Wieso lächelst du? Das ist eine ernste Sache. Sie könnten dich suchen.
»Ich lächle, weil du der schönste Vogel bist, den ich je gesehen habe, ganz zu schweigen vom Schönsten, mit dem ich je geredet habe.«
Das klingt, als sei ich ein zahmer Papagei. Und überhaupt solltest du jetzt Gedankenübertragung üben.
Auch wenn Xanthar nörgelte, Kai-lid wußte, wie sehr er das Kompliment genoß. Faul schloß er die Lider über den orangefarbenen Augen und drehte den Kopf, damit Kai-lid die Silhouette seines Schnabels besser sehen konnte. Plötzlich spürte sie ihre Erschöpfung. Sie setzte sich auf den Aststumpf einer Platane dicht über dem Boden.
Du bist müde.
Kai-lid nickte.
Wen hast du gesehen? Sag es mir in Gedankensprache; das ist eine gute Gelegenheit zum Üben.
Kai-lid lehnte sich stöhnend an den Stamm. »Du gibst nie auf, was, Xanthar? Es ist nicht vorgesehen, daß verschiedene Arten sich telepathisch unterhalten.«
Aber ich kann es. Jedenfalls, fügte er hinzu, kann ich es mit dir.
»Du hast besondere Zauberkräfte, Xanthar, die meines Wissens kein anderer deiner Art besitzt.« Sie machte eine Pause. »Es ist so viel einfacher, wenn ich laut rede.«
Typisch Mensch. Immer noch erbost kletterte die Rieseneule vorsichtig vom obersten Zweig zu einem niedrigeren und dann zu einem noch niedrigeren, bis sie nur noch zehn Fuß über Kai-lid thronte. Xanthar beugte sich vor und betrachtete die junge Frau aus sanft leuchtenden Augen. Wen hast du in Haven gesehen?
»Einen Hauptmann von den Söldnertruppen des Valdan – Kitiara Uth Matar. Und noch einen Soldaten. Ich weiß nicht, wie er heißt, aber ich habe ihn bei der Belagerung oft mit dem Hauptmann gesehen. Heute abend war noch ein Halbelf dabei, den ich nicht kenne.«
Xanthar wetzte grimmig seinen Schnabel an seinem Sitzplatz. Ich hätte mitkommen sollen.
»Du weißt, daß das unklug ist.« Rieseneulen erzielten auf dem Markt hohe Preise. Vor Jahren hatte Xanthar seine Frau und seine letzten Jungen an Wilderer verloren. Die großen Vögel taten sich fürs ganze Leben zusammen, und seither lebte Xanthar in und um den Düsterwald ganz allein.
Was hast du jetzt vor? Als Kai-lid fragend nach oben blickte, fuhr die Rieseneule fort: Gehst du nach Haven zurück, um diese Matar und die anderen beiden zu beobachten?
»Das brauche ich nicht.« Kai-lid wußte, was Xanthar als nächstes fragen würde. Sie hielt einfach den Knopf hoch. »Ich kann sie durch Magie beobachten.«
7
Ein Gnom und ein Edelstein
Tanis erwachte noch vor der Dämmerung, denn Kitiara hing auf Knien im Dunkeln würgend über dem leeren Nachttopf. Er rollte sich im Bett herum und sah ihr wortlos zu.
»Entweder du hilfst mir, oder du hörst auf zu glotzen, Halbelf«, sagte Kitiara. Sie setzte sich auf dem Flickenteppich vor dem Bett auf. Die Bewegung ließ sie an ihre Schläfen greifen. »Bei den Göttern, mir tut alles weh.«
»Zuviel Bier.« Tanis verzog die Lippen.
»Spiel nicht den Moralapostel. Ich kann jeden Mann unter den Tisch trinken und am anderen Morgen trotzdem hundert Hobgoblins verprügeln.« Plötzlich stöhnte sie und beugte sich wieder über den Nachttopf. Ihre Haut war klamm und aschfahl.
Tanis schwang nur langsam die Beine aus dem Bett. »Du bist ziemlich spät gekommen.« Er bemühte sich, nicht vorwurfsvoll zu klingen.
Kitiara, die immer noch gebückt kniete, sah mit blutunterlaufenen Augen auf. »Ich dachte, du hättest geschlafen. Jedenfalls mußte ich Caven Mackid abschütteln.«
»Ach?«
»Hol mir eine Decke, ja? Ich friere.«
Tanis rührte sich nicht. »Vielleicht hättest du im Bett etwas anziehen sollen«, sagte er nur lakonisch.
