Genausowenig wie die andere Botschaft. Die Armeen deines Vaters haben das Dorf überrannt. Der Valdan erprobt seine Macht, Kai-lid.
Xanthar, wir haben keine Zeit zu verlieren. Wir müssen die vier zum Sla-Mori bringen und ins Eisreich schaffen.
Ich habe eine Idee. Unter Kai-lids Augen erhob sich die Eule vom Baum und schwang über den Düsterwald davon. Gleich darauf war sie nicht mehr zu sehen.
»Worüber habt ihr gesprochen?« fragte Tanis leise von seinem Posten aus. »Kitiara hat mir von eurer Telepathie erzählt.«
Kai-lid antwortete langsam. »Ich glaube, Xanthar will nach dem Ettin Ausschau halten.«
Tanis nickte, obwohl sein Blick Zweifel verriet. »Du glaubst also, wir sollten weiter versuchen, ihn zu fangen? Auch wenn er wahrscheinlich von diesem bösen Zauberer, diesem Janusz, geschickt ist?«
Sie zögerte. Dieser Halbelf schien ein anständiger Mann zu sein. Vielleicht konnte sie ihm gegenüber ehrlicher sein. Vielleicht würde Tanis freiwillig den vielen tausend Menschen zu Hilfe kommen, die ganz sicher durch die Hand ihres Vaters sterben würden, wenn man den Valdan nicht besiegte. Kai-lid machte langsam den Mund auf.
Aber Caven Mackid mischte sich ein. »Wir sollten den verdammten Ettin fangen, sofort nach Haven zurückkehren und unsere Belohnung abholen, Tanis. Laß die Frau ihren Kampf allein ausfechten.« Er deutete mit dem Kopf auf Kai-lid. »Ich verstehe sowieso nicht, warum Dreenas Magd in diese Sache mit dem Ettin verwickelt ist.« Er hatte eindeutig nicht geschlafen. Seine Stimme war gereizt, und seine Augen waren von Ringen umgeben.
»Ich bin auch Cavens Meinung«, sagte Kitiara, um die Debatte neu zu entfachen. »Bringen wir den Ettin um. Dazu sind wir schließlich losgezogen.«
»Und dann?« fragte Kai-lid.
»Dann?« wiederholte Kitiara.
»Dann kannst du mit deinen fünfzehn Stahlmünzen sicher nach Hause gehen, während der Valdan auf seinem Weg zur Macht alles zerstört«, sagte Kai-lid bitter.
»Das behauptest du, Zauberin. Ich bin da nicht so überzeugt.« Die Kriegerin streckte sich genüßlich. »Jedenfalls ist es nicht mein Problem. Ich arbeite nicht mehr für den Valdan.«
Caven nickte. »Das sind zwei Stimmen für fünfzehn Stahlmünzen«, betonte er.
Kitiara nickte, doch Tanis schien wenig überzeugt. Er starrte Kai-lid an. »Ich glaube, du verheimlichst uns etwas, Zauberin«, sagte er leise. »Ich wünschte nur, ich wüßte, was es ist. Warum sollten wir dir vertrauen, Lida Tenaka?«
Kai-lid setzte zu einer Antwort an, drehte sich dann aber um.»Großes Huhn!« rief Res. Er fuhr zuerst auf, wodurch er Lacuas Seite mit hochriß. »Essen! Essen!«
Der linke Ettinkopf protestierte. »Kein Huhn, Dummkopf. Zu groß. Vielleicht Gans.«
»Aber Abendbrot?«
»Ja.«
Xanthar seufzte auf seinem Ast hoch über dem Ettin. »Ich bin eine Rieseneule, ihr hohlköpfigen Einfaltspinsel.«
Die zwei Köpfe sahen einander an. »Huhn redet?« Argwöhnisch schauten sie zu Xanthar hoch. »Hohl… Was sagen?«
»Das war ein großes Kompliment«, sagte Xanthar trocken. »Vertraut mir.«
»Ah«, nickte Lacua. »Ein Kompliment.«
»Abendbrot weiß große Worte«, stellte Res fest.
»Ich habe eine Mitteilung für euch«, sagte Xanthar.
»Mit-tei…«, Lacua blieb an dem Wort hängen.
Xanthar ergänzte seine Worte. »Ich habe etwas Wichtiges für euch.«
»Ah!«
»Über Kitiara Uth Matar.«
»Wer?« stammelte Res.
Lacua piekte ihn. »Frau Soldat, Dummkopf«, sagte der linke Kopf. Dann, zu Xanthar: »Sag jetzt.«
»Sie will den Düsterwald verlassen.«
Res protestierte. »Geht nicht. Muß Res-Lacua zum Fieberberg folgen. Meister sagt – «
»Still!« Lacua zog Res mit der Keule eins über. Res rieb sich schmollend den Schädel.
»Sie werden dir nicht weiter folgen, Ettin«, sagte Xanthar schnell, während er den Kopf drehte, um hingebungsvoll eine Schwungfeder mit dem Schnabel glattzustreichen. »Sie wollen fort.« Er wandte sich wieder dem sorgenvoll dreinschauenden Monster zu.
