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»Dem Herrn über die Untoten!«

»Und sie werden Wichtlins.«

Caven ließ sich einen Moment Zeit, um das zu verdauen. »Was machen diese Wichtlins?« fragte er schließlich.

Bei Cavens Worten setzte sich das Wesen in Bewegung. Es näherte sich Kitiara, die Obsidian ganz ruhig um dieselbe Entfernung zurückweichen ließ. Kitiara beantwortete Cavens Frage: »Ein Wichtlin wandert durch die Welt auf der Suche nach Seelen, die er für Chemosh beanspruchen kann. Seine Berührung ist tödlich.« Sie ließ Obsidian noch einen Schritt zurückweichen.

»Kann man ihn mit dem Schwert umbringen?«

»Das werden wir ja sehen«, antwortete sie leise. Noch während sie das sagte, schlug sie blitzartig zu. Ihre Klinge zuckte durch die Luft und fuhr dem Wesen zwischen Händen und Augen hindurch. Obsidian kam wiehernd vom Pfad ab. Der unverletzte Wichtlin ging auf Kitiara los, die weiter mit dem Schwert auf ihn einhackte. »Halbelf!« schrie sie. »Bei den Göttern, sag mir, wie ich das Ding töten kann.«

Tanis merkte, wie Entsetzen von ihm Besitz ergriff, als der Wichtlin wieder und wieder auf Kitiara Uth Matar eindrang und sie immer weiter vom Pfad und von ihren Gefährten forttrieb. »Magie, soweit ich weiß«, rief er. »Nur Magie.«

»Ich habe keine Magie, aber es muß schon stark sein, wenn es das aushält!« rief Caven aus. Er gab Malefiz die Sporen. Der gewaltige Hengst bäumte sich auf und preschte dann auf den Wichtlin zu, daß die Steine unter seinen riesigen Hufen stoben.

Das bösartige Geschöpf verschwand genau einen Moment, bevor Pferd und Reiter es erreicht hatten.

Verwirrt brachte Caven den Hengst zum Stehen und drehte sich auf dem Pfad um sich selbst. »Wo –?«

»Caven! Hinter dir!« Das war Kitiara.

Caven drehte sich um und sah sich dem Wichtlin direkt gegenüber. Die linke Hand, an der aus jedem Fingergelenk grüne Flammen leuchteten, griff nach ihm. »Caven!« schrie Kitiara wieder. »Er darf dich nicht – «

Aber es war zu spät. Das Wesen berührte Cavens Arm, und der Soldat erstarrte. Auf seinem bärtigen Gesicht stand noch ein entsetzter, ahnungsvoller Ausdruck.

Sobald Caven gelähmt war, schien der Wichtlin das Interesse an seinem Opfer verloren zu haben. Er wandte sich Tanis zu, der sein Schwert bereit hielt, obwohl inzwischen klar war, daß die Waffe gegen dieses Monster nutzlos wie eine Feder war. Der Wichtlin fixierte den Halbelfen mit seinem starren Blick, kam näher und griff an. Kurz darauf stand auch Tanis erstarrt da. Wod wollte fliehen, doch das Wesen verschwand, um gleich darauf direkt vor dem Knappen aufzutauchen, der mit seiner Stute in den Wichtlin hineinrannte und auf der Stelle gefror.

Damit stand Kitiara dem Wichtlin allein gegenüber. Sie zog ihren Dolch und wollte von Obsidian abspringen, die jetzt bis an die Fesseln in einem Gewirr von Bodendeckern stand.

Dann wieherte das Pferd schrill, so daß Kitiara es sich noch einmal überlegte, herumfuhr und – noch einen Fuß im Steigbügel – nach unten sah.

Skeletthände reckten sich zu Dutzenden durch die Pflanzen aus dem Boden empor. Sie hielten die kämpfende Stute fest, die weiter schreckerfüllt wieherte, bis Kitiara glaubte, sie würde verrückt werden. Verzweifelt sah sie sich um. Der Wichtlin kam langsam näher. Die Skeletthände streckten sich aus, um sie zu packen, wenn sie vom Rücken der Stute fiel. Das Pferd erschauerte in Todesqualen, und Kitiara konnte nur sitzenbleiben, weil sie ihren Dolch fallen ließ und sich mit beiden Händen an der sterbenden Stute festhielt.

Dann durchschnitt eine Stimme die Nacht. »Idiandin melisi don! Idiandin melisi don! Verschwindet!«

Kitiara fiel in die wartenden Hände.

Doch die verschwanden, als ihr Körper neben dem Pferd auf der feuchten Erde landete. Einen Augenblick lag die Kriegerin reglos da, denn sie suchte den Wichtlin. Auch der war verschwunden. »Obsidian!« Langsam setzte sie sich auf, streckte eine Hand aus und streichelte dem Tier die leblose Schulter. Als sie ihre langjährige, treue Begleiterin liebkoste, zerfiel das Pferd unter ihren Fingern zu Staub. Einen Moment darauf hatte sich auch die letzte Spur von Obsidian in Luft aufgelöst. Kit stand auf. Sie holte ihren Dolch, den sie im Gestrüpp liegen sah. Langsam drehte sie sich um sich selbst, auf alles vorbereitet, was sie angreifen könnte. Wo war der, dem die Stimme gehörte? Die gerufenen Worte waren eindeutig magisch gewesen, aber war der, der sie gerufen hatte, ihr Retter oder ein neuer Angreifer?

