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»Des Sla-Mori?« fragte Tanis. »Du weißt also, wo der Ettin sie hinbringt?«

Ich kann es mir denken.

»He, wartet mal kurz«, warf Caven ein. »Was ist ein Sla-Mori?«

»Ein Sla-Mori ist ein Geheimgang – ein magischer Weg, um von einem Ort zum anderen zu gelangen«, erläuterte Tanis.

Caven wirkte nach dieser Erklärung kaum weniger verwirrt, und die Eule mischte sich ein. Es gibt Gerüchte über einen Sla-Mori hier im Düsterwald. Nach einem davon befindet er sich nicht weit von hier in dem Tal am Fieberberg. Es heißt, daß er den Benutzer weit nach Süden bringt – vielleicht sogar bis ins Eisreich, auch wenn andere sagen, daß sein Ziel anderswo liegt.

»Gerüchte?« fragte Caven matt. »Wir dringen immer tiefer in den Düsterwald ein – nur wegen eines Gerüchts?«

»Denn wir folgen dem Rat aus einem Traum«, fügte Tanis hinzu. Ein kurzes Lächeln erhellte einen Moment lang sein Gesicht.

Die Eule fuhr gleich fort. Der Sla-Mori ist einfach die logische Lösung. Der Ettin hat gesagt, der Fieberberg wäre neben dem Sla-Mori – oder jedenfalls neben seinem angeblichen Platz.

»Warte mal«, unterbrach Caven erneut. Er kochte vor Wut; die einzige Farbe in seinem Gesicht war ein scharlachroter Streifen hoch auf seinen Wangenknochen, der von seinen schwarzen Haaren und vom Bart begrenzt wurde. »Du wußtest die ganze Zeit, daß der Ettin Kitiara fangen wollte? Wenn du uns das mitgeteilt hättest, wäre Wod jetzt vielleicht noch am Leben!«

Xanthar hatte immerhin den Anstand, beschämt auszusehen, doch er verbarg diesen Ausdruck, indem er seinen Schnabel an einem Ast wetzte. Ich wußte nicht, wie gefährlich es wirklich war. Ich dachte, er würde euch und die Kämpferin nehmen, aber ich habe nicht geglaubt, daß einer zu Schaden kommen könnte.

»Aber du hast uns bereitwillig dem Risiko ausgesetzt!« schrie Tanis.

Xanthar sah sie finster an. Wir stehen jetzt auf derselben Seite, Halbelf. Du hast keine andere Wahl, als mir in dieser Sache zu vertrauen. Und ich sage weiter nichts. Kreischend flog die Eule los.

Caven und Tanis sahen sich verwirrt an, als die Rieseneule losbrauste. Dann blickten sie zu Malefiz, der unter einem nahen Busch graste.

»Und, Halbelf?« fragte Caven. »Was jetzt?«

Tanis runzelte die Stirn. »Ganz gleich, was die Eule vorhatte, Tatsache ist, daß der Ettin Kitiara und die Zauberin hat und diese weit wegschaffen will, wenn wir ihn nicht aufhalten.«

»Und ist das unser Problem, Halbelf? Deins und meins?«

»Mag sein. Schließlich war da noch das Gedicht der Zauberin: ›Drei Liebende, die Zaubermaid.‹ Man braucht nicht so helle zu sein wie ein Irrlicht, um anzunehmen, daß das auf uns gemünzt ist.«

»Na und?« murmelte Caven. »Wer bezahlt uns dafür, daß wir uns einmischen? Oder sollen wir unser Leben etwa aus reiner Herzensgüte riskieren?«

»Es lohnt sich, offen zu bleiben.« Tanis blickte in die Richtung zurück, aus der sie gekommen waren. »Der Pfad ist verschwunden«, erinnerte er Caven. »Falls du den Düsterwald nicht gut genug kennst, um uns hier rauszuführen, schätze ich mal, daß vorwärts die beste Wahl ist.«

Caven dachte kurz nach und schüttelte dann den Kopf, als litte er Schmerzen. »Ich habe meinen Neffen verloren. Ich sitze hier fest auf der Suche nach einer Frau, die mich mindestens einmal reingelegt hat und die vielleicht – aber vielleicht auch nicht – ein Kind von mir bekommt. Und obendrein ziehe ich auch noch mit einem romantischen Halbelf herum, der glaubt, daß nur er der Vater sein kann. Bei den Göttern!«

Der Halbelf lächelte. »Das stimmt«, sagte Tanis, der mit einem Blick, der verriet, daß er dem Hengst keinen Unfug durchgehen lassen würde, auf Malefiz zuging.

»Hä?« Caven rannte dem Halbelfen nach und holte ihn ein, als dieser gerade nach dem schwarzen Pferd griff.

»Du sitzt fest«, sagte Tanis, der Malefiz bestieg. Er reichte Caven Mackid die Hand, damit der Kerner sich hinter ihm aufschwingen konnte. »Genau wie ich. Also los.«

»Schau mal!« schrie Kitiara auf einmal. »Hast du das gesehen, Zauberin?«

Die Zauberin blickte in die Richtung, in die Kitiara zeigte. »Ich sehe nichts«, sagte Kai-lid. »Nur die Augen der Unt…« Kitiara stieß ihr in die Rippen, so daß die Magierin still wurde.

