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Kai-lid dachte einen Augenblick mit klopfendem Herzen nach. Das muß Janusz sein, Xanthar. Niemand anders. Er hat sie gesehen, und er hat mich gesehen. Jetzt stecken wir in der Falle.

Vergiß nicht, daß der Zauberer Lida sieht, nicht Dreena.

Mit seiner Magie könnte er erkennen, wer ich wirklich bin, wenn er das will. Kai-lids Lippen zitterten.

Er hat doch keinen Grund dazu, meine Liebe. Er hält Dreena für tot.

Warum hat er die Verzauberung des Halbelfen und der anderen aufgehoben?

Xanthar schwieg eine Weile. Ich weiß es nicht. Es wird in seinen Plan passen. Bestimmt hat er den Ettin geschickt, um sie zu fangen.

Und sie sind ihm ihrerseits in die Falle gegangen. Glaubst du jetzt an den Traum, Xanthar?

Ja.

In diesem Moment löste sich Tanis von den anderen und näherte sich der Eule und der Zauberin. Ohne Umschweife sagte er: »Ich will wissen, warum du uns helfen willst.«

Lida sah Xanthar an, doch der bot keine Hilfe. »Wir haben keine Wahl«, erklärte sie schließlich. »Wir müssen diesem Ettin folgen.«

»Warum?«

Lida schluckte. »Ich glaube, daß dieser Ettin uns zum Valdan führen wird. Res-Lacua ist der Ettin und Sklave von Janusz. Er muß zu ihm zurückkehren.«

Tanis sprach langsam, ohne sie aus den Augen zu lassen. »Mir kommt es wie eine Falle vor, Lida. Wir folgen dem Ettin, und der Zauberer kriegt die Chance, sich an Kitiara zu rächen. Wie sollen wir gegen eine ganze Armee antreten?«

Lida merkte, wie ihr Tanis’ unnachgiebiger Blick zu schaffen machte. »Halbelf«, sagte sie schließlich, »es ist zu spät zum Umkehren. Kitiara ist keineswegs hilflos, und wir werden bei ihr sein, um sie zu schützen. Ich glaube, sie weiß weit mehr, als sie uns verrät.« Als Tanis nichts sagte, schluckte sie wieder und fuhr fort, obwohl sie Xanthar innerlich verfluchte, weil er sie dieses Gespräch allein führen ließ. »Ich komme mit, Halbelf. Meine Magie ist nicht gerade mächtig, aber ich werde tun, was ich kann. Vielleicht ist es eine Falle, aber die habe nicht ich gestellt. Ich glaube, wir sind die einzigen, die zwischen der Gier des Valdans und dem Tod vieler, vieler Menschen stehen. Es ist eine Frage der Ehre, Tanis.«

»Eine Frage der Ehre«, wiederholte Tanis leise.

Sie streckte die Hand nach ihm aus und legte sie auf seinen Arm. »Halbelf, auch ich habe eine Frage an dich. Was bedeutet dir Kitiara?«

Tanis starrte die Zauberin an. Ihr glattes, schwarzes Haar floß über ihre Schultern. Ihre leise Stimme bebte. »Ist sie dir wichtig, diese Kriegerin?« drängte die Magierin, als er nichts erwiderte.

»Sie ist – « Tanis schwankte angesichts der Leidenschaft in ihren blauen Augen, die sich so auffällig von der dunklen Haut abhoben. »- eine Bekanntschaft. Wir reisen nur gemeinsam.«

Die schwarzen Pupillen weiteten sich, und die Magierin verzog leicht die Mundwinkel. »Ah. Eine Bekanntschaft.«

»Ja.« Er blickte zur Seite.

Die Worte der Frau hatten einen amüsierten Unterton. »Es ist Kitiaras Kampf, nicht deiner, Tanthalas Halbelf. Welch ein Glück für Kitiara, daß sie einen ›Bekannten‹ hat, der so stark und mutig ist, daß er sie in so gefährlichen Zeiten nicht im Stich läßt. Ich frage mich, was du für Frau und Kind tun würdest, wenn du dich schon für eine bloße Bekannte so einsetzt.«

Tanis wurde rot. »Du willst also unbedingt gegen den Valdan kämpfen?« fragte er hastig.

Sie nickte. Der Halbelf zögerte und kehrte zu den anderen zurück.

Du willst sie doch gar nicht begleiten. In Xanthars Stimme lag ein gewisser Vorwurf.

Ich habe Angst, Xanthar, und ich bin keine besonders mächtige Zauberin. Sie brauchen mich nicht. Sie kommen gut allein zurecht. Aber vielleicht verfolgen sie die Sache nicht weiter, wenn sie glauben, daß ich vorhabe, sie im Stich zu lassen.

