Tanis ging einen Schritt auf den Gnom zu. »Schwätzer…« Der Gnom schien ihn nicht zu hören. Immer mehr Funken sprühten aus dem Ende des Horns. Das Quietschen wurde zu Rattern, dieses wiederum zu klapperndem Geschepper. Metallstückchen wurden von der Maschine abgerüttelt. Licht und Rauch quollen aus den immer größeren Lücken zwischen den Teilen. Tanis rannte los und schloß die Läden. Es wurde dunkel um sie herum, doch die Maschine bebte und zuckte weiter. »Ausschalten!« schrie er dem Gnom zu. »Das…« Schwätzer versagte die Stimme, »… das geht nicht.«
Tanis schlang einen Arm um den dicken Bauch des Gnoms und schoß durch die offene Tür ins Freie. Schwätzer wehrte sich heftig dagegen. »Halbelf, ich muß sehen, was pass-«
Tanis war gerade auf der Straße, als die Maschine und dann der Stall in tausend brennende Einzelteile zerbarsten. Holzsplitter und Metallspäne regneten auf die fliehenden Zuschauer herunter. Tanis warf Schwätzer Sonnenrad unter einen Karren und kroch sofort hinterher. Keuchend saßen sie da, während aus den umliegenden Häusern Dutzende ziemlich spärlich bekleideter Menschen rannten, um eine Eimerkette zwischen dem Brandherd und dem Stadtbrunnen zu bilden. Der Halbelf überprüfte kurz, ob sie keine schlimmeren Verletzungen als kleine Beulen und Kratzer davongetragen hatten.
»Es muß der tangentielle Hydroencephalator gewesen sein, wenn ich’s mir recht überlege«, sagte Schwätzer. »Unangemessene Wasserfiltration gegen zusätzliche Überhitzung.« Tanis wußte nichts zu sagen.
»Heute habe ich keine Zeit, eine neue Maschine zu bauen. Und auch kein Geld.« Zum ersten Mal wirkte der Gnom niedergeschlagen. »Natürlich könnten noch ein paar Teile des Apparats erhalten sein. Oh!« Er sackte wieder in sich zusammen. »Der Strahlenleitungskonzentrationsapparat!«
»Was?« Tanis hatte allmählich genug von Gnomen. »Der was?«
»Der lila Stein. Er ist zerstört. Ich habe ihn explodieren sehen, als du mich weggezerrt hast.« Sein Gesicht legte sich in nachdenkliche Falten. »Da muß ich mir einiges ausdenken.« Diese Aussicht schien ihn zu begeistern.
»Hast du nicht gesagt, du habest noch elf andere ›bekommen‹?« fragte Tanis.
»Ja, aber die habe ich verkauft, um Draht zu kaufen. Vor fast einem Jahr. An einen Zauberer. Bevor ich wußte, welche Magie in ihnen steckte.« Der Gnom überlegte. »Vielleicht könnte ich sie zurückkaufen… aber ich habe kein Geld.«
»Du könntest sie natürlich zurückstehlen«, sagte Tanis verächtlich. Er begann sich rückwärts unter dem Karren hervorzuschieben. Schwätzer Sonnenrad sah ihn vorwurfsvoll an. Der Halbelf lenkte ein. »Warum erzählst du den Leuten nicht einfach deine wichtigen Nachrichten? Wäre das unter diesen Umständen nicht genauso tauglich?« ergänzte er taktvollerweise.
»Ja, aber…«
»Dann stell dich an die Straßenecke und brüll.«
Der Gnom war entgeistert. »Ich selbst?«
Tanis nickte.
»Ich als Marktschreier«, rief Schwätzer. »Wenn das meine Mutter wüßte. So unwissenschaftlich. So untauglich.«
»So notwendig.«
Mit einem neuerlichen vorwurfsvollen Blick kroch Schwätzer Sonnenrad unter dem Karren hervor. Ohne auf die Menschentrauben zu achten, die sich gebildet hatten, um zuzusehen, wie das Feuer herunterbrannte, und ohne einen einzigen Blick auf das glimmende Häufchen Schutt, das einst sein Laboratorium gewesen war, machte sich der Gnom auf den Weg zur belebtesten Ecke des Markts. Tanis folgte ihm. Schwätzer warf sich in Positur. »Hört, hört, ihr Leute!« schrie der Gnom. Keiner hörte zu.
Tanis tauchte neben Schwätzer auf. »Du brauchst eine Art Podium«, riet er ihm.
