Mit diesen Worten trat Xanthar vor. »Laß mich mal«, flüsterte der Vogel. Er öffnete seinen großen Schnabel mit den Sägezähnen am Rand und begann zu graben. Schnell wurde aus der Mulde eine flache, längliche Grube.
Schließlich wich Xanthar zurück. »Das ist tief genug«, sagte er. Er spuckte aus und reinigte seinen Schnabel von der Erde, indem er ihn durch seine Schwungfedern zog.
Caven wollte Einwände erheben, weil das Grab so flach war, gab dann aber nach. »Na gut«, sagte er erschöpft.
Behutsam legten sie Wods Körper in die Grube und bedeckten ihn mit Zweigen, Blättern, Erde und Steinen. »In Kern gedenkt man der Toten schweigend«, sagte Caven. Der Halbelf und die Eule folgten seinem Beispiel, als er lange Minuten mit gesenktem Kopf am Grab stand. Als er schließlich aufblickte, waren seine Augen feucht, doch sein Gesicht entschlossen. Er pfiff nach Malefiz. Das Pferd war unruhig, während Caven und Tanis Kitiaras Packsack und wichtige Habseligkeiten aufluden. Nachdem sie in Wods Gepäck nichts Wichtiges außer einem kleinen Amulett von seinem Namenstag gefunden hatten, steckten sie neben dem Grab einen Stock in die Erde und hängten den Sack daran.
Dann bestiegen die beiden Männer Malefiz. »Normalerweise rücke ich nur mit Frauen so eng zusammen, Halbelf«, beschwerte sich Caven. Tanis rutschte schnaubend hinter dem Kerner auf den breiten Rücken des Hengstes. Xanthar kreiste über ihnen, als sie Kitiara und Kai-lid nachritten.
Der Pfad schien ins Bergland zu führen, doch diesmal waren die Fußspuren des Ettins kaum zu erkennen. Wieder und wieder rutschte der Halbelf von Malefiz, um unter Pflanzen und Moder nach den riesigen Abdrücken zu suchen. »Jetzt ist er mehr auf der Hut«, überlegte der Halbelf.
Es mußte bald dämmern. Tanis fiel auf, daß er sich schon längst keine Gedanken mehr darüber machte, welche Tageszeit außerhalb des Düsterwalds herrschte. Der Wald wurde heller, wodurch er etwas von seiner erschreckenden Atmosphäre verlor. Die Augen der Untoten blinzelten und verschwanden allmählich.
»Das ist deine Schuld, Halbelf«, sagte Caven fast bitter. Als der Halbelf, der hinter Caven saß, überrascht zurückrückte, fuhr der Kämpfer fort: »Dein Pferd. Dein nutzloses Tier hat versagt.«
»Dein Hengst ist schlecht dressiert. Er hat dich nicht einmal aufsitzen lassen.«
»Dein Wallach war ein Feigling.«
»Paladin hat mich sicher durch viele Gefahren getragen, Mackid. Du hast seinen Tod selbst verursacht durch diesen melodramatischen Rettungsversuch.«
»Kein großer Verlust bei so einem Gaul.« Caven schwieg eine Zeitlang. Tanis gab sich größte Mühe, seinen Zorn zu beherrschen. »Außerdem warst du es, der Kitiara von dem Ettin erzählt hat, Halbelf.«
»Und du wußtest, daß es eine Verbindung zwischen dem Ettin und dem Valdan und Janusz geben könnte, aber du hast nichts gesagt!«
So ging es weiter. Sie wurden immer hitziger und bösartiger, bis Xanthar vom Himmel herabschoß und vor ihnen auf einem Ast landete, der über den Pfad ragte. Malefiz wieherte und blieb stehen.
Ihr zwei ermüdet mich.
»Du uns auch, Eule!« brach Caven los, der sich verrenkte, um den Riesenvogel anzusehen. »Warum führst du uns nicht einfach zu Kitiara und der Zauberin und ersparst uns dein Gefasel.«
»Du sprichst doch bestimmt telepathisch mit der Zauberin«, stellte Tanis fest. »Das würde es uns wenigstens ersparen, nach den Fußspuren des verdammten Dings zu suchen.«
Ich habe versucht, mit ihr Kontakt aufzunehmen. Sie ist viel zu weit entfernt. Meine Fähigkeit hat ihre Grenzen.
»Wozu bist du dann gut? Du bist so unnütz wie der Halbelf!« Caven trat Malefiz in die Flanken, damit er weitertrabte.
Xanthar redete ungerührt weiter, doch seine hellen Augen nahmen jede Regung der zwei Männer wahr. Wißt ihr, Kitiara bekommt ein Kind.
Die beiden hielten an.