Xanthar beugte sich vor und pflückte mit dem Schnabel einen Ast von einem Baum. Dann schälte er die Rinde ab, indem er ihn mit der Zunge so drehte, daß er mit der Schnabelkante die Rinde abziehen konnte. Und du glaubst, der Ettin führt sie ins Eisreich? Ich möchte darauf hinweisen, Kai-lid, daß der Ettin schließlich nach Norden zieht, während das Eisreich das letzte Mal, als ich nachgesehen habe, noch am südlichsten Ende von Ansalon lag.

Kai-lid antwortete nicht. Xanthar dachte weiter nach. Ich habe gehört, daß es im Düsterwald einen Sla-Mori gibt, einen, der weit nach Süden führt. Das kann ein Gerücht sein oder auch nicht.

Einen Sla-Mori?

Einen geheimen Weg. Einen magischen Tunnel, der seine Benutzer weit, weit weg bringt, wenn sie sein Geheimnis enträtseln können. Es heißt, daß die Elfen die Sla-Mori vor langer Zeit gebaut haben.

Und dieser Sla-Mori liegt im Norden?

Die Eule nickte. Nicht weit entfernt – in einem Tal am Fieberberg. Vielleicht will der Ettin dorthin. Dann wechselte Xanthar wieder das Thema. Du hast dir Kitiara genau angesehen, nehme ich an.

Ja.

Und hast du gesehen? Nicht mit deinen zwei Augen, sondern mit dem inneren Auge.

Ich habe gesehen, Xanthar. Ich frage mich, was sie vorhat.

Xanthar lachte laut los. Glaubst du etwa, sie weiß es, Kai-lid? Du gestehst Menschen aber wirklich mehr Selbsterkenntnis zu als ich.

Aber wie kann eine Frau ein Kind tragen, ohne es zu wissen?

Unterschätze niemals, wie taub die Menschen für ihre innere Stimme sind, Kai-lid. Niemals.

12

Angriffe

Das Gesicht des Mädchens und das ihres älteren Bruders waren von dem rußigen Walroßfett dreckig, mit dem die Mutter sie morgens eingerieben hatte, um den beißend kalten Wind abzuhalten, der über das Eisreich peitschte.

»Haudo«, flüsterte sie ihrem Bruder zu. Ihre schwarzen Augen glänzten vor Entzücken über ihren Einfall. »Ich bin ein Eisbär.« Sie streckte ihre Hände mit den Pelzhandschuhen hoch über den Kopf, auf dem eine warme Robbenfellmütze saß, die mit Federn von Seevögeln besetzt war. Sie ahmte das Brüllen eines Eisbären nach. Dann kicherte sie.

Aber Haudo runzelte die Stirn. »Wir dürfen den Eisbären niemals nachmachen, Terve«, erinnerte er sie mit dem schulmeisterlichen Ton, den ältere Brüder so an sich haben. »Er ist der Urahn des Landes, und wir müssen ihn ehren.«

Terve schmollte. »Du bist ein Spielverderber, Haudo. Ich wünschte, ich wäre zu Hause geblieben.«

Haudo seufzte. »Du hast mir so lange in den Ohren gelegen, daß du mitwillst, bis Vater es so entschieden hat. Ich habe ihm gesagt, du wärst zu klein. Ich habe Vater gesagt, du würdest müde werden und wärst überhaupt keine Hilfe. Aber sie wollten dich aus dem Weg haben, damit sie einmal in Ruhe Seile aus Seehundshaut flechten können, darum habe ich – «

»Das stimmt gar nicht! Ich kann auch mithelfen, Eis für den Frostsplitterer zu finden.«

»Dann mach das«, knurrte Haudo. »Und, kleine Schwester, sei einmal in deinen acht Wintern still, wenn du etwas tust.«

»Du bist nur vier Winter älter als ich, Bruder«, beklagte sich Terve, doch dann hielt sie für kurze Zeit den Mund. Der Junge und das Mädchen stocherten ein wenig in dem Geröll um den Splittererfels herum, einem Vorsprung aus fest gefrorenem Eis, der mit dem Eisboot von ihrem Lager aus eine Stunde entfernt lag. Ihr Boot lag ein Stückchen weiter auf der Seite, das große Segel flach auf dem Eis. Die langen Holzkufen glänzten. Das Packeis des Eisreichs war hier glatt genug, um mit dem traditionellen Fortbewegungsmittel des Eisvolks vorwärtszukommen, obwohl Senken in Schnee und Eis und gelegentliche Gletscherspalten, die von Flugschnee zugeweht waren, den Weg gefährlich machten. Von hier aus gesehen, schien sich das Eisreich in sanften Hügeln zu wellen. Haudo konnte kaum mehr den Rauch von den Torffeuern seines Heimatdorfs erkennen.