Der Gnom sah sich um. »Ich könnte eins bauen«, fand er. »Einen automatischen Gnomhebetrans-«
Als Reaktion hob der Halbelf den Gnom hoch und setzte ihn auf seine rechte Schulter. »Los, Marktschreier, raus mit deinen Nachrichten.«
»Ach, das ist so… direkt«, murmelte Schwätzer, der sich in das rötliche Haar des Halbelfen krallte, um das Gleichgewicht zu halten. Dann winkte er mit der anderen Hand und schrie wieder: »Hört, hört, ihr Leute!« Diesmal blieben einige Leute stehen. »Ich habe Neuigkeiten…«
Er leierte seine Nachrichten herunter – nur drei Dinge, wie sich herausstellte, doch eine war für Tanis von Interesse. »Der Vorstand von Havens Bauernverein, der sich zu einer außerordentlichen Sitzung zusammengefunden hat, bietet eine Belohnung von fünfzehn Stahlmünzen für die Erlegung eines Ettins, der südlich von Haven Vieh getötet hat«, posaunte Schwätzer heraus.
»Was ist ein Ettin?« rief ein Mann hinten in der Menge.
»Ein Ettin ist zwölf bis dreizehn Fuß groß, hat zwei Köpfe und lebt normalerweise in kalten Gebirgsgegenden. Ettins sind Verwandte der Trolle und werden manchmal auch als zweiköpfige Trolle bezeichnet.«
Die Menge murmelte. Der Frager schüttelte den Kopf und verschwand, gefolgt von einigen anderen. Schwätzer fuhr fort. »Ettins fressen nur Fleisch. Der hier hat volle sechs Kühe getötet und gefressen, dazu diverse Hunde, einen Haufen Hühner und ein Dutzend Schafe. Gestern nacht hat er einen Schäfer südlich von Haven angegriffen. Der Mann wollte das Monster davon abhalten, seine Herde zu plündern, und hat das mit dem Leben bezahlt.«
Die verbliebenen Zuhörer wurden bleich und gingen eilig davon. Schwätzer redete noch weiter, kam dann aber zum Schweigen. Seine Zuhörer waren verschwunden. »Lag das an meiner Darbietung?« fragte er den Halbelfen.
»Nein, mein Freund. Das war der Ettin«, sagte Tanis barmherzig.
Tanis verabschiedete sich von dem verwirrten Gnom und stürmte Minuten später die Stufen in die »Sieben Zentauren« hoch. Dabei bemerkte er nicht, wie sich auf einer Bank auf der anderen Straßenseite plötzlich Wod aufsetzte.
»Was hältst du davon, gegen Bezahlung ein Monster zu jagen?« fragte Tanis ohne Gruß, als er sein Zimmer betrat.
Kitiara war angezogen, aber blaß. Der leere Teekrug stand mit ein paar Toastkrümeln auf einem Tablett an der Tür. »Schwangerschaftstee, Halbelf, ich muß schon sagen«, knurrte Kitiara. Dann erfaßte sie, was er gesagt hatte. »Ein Monster erlegen? Für wieviel?«
»Fünfzehn Stahlmünzen.«
Sie pfiff.
»Schon mal von einem Ettin gehört?« fragte er.
Kitiara erstarrte. »Ein zweiköpfiger Troll?« Zwei Falten bildeten sich zwischen ihren Augen; sie schien tief in sich hineinzusehen. »Nein, das ist unmöglich«, flüsterte sie fast lautlos. Ohne Tanis’ fragenden Gesichtsausdruck zu beachten, meinte sie dann laut: »Mein letzter Auftraggeber hatte einen Ettinsklaven. Ich weiß etwas über sie. Sie sind gefährlich, aber dumm, und, wie die meisten dummen Wesen, ausgesprochen loyal.«
»Hast du Lust, einen zu jagen?«
Kitiara reagierte nicht mit der Begeisterung, die Tanis erwartet hatte, aber das schob der Halbelf auf ihren vermutlichen Kater. »Wir könnten unsere Schulden bei Mackid begleichen, ihn fortschicken und hätten noch fünf Stahlmünzen übrig«, erklärte er.
Kitiara starrte ihn an. »Warum tust du das, Tanis?« fragte sie leise. »Du schuldest Caven Mackid überhaupt nichts. Ein Ettin ist ein gefährlicher Gegner.«
Tanis begann seine wenigen Sachen in seinen Packsack zu legen. Er schwieg eine Weile, und als er dann sprach, hatte er sein Gesicht abgewendet. »Du hast mir bei dem Kampf mit dem Irrlicht das Leben gerettet«, sagte er.
Kitiaras Ausdruck verriet allergrößten Argwohn.
»Bei der Gelegenheit haben wir gut zusammengearbeitet«, fuhr der Halbelf schließlich fort. »Das könnten wir wiederholen.«
Mehr sagte er nicht. Nachdem Kitiara eine Weile offensichtlich unentschlossen herumgestanden hatte, schüttelte sie den Kopf und begann ebenfalls ihre Sachen zu packen. »Es ist deine Haut, Halbelf. Auf jeden Fall«, sagte sie still wie zu sich selbst, »möchte ich den Ettin lieber hier als in Solace erledigen. Ich will ihn nicht nach Hause locken.«