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Wenn Kitiara auf dem Gipfel des Fieberbergs im Düsterwald angekommen war, würde der Magier den Edelstein des Ettins dazu benutzen, beide in den Eisbau zu holen. Dann, das schwor er sich, würde er sie persönlich verhören und das Versteck der anderen neun kostbaren Juwelen ausfindig machen.

Janusz zwang sich stehenzubleiben, schob die Ärmel seiner Robe hoch und blickte zum Eingang seiner Kammer. Der Magier setzte sich auf einen Stuhl. Der Stuhl bestand offenbar aus demselben magischen Eis, aus dem der Zauberer den ganzen Eisbau geschaffen hatte, war jedoch mit schönerem Tuch als dem groben Leinen gepolstert, das Wände und Boden bedeckte. Weiter rechts stieg ein Dampfkringel aus einem Keramiktiegel über einer Flamme auf. Der Arbeitstisch war mit Dutzenden, verkorkter Gefäße übersät.

Ein Fenster unterbrach die Monotonie der Wände. Dadurch sah man auf das Eisreich. Schnee wirbelte um einen Fels aus Eis. Janusz blickte zum Fenster und fluchte. Er stimmte einen Gesang an und zeichnete mit dem Finger ein Muster in die Luft, woraufhin die Szene im Fenster einem Schloß wich, an dessen Türmen lauter schwarze und lila Banner wehten. Goldenes Sonnenlicht überströmte das Bild, und einen Augenblick lag Sehnsucht auf dem Gesicht des Magiers.

Die Wände seiner Räume im Eisreich bestanden natürlich aus massivem Eis. Doch die Tür war aus ebenso massiver, eisenbeschlagener Eiche. Der Eisjuwel hatte sie vor Monaten in diese verdammte Frostwüste teleportiert.

»Aber Zeit spielt ja hier sowieso keine Rolle«, murmelte Janusz. »An diesem von den Göttern verlassenen Ort. Ein Teil eines Jahres, ein Teil eines Lebens. Was macht das schon?«

Jetzt gab es keine Jahreszeiten mehr, kein scheues Erblühen der Frühlingsjungfrau, nachdem die Winterhexe ihre sterbende Hand vom Land gelöst hatte. Er lächelte über seine Phantasien. Gewohnheiten vergingen nicht so leicht. Früher war er ein Romantiker gewesen.

Früher hatte Zeit eine Rolle gespielt. Früher hatte er gespürt, wie er mit den Jahreszeiten wuchs, wie sein Herz weiter wurde und taute, wenn die Erde sich erwärmte und neue Blätter sich entfalteten. Seine romantischen Gefühle mochten lächerlich gewesen sein angesichts seiner grauen Haare und der tiefen Falten zwischen Nase und Mund. Doch er hatte wahre Liebe kennengelernt – er hatte Dreena gekannt –, und die Welt war ihm jung und frisch erschienen.

»Pah!« murmelte er und verdrängte die nutzlose Vergangenheit. »Mein Herz ist gefroren wie das Eisreich.«

Wände, Boden und Decke waren feste Eisflächen, die spiegelglatt poliert waren. Ein großer Teil der eisigen Oberfläche war mit dünnem Tuch bedeckt, um die Bewohner des Baus davor zu bewahren, am Eis festzukleben, so wie warmes Fleisch an besonders kalten Tagen an kaltem Metall festfriert.

»An besonders kalten Tagen«, wiederholte Janusz jetzt. Er lachte tonlos. »Hier gibt es keine Tage, auf die diese Beschreibung nicht passen würde.«

Es gab kein Brennmaterial für ein richtiges Feuer, noch nicht einmal einen Kamin. Einen Kamin aus Eis? Nein, und magisches Feuer zehrte zu sehr an seiner Kraft. Er brauchte zur Zeit fast seine gesamte Macht, um Kitiara und Res-Lacua einen Kontinent weiter nördlich auf der Spur zu bleiben. Und er mußte jetzt sogar noch mehr Energie aufbringen, um Res-Lacua Umgangssprache reden zu lassen, anstatt das orkische Gebrabbel des Ettins. Denn vielleicht mußte der Riese mit Kitiara reden, um sie zum Fieberberg zu locken.

Janusz stieß einen Fluch an Morgion aus und ließ seine Faust auf die gefrorene Tischfläche krachen. Das Wasser schwappte über den Rand der Sehschale und lief in Strömen über seine Robe.

Wieder fluchte er, während er die schwarze Wolle mit einem Leinentuch abrieb. Einst hatte er die weißen Roben des Guten angestrebt. Doch jetzt gab es nur noch Schnee und Eis und Böses in seinem Leben. Sogar hier im Eisbau pfiff der Wind durch die Spalten und Ritzen und zog um seine in Wolle gehüllten Füße. Das Schloß hätte wärmer sein müssen. Schließlich hatte er den Bau beaufsichtigt, all die dicknackigen, strohdummen Ettins angeleitet. Sie hatten die Arbeit getan, die seine Magie nicht erledigen konnte.

