kannst, könnte einige Zeit vergehen, Kit«, sagte Caven mit mildem Lächeln. »Wochen, vielleicht Monate – wenn überhaupt. Wie willst du von einer Kerkerzelle in Haven aus etwas beweisen, mein Schatz?«
Kitiara hörte auf, sich zu wehren. Sie dachte über seine Worte nach. Der Ärger schien aus ihrem Körper in die Steine zu ihren Füßen zu sickern. Nach kurzem Zögern ließ Tanis sie los. Die Kriegerin zog ihre Kleider zurecht und marschierte vom »Maskierten Drachen« weg. »Kommt schon, ihr zwei«, rief sie unwirsch über die Schulter.
»Kommt schon?« wiederholte Caven. Er sah von Kitiara zu dem Halbelfen.
»In eine Schenke«, rief sie. »Reden. Du hast uns schließlich eingeladen, Caven.«
Caven Mackid stand reglos da, doch Tanis mußte lachen und lief der Kriegerin hinterher. Nach kurzer Zeit blieb Kitiara dann vor einer rauchigen Bude stehen, aus der Fackelschein drang. Ein handgeschriebenes Schild – mit grausiger Rechtschreibung – war über die Tür genagelt. Darauf stand »Zum Gliklichen Oga« neben einem Bild von einem offensichtlich betrunkenen Oger. »Das hier dürfte zu unserer Unterhaltung passen«, sagte Kit, die die Stufen in die überfüllte Schenke hinunterstieg. Tanis folgte ihr achselzuckend mit Wod, und Caven bildete das Schlußlicht.
Sie fanden einen Tisch, indem sie drei träge Händler aufstehen ließen, die zu betrunken waren, um Einwände zu machen. Der Wirt hatte nichts dagegen einzuwenden, denn die neuen Gäste konnten eindeutig mehr Bier vertragen als das versoffene Trio, das jetzt schnarchend an der Wand lehnte.
Wod sagte nichts, doch Tanis, Caven und Kitiara mußten die Streitereien und gelegentlichen Handgreiflichkeiten im Hintergrund überschreien.
»Wo hattet ihr das Geld her, das der Kender gestohlen hat?« rief Caven, der erst einen, dann noch einen Schluck Bier trank. Inzwischen schien er Kitiara ihre Geschichte über Tröpfelchen Torhopser abzunehmen. Die Kriegerin, die ihre Sätze mit wilden Gesten untermalte, beschrieb kurz, wie sie letzte Nacht mit dem Irrlicht gekämpft hatten. Dann entwarf Caven Ideen, wie sie zu dritt zu Geld kommen könnten. Phantastische Ideen, dachte Tanis gähnend. Doch er hörte höflich zu, als er merkte, daß Kitiara Caven sehr ernst nahm.
Die beiden waren im Nu betrunken, stellte der Halbelf fest. Wortlos betrachtete Tanis seinen unberührten Krug, dann die beiden Söldner. Sie waren ein prächtiges Paar. Kitiara war schlank und muskulös, ihre dunklen Haare durch das ungewöhnlich feuchte Wetter besonders lockig, ihre Augen glänzend – wovon? Vom Alkohol? Neben Caven, dessen Muskeln verrieten, wieviel Zeit er für seinen Körper aufwandte, waren sie und der Halbelf nur Zwerge. Die Menschen hatten beide schwarze Haare, dunkle Augen, bleiche Gesichter – und im Augenblick einen gierigen Ausdruck, denn sie wollten aus ihrem armselig kurzen Menschenleben um jeden Preis herausschlagen, was sie nur konnten.
Caven winkte die Kellnerin heran, ein dickliches, blondes Mädchen mit rosiger Haut und Kuhaugen. Wod, der ein oder zwei Jahre jünger sein mußte als das Mädchen, setzte sich etwas auf und warf ihr einen lüsternen Blick zu, was sie wenig beeindruckte. »Ja?« fragte sie Caven.
»Noch einen Krug Bier.«
»Kannste zahlen?«
Caven sah sie finster an. »Natürlich können wir zahlen.«
»Zeich mir dein Geld.«
Als Caven aufbrausen wollte, sagte das Mädchen: »In so’m Haus gibt’s Gäste, die saufen wollen, aber nich’ zahlen, ja? Ich kenn’ dich nich’. Hast schicke Sachen an, klar, aber die haste vielleicht geklaut. Also zeich mir jetzt dein Geld, ja?«
Caven knallte seine letzte Münze auf den Tisch. Das Mädchen nahm das Geldstück ungerührt in seine dreckigen Finger und prüfte es. »Sieht gut aus«, meinte sie, steckte es ein, nahm den Krug und verschwand. Gleich darauf kam sie zurück und stellte ihnen den frisch gefüllten Krug so unsanft auf den Tisch, daß das Bier über den Tisch schwappte. Wod stand auf und folgte ihr zum Schanktisch.