»Ich bin einverstanden, Sir«, sagte Janusz. »Ihr könnt auf mich zählen.«
Der Valdan rief mit offensichtlichem Widerstreben seinen Zauberer und seinen Sohn zu der geheimen, verbotenen Zeremonie.
Bald darauf kamen der Valdan und seine Frau plötzlich ums Leben. Es hatte nicht lange gedauert, bis der junge, zukünftige Valdan seinen wahren Charakter gezeigt hatte. Janusz gab die Hoffnung auf, eines Tages die weißen Roben tragen zu dürfen.
Ein paar Jahre später, als der Zauberer und der neue Valdan erwachsen wurden, hatte Janusz dem Valdan eine kräftige Dosis Gift in sein Bier gegeben und gebannt zugesehen, wie sein Blutsbruder das Glas austrank. Doch es war Janusz gewesen, nicht der Valdan, der sich an die Kehle griff und auf dem Boden zusammenbrach, wo er sich auf den Fliesen krümmte.
Der junge Valdan hatte von seinem Stuhl an der Tafel aus zugesehen. »Jemand soll sich bitte um meinen Zauberer kümmern«, hatte er ohne Teilnahme gesagt. »Offenbar hat er etwas getrunken, das ihm nicht bekommt.«
Dann hatte er sich zu Janusz vorgebeugt und ihm mit steinharten Augen zugeflüstert: »Oder war ich es vielleicht, hm, Janusz?« Seitdem wußte Janusz, daß das Blutband ihn für alle Zeiten verdammt hatte. Der Zauberer würde alles erleiden, was dem Valdan zugedacht war. Keuchend hatte Janusz nach dem Gegengift gerufen – er war dem Tode nahe gewesen. So hatte sein körperlicher Verfall begonnen, während der Valdan weiterhin die Gesundheit eines jungen Burschen besaß.
»Ich kann ihn nicht töten«, hatte der Magier voller Qual in jener Nacht geflüstert, »denn dann sterbe ich an seiner Statt.« Und der Valdan würde übrigbleiben, um ungezügelt jeden zu quälen, der sich ihm entgegenstellt.
Janusz’ Familie starb nur zwei Wochen nach seinem vergeblichen Anschlag auf das Leben des Valdan.
Das Feuer, das seine Familie umbrachte, war ein Unfall gewesen, wie der Kerner Vogt berichtete, der die Tragödie untersucht hatte. Janusz’ Eltern hatten den Abzug zu lange nicht gereinigt; die jahrelangen Ablagerungen ihrer Holzfeuer hatten Feuer gefangen und Funken auf das zundertrockene Dach geworfen. So jedenfalls hatte es der Vogt, der auf Gedeih und Verderb vom Valdan abhängig war, Janusz berichtet.
Janusz hatte keinen Sinn darin gesehen, den Mann weiter zu bedrängen. Er fragte den Vogt nicht, weshalb die Tür der Hütte in der Nacht, als seine Familie umkam, verschlossen gewesen war. Die Nachbarn, die zu Hilfe gekommen waren, hatten ihm erzählt, daß sie die Tür nicht hatten aufbrechen können. Sie hatten sich die Ohren zuhalten müssen, als die von den Flammen eingeschlossene Familie drinnen verzweifelt um ihr Leben geschrien hatte.
Diese Botschaft hatte der Magier verstanden. Die nächsten Jahrzehnte hielt Janusz sich bedeckt, um seinen Herrn – und damit sich selbst – zu schützen. Dreimal hatten die Feinde des Valdans versucht, den Herrscher zu töten, zweimal durch Gift und einmal durch ein Messer. Jedesmal war es der Zauberer gewesen, den es getroffen hatte. Jedesmal war der Valdan unbeschadet davongekommen und hatte die Meuchler umbringen können. In ganz Kern erzählte man im Flüsterton Geschichten über die Unsterblichkeit des Valdan. Das Gerücht mit dem Blutband mußte wahr sein. Die Bauern beobachteten den Zauberer mit glühendem Haß auf ihren wettergegerbten Gesichtern, doch keiner wagte, einen Zauberkundigen von Janusz’ Ruf anzugreifen. Der Valdan verfolgte gnadenlos jeden, der sich ihm entgegenstellte. Einer nach dem anderen starben seine Feinde an seltsamen Krankheiten oder verschwanden einfach des Nachts. Irgendwann war im Lande keiner mehr übrig, der sich ihm in den Weg stellen würde – bis der Valdan seine Augen auf das Land des Meir gerichtet hatte.