Seine doppelt gewebte Robe aus bester Wolle nützte Janusz wenig gegen den schneidenden Wind in diesem verfluchten Land. Alles im Raum war in das bläuliche Licht aus seinem magischen Eis gebadet. Laternen waren überflüssig, denn die Wände selbst beleuchteten das Schloß. Doch der Zauberer sehnte sich nach einer warmen Lampe mit orangegelber Flamme. Er sehnte sich nach Kern.

Hier konnte er sich nur an seinen Erinnerungen wärmen. Dieser Gedanke war so banal, die Vorstellung so sinnlos, daß er verkniffen lächelte. Denn er hatte etwas anderes, das ihn wärmte – seinen Hunger nach Rache. Er hatte reichlich Zeit gehabt, sich ausgeklügelte Foltermethoden für Kitiara auszudenken.

Plötzlich erzitterte die Eichentür unter einem heftigen Stoß und flog auf. »Janusz!«

Der Magier sprang auf. Mörser und Stößel kippten um, rollten zur Seite und fielen klirrend zu Boden. Halbzerstampfte Kräuter verteilten sich überall. Der Schreck war schnell verflogen. Der Valdan kam nicht zum ersten Mal wie ein Kriegsgott hereingedonnert. Janusz versuchte eine würdige Figur zu machen, ehe der große Mann vor ihm stehenblieb. »Beim Gott Morgion, Valdan«, sagte der Zauberer lakonisch, »welcher Dämon wärmt dich nur?«

Sein Herr kleidete sich immer noch wie damals in den heißesten Monaten in Kern – schwarze Hose, weißes, gerafftes Hemd aus Moireseide, ärmellose, purpurrote Weste mit goldenen Tressen, purpurroter Umhang und schwarze, stahlbesohlte Stiefel mit stählernen Spitzen. Die modische Kleidung war bei den Frauen oben in Kern gut angekommen, wie Janusz wußte. Heute jedoch hoben sich die blutunterlaufenen Augen des Valdan von seinen karottenroten Wimpern, Augenbrauen und Haaren ab. Sein Gesicht war nahezu blutleer, und die Sommersprossen, die ihm in Kern ein jungenhaftes Aussehen verliehen hatten, waren in den langen Nächten des Eisreichs verblaßt. Seine Augen, die im hellsten Licht des hiesigen Frühlings immer noch blau waren, spielten in diesem Moment mehr ins Graue.

»Haß erwärmt mich, Zauberer«, gab der Valdan zurück. »Das und meine Pläne für die Zukunft.«

Der Valdan, der nie zu frieren schien, brauchte offensichtlich auch keinen Schlaf. Spät in der Nacht, wenn Janusz über seinen Zauberbüchern brütete, hörte er oft noch den Tritt der metallbeschlagenen Stiefel im Eiskorridor vor seinen Gemächern.

Der Magier richtete den Mörser wieder auf, wischte das verschüttete Pulver in seine Hand und gab es in die Schale zurück. »Gibt es einen Grund für deinen Besuch, Valdan? Oder möchtest du nur plaudern?« fragte er mild.

Das Flattern seiner Augenlider verriet, daß der Herrscher sich von der Gleichmütigkeit seines Zauberers nicht täuschen ließ. »Wann holst du Kitiara hierher?« wollte er wissen.

Der Zauberer seufzte. »Das habe ich dir doch gesagt. Sobald der Ettin sie auf den Berg locken konnte.«

»Du kannst sie doch sehen. Benutze deinen verfluchten Juwel, um sie sofort herzuschaffen.«

»Sie muß bei dem anderen Eisjuwel sein, damit der Teleport gelingt«, sagte der Zauberer. »Selbst dann ist es noch gefährlich. Wie oft muß ich das noch erklären?«

»Und wenn der Ettin versagt?«

»Das wird er nicht.«

»Kitiara hat die Moral einer Straßenkatze. Du hast gesagt, sie habe einen neuen Liebhaber. Was ist, wenn der neue und der alte Liebhaber gemeinsam den Ettin umbringen?«

Janusz blickte ihn fest an. »Ich habe Vertrauen zu ihm.«

»Ich glaube, dir gleitet die Sache aus den Händen, Magier.«

Janusz merkte, wie ihm das Blut ins Gesicht stieg. »Ich habe beachtliche Kräfte, Valdan, aber wie alle magischen Kräfte sind sie begrenzt.« Er spie jedes Wort einzeln aus. »Jeder Spruch schwächt meinen Körper – wie bei allen Magiern. Und wie bei allen Magiern ist ein Zauberspruch aus meinem Gedächtnis verschwunden, wenn ich ihn benutzt habe, bis ich ihn mir wieder eingeprägt habe. Darum arbeite ich bis spät in die Nacht.« Er zeigte auf ein Regal mit Büchern, die in tiefblaues Leder eingebunden waren. »Du hast mir befohlen, Hunderte von Ettins und Minotauren ins Eisreich zu transportieren – für die ich natürlich auch Quartiere bereitstellen mußte. Ich muß diesen Bau erhalten und vergrößern, das bißchen Hitze aufbringen, das ich entbehren kann, um ihn warm zu halten, und nach besten Kräften die Ettins, die Minotauren und die Thanoi kontrollieren.«