Auch der Ettin folgte Kitiaras Zeigefinger. Bisher war er hinter ihnen hergetrabt und hatte beide Keulen bereitgehalten, damit die Frauen auf dem Pfad blieben, der sich vor ihnen auftat und hinter ihnen augenblicklich wieder verschwand, sobald das zweiköpfige Wesen vorbeigegangen war. »Die Hand von Janusz«, hatte Kitiara gemurmelt, als ihr das erstmals aufgefallen war.

»Was sehen?« rief Res-Lacua jetzt. »Was sehen?«

»Ein Schwein!« Kitiara tat so, als ob sie es zur Rechten erkennen könnte. »Da – ein zartes Schweinchen!«

»Ja!« stimmte Kai-lid mit ein. »Jetzt seh’ ich es auch.«

»Essen!« Der Ettin lebte auf. Er schoß ins Gebüsch, wo nur die hungrigen Untoten warteten, wie Kitiara wußte. Der Ettin blieb stehen und sah zu den Frauen zurück. Mit einer Handbewegung wies er sie an: »Ihr bleibt hier!« Kitiara und Kai-lid nickten, als er verschwand.

»Die Untoten müßten im Nu mit ihm fertig werden«, flüsterte Kitiara Kai-lid zu. »Dann kannst du deine Eule rufen, damit sie uns holt.«

Die Magierin schaute zweifelnd drein. Seit der Ettin sie verschleppt hatte, hatte Kitiara Kai-lid schon mehrmals zugeflüstert, sie sollte ihre Magie anwenden und sie beide aus der Hand des Ettins befreien, doch Kai-lid hatte nur den Kopf geschüttelt. »Ich kann es nicht«, gab sie schließlich zu. »Ich habe schon versucht zu zaubern. Es ist nichts passiert.«

»Wieso nicht?« wollte Kitiara wissen. »Ist es der Wald?« Doch die Zauberin hatte nur mit den Achseln gezuckt. Auf ihrer Stirn standen Sorgenfalten.

Nachdem jetzt Kitiara die Sache selbst in die Hände genommen hatte, wartete sie auf den Schrei, der ihr verraten würde, daß die Untoten den Ettin einkreisten, sich an seiner Angst labten, sein Entsetzen steigerten, ihn umbrachten – und die Frauen befreiten.

Dann würde sie – zusammen mit dieser nutzlosen Zauberin – zu der Lichtung zurückkehren. Sie würde zu ihrem Packsack zurückkehren. Sie würde die Eisjuwelen holen, die all das ausgelöst hatten. Sie fragte sich, ob Tanis und Caven wohl noch auf der Lichtung waren. Wenn sie gegangen waren – ob sie so klug waren, ihre Sachen mitzunehmen? Oder hatten sie den unersetzlichen Sack womöglich den Untoten dagelassen? Kitiara horchte auf den Ettin, der durch das Unterholz brach, und wartete auf Res-Lacuas bevorstehenden Tod.

Doch es gab keine anderen Geräusche als die eines Ettins, der auf der Suche nach seinem abendlichen Schwein Schößlinge ausriß. Die beiden Frauen wechselten finstere Blicke.

»Und?« fragte Kai-lid. Kitiara zog die Schultern hoch und ließ sie wieder sinken.

Vor ihnen auf dem Weg tauchte der Ettin auf. Er zog zwei lange Gesichter. Der rechte Kopf schien den Tränen nahe zu sein, während der linke Kopf nur verdutzt aussah. »Schwein ist weg«, klagte Lacua. Mit einer Keule zeigte er auf sie.

»Das fass’ ich nicht«, flüsterte Kitiara, als sie wieder weitergingen. »Wenn man sich nicht einmal darauf verlassen kann, daß die Untoten etwas umbringen, worauf kann man sich dann überhaupt noch verlassen?«

Kai-lid zwinkerte, weil sie anscheinend ein Lächeln unterdrückte. »Die Untoten fressen Angst?« Kitiara nickte, worauf Kai-lid vorschlug: »Vielleicht ist Res-Lacua zu dumm, um zu wissen, daß er eigentlich Angst vor ihnen haben müßte.«

Kitiara blieb wie angewurzelt stehen und fluchte, bis Res-Lacua sie mit der Keule anstieß. Kai-lid ergriff die Söldnerin am Arm und zerrte sie mit sich, doch aus Kitiaras Mund ergoß sich noch minutenlang ein Strom von Flüchen, bevor sie ihr ausgingen.

»Ist schon gut«, beruhigte sie die Zauberin. »Frauen in deinem Zustand reagieren oft gefühlsbetont.«

»Was redest du da?« fauchte Kitiara. »Mir geht’s blendend!« Sie legte sogar noch an Tempo zu, so daß sie jetzt wirklich zügig vorwärtskamen. Während der Ettin einfach längere Schritte machte, mußte Kai-lid praktisch rennen, um mit Kitiara Schritt zu halten. So hatte die Söldnerin ein schnelles Tempo erreicht, als die Magierin in aller Ruhe ihre Schwangerschaft erwähnte.