Janusz hatte eine solche Macht, daß die Söldner von dem Feuer nichts fühlten als eine angenehme Wärme an ihren Füßen. Ein heißer Wind wehte durch das Lager, doch auch das war angesichts der Nässe beinahe angenehm. Aber der Wind führte auch Asche mit sich, und bald tränten den Söldnern die Augen.
Die Klügeren hielten ihre Wollmäntel vor Mund und Nase. Lloiden nicht. Hustend fiel er vor seinem Zelt auf den Boden. Kitiara fragte sich, ob sich Janusz so für Lloidens Aufbegehren am Morgen rächte.
Und dann war alles vorbei. Der feurige Regen war so plötzlich zu Ende, wie er begonnen hatte. Die Wolke verpuffte zu nichts. Die Söldner wagten wieder zu atmen. Wo einst ein mächtiges Schloß gestanden hatte, war jetzt nur noch eine rauchende Ruine. Noch immer klaffte die Öffnung in der Vorderseite des Schlosses, doch noch wagte sich keiner hinein. Die Luft war voller Asche und stank grauenvoll nach verkohltem Fleisch.
Im Lager erhob sich zitternd eine Stimme. »Und wozu hat er uns gebraucht?« fragte der Soldat.
Da kam der Valdan hinter Janusz’ Zelt hervor. Er zeigte mit dem Schwert auf Kitiara, die immer noch am Baum lehnte. »Zum Angriff!« schrie er mit puterrotem Gesicht. »Ich habe euch angeheuert, um meine Feinde vom Erdboden zu vertilgen! Also tut das auch!«
»Valdan«, sagte Kitiara benommen, während sie sich zwang, aufrecht zu stehen, »es gibt keine Feinde. Euer Zauberer hat sie alle getötet.«
Aber der Anführer fuchtelte mit seinem Schwert wie ein Kind, das nach einem eingebildeten Monster sticht. »Überzeug dich davon, Hauptmann! Ich will sicher sein, daß alle tot sind.«
Kitiara setzte noch einmal an. »Valdan, es kann unmöglich jemand über – «
»Findet sie!«
Niemand durfte sich ihm widersetzen. Halbtot von der Anstrengung, die ihn der Feuerregen gekostet hatte, schleppte sich Janusz den Hügel hoch. Seine Stimme war kaum zu hören, sein Gesicht von Asche und Schweiß überzogen. »Valdan, es ist zu heiß da drin, als daß sich unsere Soldaten hineinwagen könnten.«
»Dann mach Regen!«
Janusz blickte den Valdan lange an. Dann drehte er sich wortlos um und taumelte wieder den Hang hinunter. Kitiara hörte neuen Singsang.
»Es regnet!« rief ein Soldat.
Das stimmte. Es waren keine Wolken zu sehen, aber dennoch hatte der Magier einen leichten Schauer hervorgerufen, der in der Hitze des zischenden, glühendheißen Schlosses verdunstete. Einer der Generäle – der selbstbewußte – befahl seinen Truppen, in das Schloß des Meir vorzurücken. Kitiaras Leute sollten auf Anweisung des Generals um das ausgebrannte Gebäude herum Stellung beziehen.
Kaum waren die Soldaten zwischen die glühenden Säulen getreten, die einst das Haupttor flankiert hatten, als in der Vorhut von Kitiaras Männern ein Schrei ertönte. Der Schrei wurde von Mann zu Mann weitergegeben, bis er schließlich zu verstehen war. »Wir werden angegriffen!«
»Wie?« kreischte der Valdan. Seine blauen Augen quollen hervor, und er fuchtelte noch wilder mit dem Schwert herum. »Zauberer!«
Kitiara zog ihr Schwert aus der Scheide und rannte ein paar Schritte nach unten, um sich ihrer Truppe anzuschließen, doch der Valdan rief sie zurück. »Hol den Zauberer und komm mit ihm in mein Zelt!« befahl er.
»Aber meine Männer…« Kitiara sah zu ihnen hin. Sie sah, wie sie scharenweise im Sturm Hunderter berittener Adliger in Scharlachrot und Königsblau fielen, denen Bauern mit Hacken, Äxten und an Stangen befestigten Pflugscharen folgten. Unbeholfene Waffen vielleicht, doch nicht in den Händen von Männern und Frauen, die damit Haus und Leben verteidigten.
Den Geruch von Rauch und Matsch in der Nase rannte Kitiara zum Zauberer hinunter. Janusz saß mit aschfahlem Gesicht und geschlossenen Augen auf einem großen Stein. Die Hände lagen mit nach oben gekehrten Handflächen still in seinem Schoß. »Der Valdan will Euch sehen, Zauberer«, sagte Kitiara.
Er riß die Augen auf. Kitiara mußte sich vorbeugen, um seine Worte zu verstehen. »Ich… kann nicht mehr«, flüsterte Janusz. »Habe keine Kraft mehr.« Er hustete und schloß die Augen wieder.