Sie hörte nichts. Caven und Malefiz, die mitten in der Bewegung aufgehalten worden waren, standen wie eine Statue auf einem Dorfplatz da. Wod und seine Stute waren in einer armseligen Nachahmung von Cavens Pose gleichfalls erstarrt. Tanis, den es zu Fuß mitten im Angriff erwischt hatte, zeigte mit dem Schwert genau auf – nichts. Paladin wartete ungerührt hinter dem Halbelfen. Offensichtlich war das Pferd das einzige Lebewesen, das zu sehen war. Es gab keine Spur von dem, der diesen magischen Ruf in der Nacht ausgestoßen hatte.

10

Janusz, der Zauberer

Janusz holte tief Luft, um sein Zittern zu unterdrücken, als er sich von seiner Wasserschale löste. Kitiaras Gesicht auf der Wasseroberfläche verblaßte.

Vorläufig war sie sicher; dafür hatte er gesorgt. Die gierigen Hände waren zu ihren Besitzern in den Abgrund zurückgekehrt. Der Wichtlin kroch jetzt harmlos über den Grund der Eisbergbucht. Er würde eine Weile suchen müssen, um in diesen eisigen Tiefen lebende Seelen für seine Zwecke zu finden. Von der Anstrengung des Spruches, der dem Zauberer gestattete, gleichzeitig zu sehen und zu sprechen, klingelten ihm die Ohren. Seine Hände bebten. Einen Augenblick lang befürchtete er, er würde ohnmächtig werden. Aber es war notwendig gewesen. Um ein Haar hätte der Zauberer Kitiara Uth Matar verloren.

Und Kitiara Uth Matar war die einzige, die ihm sagen konnte, wo die neun Eisjuwelen waren.

Ihm waren nur zwei Eisjuwelen geblieben, von denen der Ettin einen bei sich trug. Er dankte Morgion für die glückliche Eingebung, im Lager beim Schloß des Meirs zwei der elf purpurfarbenen Edelsteine zurückzubehalten.

Janusz betrachtete den glänzenden Stein, der auf einem Alabasterständer auf dem Tisch lag. So groß wie ein kleines Ei, leuchtete der lila Kristall, als ob alles Wissen von Krynn in ihm lodere. Der einfältige Gnom, der ihm die Steine verkauft hatte, hatte eine ermüdende Litanei über die Herkunft der Steine angestimmt. Das meiste von seinem Geschwätz hatte der Magier ignoriert, doch eines war Janusz im Gedächtnis geblieben – daß der Gnom glaubte, die Juwelen würden ursprünglich aus dem Eisreich stammen. Als der Zauberer jetzt in den amethystfarbenen Stein starrte, zweifelte er nicht daran, daß diese glitzernde Kälte im Reich des Schnees entstanden sein mußte. Deshalb hatte er den Valdan überredet, in die südlichste Ecke Ansalons zu flüchten. Sie waren ins Eisreich gekommen, um weitere Juwelen zu finden. Und im Bann des Eisjuwels hatte der Traum des Valdan neue Formen angenommen. Jetzt gierte er nicht mehr danach, ein Nachbarreich zu überrennen, sondern er hungerte nach der Herrschaft über die ganze Welt.

Janusz zwang sich, vom Stein wegzusehen, doch die Bewegung versengte seine Augen. Der Edelstein hielt seinen Blick wie gebannt fest. Der Magier hatte Dutzende von Ettinsklaven dazu abkommandiert, ohne Unterlaß nach weiteren Eisjuwelen zu suchen. Dem Valdan hatte er gesagt, er glaube, die Juwelen könnten das Geheimnis der absoluten Herrschaft des Valdan über Ansalon bergen. In Wahrheit hoffte Janusz, daß die wundervollen Steine weit mehr für den Magier selbst tun konnten als für den Valdan – kurz gesagt, daß sie Janusz zeigen konnten, wie er das Blutband zerstören konnte, das ihn dem Willen seines Herrschers unterwarf. Aber falls das möglich war, würde es erst in ferner Zukunft nach jahrelangem, aufwendigem Studium so weit sein.

Innerlich bebte der Magier angesichts des Risikos, das er eingegangen war, als er Res-Lacua einen der kostbaren Steine mitgegeben hatte, doch das war notwendig gewesen, wenn Janusz die Steine dazu benutzen wollte, den Ettin und Kitiara ins Eisreich zu teleportieren. Das war eines der Geheimnisse der Juwelen, die der Magier in monatelangem Studium hatte aufdecken können. Bei richtiger, vorsichtiger Anwendung gestatteten es ihm die Steine, sowohl lebende als auch tote Dinge von einem Juwel zum anderen zu transportieren.