»Ein Kind?« Beide Männer sagten zugleich: »Ich werde Vater!«
Entsetzt blickten sie einander an. Auf Cavens Gesicht zeigte sich daraufhin Verstimmung, aber Tanis war sprachlos.
Die Eule lachte. Ihr beide, ja? Noch etwas, worüber ihr euch streiten könnt. Das will ich nicht mit anhören. Mit einem Zucken seines kurzen Schwanzes und einem Schlag seiner Schwingen begann Xanthar wieder aufzusteigen. Malefiz fiel ohne Cavens Kommando in Trab. Der schwarzbärtige Soldat sagte grob zu dem Halbelfen: »Ich bin es, weißt du, Halbelf. Ich bin der Vater.«
Tanis schnaubte.
»Mich kennt sie länger als dich.«
»Als ob das eine Rolle spielt, Mackid.« Die Enthüllung erklärte zumindest Kitiaras Empfindlichkeit und Gereiztheit.
»Ich muß es sein«, beharrte Caven wütend. »Sie liebt nämlich mich. Sie hat dich damals in Haven angelogen. Sie ist bei mir geblieben. Oh, Kitiara kann mich ausrauben und mir davonrennen, aber wenn ich auftauche, kann sie nicht widerstehen!« Er lachte.
Wütend versetzte Tanis Caven einen Schlag. Die beiden Männer rutschten von Malefiz und begannen, miteinander zu raufen. Staub und Pflanzenteile flogen durch die Luft, während sie aufeinander einschlugen. Xanthar kam wieder herunter, landete und sah amüsiert zu.
Tanis war dem großen Mann gewichtsmäßig unterlegen, so daß der schmale Halbelf bald an den Boden genagelt war, wo er unter Cavens Körper nach Atem rang. Tanis spuckte Erde aus und schäumte angesichts dieser Demütigung. Der Halbelf schlug erfolglos um sich, denn solange Caven auf seinem Rücken saß, konnte Tanis wenig tun. Schließlich bekam er genug Luft, um mehr als ein Flüstern herauszubringen. Caven konnte ihn nicht verstehen und beugte sich vor.
»Was ist, Halbelf?«
»Ich habe gesagt, es dürfte interessant sein, Kitiara Uth Matars Mann zu sein. Denk doch mal, du heiratest deine eigene Vorgesetzte. Was muß das für eine Ehe sein!«
Caven stand eilig auf, so verwirrt war er. Dadurch konnte Tanis sich umdrehen und aufstehen.
»Heiraten?« fragte Caven. »Wer hat denn was von Heiraten gesagt? Du kennst doch Kitiara. Wahrscheinlich gibt es ein halbes Dutzend Männer zwischen hier und Kern, die als Vater für Kitiaras Kind in Frage kommen.«
»Und einen Halbelfen – vergiß das nicht.«
Die Worte des Söldners trieften vor Sarkasmus. »Ich nehme an, unser ehrenwerter Tanis, der Halbelf, möchte seine Dame heiraten, ihr ein gemütliches Häuschen bauen, und dann leben sie glücklich bis an ihr Lebensende.« Tanis merkte, wie sein Gesicht rot wurde, denn das kam tatsächlich seinen Absichten peinlich nahe. Caven brüllte vor Lachen und klopfte dem Halbelfen auf den Rücken. »Halbelf, das hier ist das wahre Leben, kein Märchen! Du könntest Kitiara höchstens in einer Gefängniszelle festhalten.«
»Soll das heißen, daß du nicht der Vater bist?«
Caven blieb auf seinem Weg zu Malefiz kurz stehen. »Ich finde, daß ich am ehesten in Frage komme«, grinste er, »aber das wird Hauptmann Uth Matar nie beweisen können.«
Ein dicker Ast fiel plötzlich vom Himmel und verfehlte die beiden nur knapp. Fluchend sprangen die Männer zurück und sahen mit kampfbereiten Schwertern nach oben. Xanthar wollte dem ersten Ast gerade einen zweiten hinterherschicken.
Ihr seid widerlich. Jeder will die Ehre, aber keiner die Verantwortung.
»Ich würde sie heiraten«, sagte Tanis betreten mit einem wütenden Blick auf Caven, der die Augen verdrehte und sein Schwert wegsteckte.
Das ist lobenswert, Halbelf. Vielleicht denkst du auch noch daran, Kitiara zu fragen – falls du dazu überhaupt noch Gelegenheit bekommst. Aber erst mal, ihr zwei ausgewachsenen Streithähne, sollten wir sie doch mal dem Ettin entreißen. Ansonsten verlieren wir sie – und Lida – nämlich noch in den Weiten des Sla-Mori.