»Wir werden von einer großen Meiriarmee angegriffen«, beharrte Kitiara.
»Ich weiß.«
»Vielleicht noch mehr Feuer –?«
Der Zauberer warf ihr einen fragenden Blick zu und schüttelte verächtlich den Kopf. Kitiara kannte die Regeln der Magie von ihrem Bruder: Ein einmal verwendeter Spruch verschwindet aus dem Kopf des Zauberers, bis er ihn sich wieder neu einprägen kann. Starke Magie zehrt sehr an der körperlichen Kraft. Wenn man jetzt noch mehr von Janusz verlangte, konnte das seinen Tod bedeuten.
»Aber der Valdan – «, versuchte sie es noch einmal.
»Ich komme. Gib mir deinen Arm.«
Kitiara half dem Zauberer den Hügel hoch zum Zelt des Valdan, wo sie ihn vor dem kleinen Tisch des Anführers auf eine Bank setzte. Sie zog sich zum Eingang zurück, ohne jedoch ganz zu verschwinden. Einer der Generäle kam blutverschmiert herein und schob sie beiseite. »Valdan, wir verlieren!« rief er.
Der Valdan sprang auf. Seine blauen Augen unter den karottenroten Haaren blitzten. »Wie kann das angehen?«
»Sie sind siebenmal so viele wie wir.«
»Aber ich habe euch angeheuert, um die Meiri zu schlagen!« Mit der Hand am Schwert näherte sich der Valdan dem Söldnerführer.
Der General war verzweifelt. »Wir müssen uns zurückziehen. Vielleicht können wir uns in den Bergen wieder sammeln und neu formieren…« Er machte einen Schritt zurück.
»Nein!« Schnell zog der Valdan sein Kurzschwert und stieß es dem General in den Bauch, wo er die Waffe abrupt zur Seite riß und die Wunde so verbreiterte. Der General brach tot in einer Lache seines Blutes zusammen.
Der Valdan beugte sich über ihn, um dem Leichnam das Rangzeichen abzureißen. Das blutige Abzeichen gab er Kitiara. »General Uth Matar«, sagte der Valdan ohne Regung, »übernimm das Kommando.«
Kitiara schluckte. Hinten lächelte der Zauberer mit kaum verhohlener Verachtung. Sie war zum General einer geschlagenen Armee ernannt worden, und das von einem verrückten Anführer, der seine besiegten Generäle hinrichtete. Kein Wunder, daß Janusz vor Hohn strahlte. Kitiara würde den Tag nicht überleben, und die purpurfarbenen Juwelen des Magiers würden sein Geheimnis bleiben.
Dem Gesicht des Valdan nach hatte Kitiara jedoch eine große Ehrbezeugung empfangen. »Dank, Herr«, sagte sie mit möglichst wenig Ironie in der Stimme. Sie stieg über den Leichnam ihres Vorgängers und stellte sich wieder an die Tür. Sobald der Valdan seine Aufmerksamkeit dem Zauberer zuwandte, schlüpfte sie durch die Tür und rannte zu ihrem eigenen Zelt. Unterwegs warf sie das Generalsabzeichen in den Dreck.
Als Kitiara am Zelt des Zauberers vorbeikam, wurde sie langsamer. Janusz war im Zelt des Valdan beschäftigt, und zudem war er mittlerweile stark geschwächt. Kitiara war sich sehr sicher, daß das Sandelholzkästchen nicht mehr mit Fallen gesichert war. Sie zögerte. Ohne Frage würde der Valdan seinen geschlagenen Söldnern wohl kaum nachjagen, um ihnen den schuldigen Sold auszuzahlen. Wenn sie schon vom Schlachtfeld floh, konnte sie genausogut ihren Lohn in Form von ein, zwei Purpurjuwelen mitnehmen.
Kitiara sah sich um und schlüpfte ins Zelt. Augenblicklich kniete sie vor der Truhe. Sie holte tief Luft und in der Hoffnung, daß der Zauberer keine magische Schlange darin hielt, die seine Reichtümer bewachte, hob sie den schweren Deckel hoch. Nichts geschah. Sie zog das Sandelholzkästchen heraus. Wenn der Magier irgendwo Fallen angebracht hatte, dann hier. Sie klappte den Deckel auf. Wieder nichts.
Angesichts des Glanzes der neun purpurfarbenen Steine, der ihr aus dem Sandelholzkästchen entgegenstrahlte, vergaß sie ihre Angst. »Die Macht von zehn Leben«, hatte der Zauberer gesagt. Vielleicht konnte sie diese Macht entfesseln. Sie würde einen Magier brauchen, der ihr half. Und welcher Magier sollte das tun, wenn nicht ihr eigener Bruder, Raistlin, zu Hause in Solace? Seit er ein kleiner Junge war, ging er in eine Zauberschule. Sie wußte, daß er begabt war; auf jeden Fall aber war er loyal.