»Und du solltest vielleicht – «
»Mhmmm?«
Kitiara brachte ihren Satz nicht zu Ende. Statt dessen kroch sie wieder ins Bett, nachdem Tanis Platz gemacht hatte. »Bei den Schluchten des Abgrunds, so schlecht ist es mir noch nie gegangen. Vielleicht habe ich mir etwas geholt.« Sie brach stöhnend mit dem Gesicht nach unten auf der Matratze zusammen.
»Und vielleicht wirst du langsam zu alt, um so zu saufen.«
»Das ist ein netter Rat von einem, der über neunzig ist.« Sie griff nach hinten und zog, ohne sich anders hinzulegen, die Daunendecke über ihren Kopf. Die Decke dämpfte ihre Stimme. »Ich habe die Zeit gebraucht, um Caven alle möglichen Lügen aufzutischen, die ihn von unserer Fährte ablenken. Er glaubt, wir schlafen im ›Maskierten Drachen‹, der Einfaltspinsel.«
»Mmhmm.« Tanis tappte zu einem Stuhl an der Tür und zog seine Hosen an.
Kitiara drehte sich mühsam um.
Tanis schlüpfte in sein ledernes Fransenhemd.
»Das heißt…?« Sie versuchte sich aufzusetzen, fiel jedoch mit einem leisen Fluch wieder in die Kissen.
Tanis tastete unter dem Stuhl nach seinen Mokassins. »Das heißt, ich glaube, daß der Ausgang von jenem Farospiel nicht ganz dem Glück überlassen war. Das heißt, ich glaube, daß Hauptmann Kitiara Uth Matar unter gewissen Umständen durchaus dazu fähig ist, die Ersparnisse eines Mannes ›an sich zu nehmen‹ und zu verschwinden.«
Kitiara wechselte das Thema. »Wo gehst du hin, Halbelf?«
»Zum Küchenjungen, damit er dir einen Tee und etwas zu essen bringt. Und dann werde ich in Haven Spazierengehen und überlegen, wie wir zehn Stahlmünzen verdienen können, um Caven Mackid auszuzahlen.«
Auf Kitiaras Gesicht zeichnete sich Entsetzen ab. »Ihn auszahlen?«
»Mit meinen über neunzig Jahren weiß ich immerhin«, sagte er gelassen, »daß es keine gute Idee ist, Schulden nicht zurückzuzahlen. Sie verfolgen einen ewig.«
»Du verdammter Moralist.« Immerhin lächelte Kitiara, obwohl sie die Arme vor der nackten Brust verschränkt hatte.
»Außerdem«, fuhr er fort, »wenn wir Mackid bezahlen, dann sind wir ihn los und können nach Solace weiterreiten.«
Dann ging er hinaus.
Auf seinem Weg nach draußen machte Tanis in der Küche halt, wo er den Küchenjungen dösend vorfand. Der Junge sprang auf, als der Halbelf den Raum betrat. »Was wünscht der Herr?« Sein sandfarbenes Haar war ungekämmt, die braunen Augen voller Schlaf.
»Hast du schon Tee gekocht?«
Der Junge nickte und zeigte auf einen dampfenden Topf auf dem Kaminsims. Neben dem Topf lehnte eine Scheibe Brot. »Einmal. Für die Herrin – die Frau vom Wirt. Kriegt bald ein Kind und kommt ohne Tee und trockenen Toast nich’ hoch. Und«, fügte er hinzu, als würde ihm ein alter Kummer wieder hochkommen, »es muß Winterbeerentee mit Hagebutte und Pfefferminz sein. Sagt, eine Kräuterfrau hat ihr erzählt, daß das gut fürs Baby ist, aber ich glaube, sie mag es einfach, wenn sich alle wegen ihr so viel Arbeit machen. Aber, um die Wahrheit zu sagen, wenn sie das trinkt, muß sie sich nicht mehr übergeben, also ist es vielleicht…«
Tanis, dem Bilder von Wod im Kopf herumtanzten, unterbrach den Monolog. »Bring was davon in mein Zimmer, ja? Und auch Toast.«
Der Junge schickte sich an, heißes Wasser aus einem Kessel zu schöpfen, der auf einem Eisengestell über dem Feuer stand. Er füllte es in einen zweiten Topf neben dem, der schon auf dem Kaminsims dampfte. »Habt ’ne Dame dabei, was? Eine Tasse oder zwei?«
»Nur eine. Ich gehe raus.« Tanis gab dem Jungen eine von den wenigen Münzen, die ihm geblieben waren. »Oh, und noch was.«
»Hm?«
»Sorg dafür, daß die Dame erfährt, daß der Tee besonders gut für Schwangere ist, aber sag’s ihr erst, wenn sie einen ordentlichen Schluck getrunken hat.«