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Sie wurden von Luftteilchen umwirbelt. »Schnee?« flüsterte Kitiara. Lida, die von dem Schauspiel ganz gebannt war, sagte gar nichts.

Die Teilchen wirbelten weiter herum. Sie glitzerten scharlachrot, lila, tiefgrün, golden und weiß. Kitiara hörte die Zauberin etwas murmeln. Das Wirbeln steigerte sich zum Sturm, als der Ettin auf sie zukam.

Kitiara konnte sich nicht rühren. Janusz’ Magie hatte sie bereits erfaßt, und schreckerfüllt sah sie zu, wie Res-Lacua und Lida – und sie selbst – sich in der wirbelnden Magie auflösten, die sich um sie herum immer mehr zusammenzog, immer schneller kreiste, bis es so aussah, als stünden die drei Gestalten im Zentrum einer großen Windhose. Das purpurne Licht und das magische Summen wurden stärker, bis Kitiaras Augen und Ohren nichts anderes mehr wahrnahmen.

Dann verschwanden sie in einem amethystfarbenen Blitz.

Als Xanthar und die anderen zu dem Tal kamen, bemerkte die Rieseneule die seltsame Szene auf der Spitze des Fieberbergs. Mit vergeblichem Geheul schlug Xanthar mit den Flügeln und versuchte, auf den höchsten Punkt zuzusteuern, denn nur er mit seinen scharfen Augen konnte sehen, was geschah. Aber er war zu schwer, um schnell zu sein; seinen großen Flügeln machte der Wind zu schaffen. Caven und Tanis sahen verwirrt zu, ohne sich zu rühren.

»Was hat denn der Vogel?« murmelte Caven. »Wir sind doch da, oder? In dem Tal? Also, wo ist Kitiara?«

»Merkst du denn nichts?« unterbrach ihn Tanis. »Wie die Luft aufgeladen ist?« Er legte eine Hand an den Kopf und fühlte, wie seine Haare an seiner Hand hängenblieben. Er kämpfte gegen sein Entsetzen an, obwohl er sich plötzlich völlig machtlos vorkam.

Caven hatte sich im Sattel umgedreht und starrte den Halbelfen verwirrt an. Dann blickte der Kerner zu der Eule hoch, die sich kreischend nach oben bewegte. »Was es auch ist, es läßt euch beide durchdrehen«, sagte der Söldner.

Aber Tanis hörte nicht zu. »Wir kommen zu spät!« schrie er und zeigte an Caven vorbei zum Gipfel des kahlen Berges im Norden. Ein glitzernder Wirbel drehte sich um die Bergspitze. Er schien seine Energie aus dem Boden selbst, ja, sogar aus ihren eigenen Körpern zu saugen. Jetzt wankte auch Caven im Sattel, und Tanis mußte ihn stützen. In diesem Augenblick schien die Bergspitze zu explodieren. Als die Explosion jedoch vorüber und das Glitzern erloschen war, sahen die Felsen aus wie zuvor.

»Das waren sie«, sagte Tanis gefühlvoll. »Sie sind fort!«

»Fort?« schimpfte Caven. »Halbelf, wir sind im Düsterwald! Dieser Blitz könnte alles mögliche bedeuten.«

»Nein«, beharrte Tanis störrisch.

Minuten später landete Xanthar auf einem kahlen Baum neben ihnen. Immer wieder drehte er sich, sah den Berg an, dann nach Süden, dann wieder zum Berg. Auf einmal riß der Vogel den Schnabel auf, so daß seine große, wurmartige Zunge zum Vorschein kam, die so lang war wie Tanis’ Hand. Und dann schrie Xanthar auf, ließ seine Wut, seine Verzweiflung und seine Verlassenheit durch das Tal hallen. Selbst Caven erschauerte.

Nach einer Weile beruhigte sich der Vogel. Xanthar fixierte den Halbelfen mit seinem Blick. Lida konnte einen genauso anschauen – ein Blick, der das Opfer festnagelte, es einsaugte, durchbohrte, praktisch seine Gedanken übernahm. Caven mußte wegsehen, doch Tanis hielt dem starren Blick der Rieseneule stand.

Auf dem Boden war der Halbelf gegen das Tier ein Zwerg. Selbst jetzt, wo die Männer auf dem Hengst aus Mithas saßen und der Vogel oben auf dem Ausguck hockte, überragte er sie bei weitem. Er strahlte Wut aus. Dann zwinkerte die Rieseneule und wurde wieder zu dem sardonischen Xanthar.

Wir haben uns geirrt.

Tanis nickte. Caven tat dasselbe, und der Halbelf wußte, daß auch der Söldner die Gedanken der Eule gehört hatte.

Sie sind jetzt im Eisreich.

»Wieso im Eisreich?« fauchte Caven. »Weil so ein blöder Traum das behauptet? Der Valdan hat den Krieg in Kern verloren. Warum soll er fast tausend Meilen nach Süden in eine Gegend wie das Eisreich ziehen, wenn er die Welt erobern will? Falls ihr zwei überhaupt richtig erraten habt, was er will. Wieso ins Eisreich, Eule?«

Vielleicht gibt es dort etwas, was ihm viel wert ist… etwas, was er sucht.