11
Die Eule und Kitiara
Zweige und Dornen verfingen sich in Kitiaras weiter Bluse und zerkratzten das Leder ihrer Reithose. Flüche gellten durch die Luft. Ihr war sehr wohl bewußt, daß draußen in der Dunkelheit schattenlose Gestalten lauerten, doch bisher hatten sie nichts weiter getan, als jede ihrer Bewegungen zu verfolgen. Ihr Packsack, den sie sich auf den Rücken gehängt hatte, behinderte sie beim Laufen, doch sie hackte furchtlos mit Schwert und Dolch auf die klammernden Tentakel der Pflanzen ein.
Die Dunkelheit hatte sich etwas zurückgezogen, als wäre Solinari hinter den Wolken aufgegangen. Schwach wie er war, schenkte der Mond Kitiara wenigstens genug Licht, um in jede Richtung ein paar Fuß weit sehen zu können. Vor und hinter ihr verrenkten sich die Bäume hexenhaft. Seufzend wie der Wind hörte man fremde Atemzüge.
Caven Mackid hätte sie für verrückt erklärt, weil sie allein weiterzog. Tanis hätte ihr geraten, den Morgen abzuwarten. Wod hätte angesichts ihrer augenblicklichen, mißlichen Lage höhnisch gegrinst.
Aber sie waren alle tot. Und Kitiara zog bei Nacht durch den Düsterwald – auf der Suche nach einem Weg nach draußen.
Regungslos starrte sie den zerklüfteten Grat zur Linken an, dann nach rechts, wo sie ein Tal erahnte. Es war zu dunkel, um Genaueres zu erkennen, doch sie drang weiter vor, folgte etwas, das wie ein Pfad aussah, auch wenn der Weg, der sie und die anderen drei in den Düsterwald geführt hatte, verschwunden war. Wieder war sie von Zweigen und Ranken umgeben. Reflexhaft strich sich Kitiara eine Ranke aus dem Gesicht.
Ein neuer, plötzlicher Schwindel verursachte einen Schweißausbruch. »Bei den Göttern«, murmelte sie. »Was habe ich mir bloß geholt? Oder bin ich etwa verhext?« Sie wartete kurz ab, bis die momentane Schwäche vorüber war. Kitiaras Haut war von Kratzern übersät; ihr Rücken juckte vor Schweiß und Dreck. Die Dornen hatten ausgefranste Löcher in ihre Bluse gerissen. Aus einem langen Kratzer auf der rechten Wange, der sich bis ans Auge zog, sickerte Blut.
Plötzlich stand etwas vor ihr auf dem Pfad. Sie stieß es mit dem Schwert an. Es wirkte wie ein gewaltiger Haufen Stolperkraut. Bestimmt würde er bei einem kräftigen Stoß in das Tal da unten kullern. Sie stieß mit einer Hand gegen den verschlungenen Ball, doch als dieser erstaunlich verwurzelt erschien, lehnte sie sich mit der Schulter dagegen und schob. Augenblicklich erkannte sie ihren Fehler. Hunderte von winzigen Häkchen schossen in das Vorderteil ihres Hemds. Fangarme peitschten um ihre Knöchel und Handgelenke. Ein zögernder, zitternder Arm kitzelte ihre Halsgrube. Sie versuchte, sich von den Dornen loszureißen. Der Arm an ihrem Hals fuhr trotzdem an ihrer Halsschlagader entlang.
Fluchend hackte Kitiara mit dem Schwert auf das Gestrüpp ein – war es dichter als zuvor? –, bis das Gewächs von ihr abließ. »Aha«, murmelte sie. »Also kann man auch dich bekämpfen.« Sie ging erneut auf die Dornenranken zu und lächelte, als sie sah, daß diese sich vor ihr zur Seite bogen.
Dann machte Kitiara noch einen Schritt, und der Dornbusch, der Pfad, der Grat und das Tal – alles war verschwunden. Zugleich wurde die Nacht wieder dunkler, als wäre Solinari eine Kerze gewesen, die man plötzlich ausgeblasen hatte. Kitiara griff mit links nach vorn und zog vorsichtig den Dolch vor und zurück. Die Spitze traf auf etwas Hartes, Großes – zu weich für Fels. Das Schwert kampfbereit, steckte Kitiara den Dolch ein und griff wieder mit bloßer Hand nach vorn. Ihre Finger berührten etwas Weiches und Hartes, fuhren eine Wölbung nach, fanden einen welligen Rand und folgten ihm – es war eindeutig ein Stiefel.
Es war die Steinstatue, zu der Caven und Malefiz geworden waren.
Kitiara stand wieder auf der Lichtung bei ihren Gefährten.
Unbeirrt brach Kitiara wieder nach Haven auf, diesmal auf einem anderen Pfad. Eine Stunde später traf die Kämpferin auf dasselbe undurchdringliche Gestrüpp und landete wieder auf der Lichtung.