»Gut. Res geht auch heim«, beschloß der rechte Kopf.
»Nein!« unterbrach Lacua. »Muß Frau Soldat kriegen.«
»Ihr könntet sie jetzt gleich entführen«, schlug die Eule vor.
Der Ettin sah wieder hoch. »Entführen?«
»Fangen.«
»Fangen! Res weiß fangen!« Der rechte Kopf grinste. Lacua sah nachdenklich aus. Dann wiederholte er: »Gleich fangen.«
»Ich habe euch etwas Wichtiges gesagt«, meinte Xanthar. »Findet ihr nicht, ich habe zur Belohnung einen Gefallen verdient?«
Der Ettin nahm eine doppelt mißtrauische Haltung ein. »Gefallen? Wie Gefallen?«
»Ihr dürft niemanden verletzen. Nehmt Kitiara, die Frau Soldat, die zwei Männer und den Jungen, wenn ihr wollt.« Xanthar starrte den Ettin an, bis Res-Lacua unruhig mit den Füßen scharrte. »Aber nicht die andere Frau.«
Ein listiges Lächeln legte sich über Lacuas Gesicht. »Und wenn Res-Lacua dem Riesenhuhn nicht Gefallen tut?«
Xanthars Augen wurden zu Schlitzen. »Dann nehme ich das Wichtige zurück.«
»Warte! Nein! Brauchen Wichtiges!«
»Nun, dann…«
»Keinen nicht verletzen. Nein, nein, nein. Frau Soldat fangen, Männer, Jungen. Ja, ja. Jetzt Wichtiges behalten?« Lacua hielt inne, um tief Luft zu holen.
»Ja«, gab Xanthar zurück. »Wichtiges behalten.«
Die Rieseneule flog davon.
Sobald Xanthar außer Sichtweite war, schrie Lacua auf und schlug sich mit der Hand an die Brust. Er zog den Redestein heraus. »Meister redet?«
Die Stimme kam aus dem kleinen, flachen Stein, doch sie erfüllte den Wald rings um den Ettin. Die Augen der Untoten, die sich ebenso um das Monster scharten wie um die anderen, wichen zurück, als die Blätter der verrenkten Bäume von den Schwingungen zitterten. Die Stimme klang müde. »Tu, was die Eule sagt. Greif Kitiara und die anderen an.«
»Ja«, flüsterten die zwei Köpfe.
»So schnell wie möglich.«
»Ja.«
»Bring sie zum Fieberberg.«
Sie nickten.
Es entstand eine Pause, als ob die Stimme überlegte. »Was die andere Frau angeht…«
»Meister?«
»Fang sie auch. Ich bin neugierig auf sie.«
»Was ist mit nettem Gefallen?«
»Vergiß den Gefallen. Wir haben das Wichtige.«
»Ah. Fangen.«
Janusz ließ den Ettin die Anweisung noch dreimal wiederholen. »Noch Fragen?« fragte er schließlich.
»Kein Abendbrot hier. Blöder Wald leer. Res-Lacua mag kein totes Essen. Hungrig.«
Janusz beschloß, dem Ettin gegenüber großzügig zu sein. »Töte einen von den anderen, wenn du willst. Aber verletze die beiden Frauen nicht. Bring sie zu mir.«
»Essen?«
» Einverstanden.«Kai-lid, ich habe dem Ettin gesagt, wo wir sind. Der Ettin wird sie entführen.
Xanthar! Was hast du getan?
Die vier hier werden ewig herumstreiten, während Unschuldige sterben. Ich habe die Sache nur beschleunigt. Keine Sorge, du bist sicher. Das hat der Ettin versprochen. Aber ich habe wohl recht gehabt, Kai-lid. Sie werden zum Fieberberg gebracht und von da aus zum Sla-Mori, in das Tal direkt im Süden des Berges.
Und? Wenn der Ettin sie erwischt, folgen wir ihm und vergewissern uns, daß sie den Sla-Mori finden. Wenn sie erst im Eisreich sind, werden sie den Valdan bekämpfen. Sie haben ja gar keine andere Wahl. Wenn die Magie des Düsterwalds sich bewährt, werden sie bald vergessen haben, daß sie jemals hier waren. Und auf dich, meine Liebe, fällt kein Verdacht.
Kai-lid war sprachlos.
Du könntest auch danke sagen.
Doch sie sagte nichts.
Als kurz darauf der Angriff kam, fuhren Tanis und Kitiara gleichzeitig mit blitzenden Schwertern hoch, um der Gefahr zu begegnen.
Ein gewaltiges Monster, das nach ranzigem Fleisch und totem Stinktier stank, stürzte sich brüllend auf sie, während es in jeder Hand eine Keule schwang. Beim ersten Blick auf das fürchterliche Ungetüm bäumte sich Wods Stute vor Schreck auf und galoppierte in den Wald. Die zwei Keulen des Monsters ließen die stählernen Schwerter, die gegen das versteinerte Holz schlugen, wie Zwergenwaffen erscheinen. Kitiara zuckte unwillkürlich zusammen.