»Nämlich? Schnee?«

Das Omen erwähnt Juwelen.

Caven hielt überhaupt nichts davon. »Juwelen im Eisreich? Das ist lachhaft.«

Es sind schon merkwürdigere Dinge geschehen, Mensch.

Aber der Kerner kochte schon. »Ich will zurück nach Haven.«

Mach, was du willst, Mensch. Es dürfte dir schwerfallen, ohne Führer aus dem Düsterwald herauszufinden.

Caven sah ihn wütend an. »Du würdest uns im Stich lassen?«

Ihr bedeutet mir nichts. Ich will ins Eisreich.

Schließlich sagte Tanis: »Lida hat gesagt, du könntest den Düsterwald nicht verlassen.«

Pause. Sie irrt sich.

Tanis überlegte einen Augenblick. Dann rutschte er von Malefiz. Er begann, seinen und Kitiaras Packsack aus den Gepäckstücken hinter dem Sattel zu ziehen.

»Halbelf!« rief Caven. »Was machst du da?«

»Ich gehe mit Xanthar.«

Caven hüstelte. »Ihr Qualinesti habt mehr Talente, als ich gedacht habe. Du kannst also auch fliegen, Halbelf?«

»Nein, aber er.«

Caven wurde blaß. Er griff nach seinem Sattelknauf und beugte sich zu dem Halbelfen herunter. »Du willst eine Rieseneule reiten?«

»Wenn Xanthar mich läßt.« Tanis warf einen Blick auf den Vogel, der den Kopf senkte, was Tanis für ein Einverständnis hielt.

Cavens zischende Stimme machte den Halbelfen wieder auf den Mann aufmerksam. »Aber weshalb? Kitiara ist das Risiko nicht wert. Es gibt noch Millionen Frauen auf der Welt, Halbelf. Außerdem, wer garantiert uns, daß sie da ist?«

Tanis schnaubte. Er durchwühlte seinen Sack, um die Last so weit wie möglich zu senken. Tanis wog mehr als Lida. Er wählte das bißchen Proviant aus, das er noch hatte, dazu Bogen, Köcher und Schwert. Dann nahm er nachdenklich Kitiaras Sack in die Hand.

Cavens Stimme unterbrach ihn. »Warum nicht einfach aufgeben? Zusammen finden wir schon hier raus. Zum Abgrund mit der irren Eule und der Zauberin. Und mit Kitiara genauso.«

Tanis schüttelte den Kopf. Er schob die Kleider in Kitiaras Packsack beiseite, denn er suchte nach Dingen, die ihm auf seiner Reise hilfreich sein konnten. »Ich bin kein Söldner wie du, Mackid. Das ist die einzige Erklärung, die ich dir geben kann. Ich erledige meine Angelegenheiten nicht für Geld, sondern aus eigenem Antrieb.«

Caven gestikulierte wild mit den Armen. »Wie wollt ihr sie finden? Das Eisreich ist praktisch einen Kontinent entfernt.«

Die Eule mischte sich ein. Ich werde versuchen, Lida gedanklich zu erreichen. Es wird klappen. Sie wird mich hinführen.

»Im Düsterwald hast du fast augenblicklich den Kontakt verloren«, erwiderte Caven verärgert. »Was wollt ihr machen, das ganze Eisreich absuchen? Was glaubt ihr denn, wieviel Zeit ihr habt?«

Verwandte von mir sind dort gewesen. Sie haben mir die Gegend beschrieben. Ich erinnere mich an die Geschichten, die mein Großvater mir erzählt hat, als ich noch ein Küken war. Es gibt einen geeigneten Ort – angeblich sollen dort riesige Höhlen unter dem Eis liegen. So ein Ort würde einen Zauberer bestimmt anziehen. Dort fange ich an zu suchen. Ich werde sie finden, Mensch.

In diesem Augenblick stießen Tanis’ Finger auf dem Boden des Packsacks gegen etwas. Verwirrt kniete sich der Halbelf hin, kippte den gesamten Inhalt auf die Erde und untersuchte die Unterseite. Im hellen Tageslicht schien der Packsack von außen tiefer zu sein als von innen. »Ein doppelter Boden«, murmelte er.

Caven sprang ab und hockte sich neben den Halbelfen. Selbst Xanthar hüpfte auf einen nahen Baumstumpf. Tanis tastete den Boden ab, denn er suchte einen Verschluß. Dann zog er mit einem Ausruf das steife Segeltuch hoch, das das Versteck bedeckte. Die drei schnappten nach Luft, als purpurfarbenes Licht aus dem abgenutzten Reisesack strahlte. Caven trat argwöhnisch einen Schritt zurück, doch Tanis steckte die Hand in den falschen Boden. Als er sie zurückzog, hatte er drei purpurfarbene Juwelen in der Hand.