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Xanthar antwortete ausnahmsweise einmal laut, nicht in Gedankensprache. »Für einen Neuling reitest du gut, Halbelf. Ich muß mir jetzt ein Abendessen jagen. Dann ruhe ich mich aus. Auch wenn es bestimmt seltsam ist, mitten in der dunklen Nacht zu schlafen. Bei mir ist das normalerweise anders herum.«

»Glaubst du, es geht Kitiara und Lida gut?« fragte Tanis unvermittelt.

Die Eule überlegte, bevor sie zurückgab: »Ich glaube, sie leben. Ich denke, wenn Kai-lid tot wäre, würde ich es fühlen.«

»Du hast diesen Namen schon einmal erwähnt. Wer ist Kai-lid?«

Die Eule zögerte. »Kai-lid Entenaka. Es ist Lidas Düsterwaldname«, erklärte Xanthar schließlich. Tanis nickte, denn er war sich nicht schlüssig, ob er weiter bohren sollte.

Der Halbelf bot der Eule ein Stück Brot aus seinem Proviant an. Der Vogel beäugte das Angebot, wandte dann jedoch den Kopf ab. »Ich muß jagen«, sagte er nur, bevor er in das Tal unter ihnen abflog. Tanis lehnte sich an einen Felsen, kaute sein Brot und erfreute sich an den letzten Farben des Sonnenuntergangs, während er die kleiner werdende Gestalt von Xanthar im Auge behielt. Wenn er sich nicht solche Sorgen um Kitiara gemacht hätte, wäre es fast schön gewesen. Xanthar war ein kauziger Gefährte, kurz angebunden und leicht sarkastisch im Ton, aber das war Flint Feuerschmied schließlich auch. Als Tanis so am Felsen lehnte und träge die Bewegungen der Eule verfolgte, die über das Gelände strich, merkte er, wie seine Augenlider wieder schwer wurden.

Er schreckte aus dem Schlaf hoch, als etwas vor ihm auf den Boden fiel. Instinktiv sprang er auf. Das Schwert hatte er in der Hand, obwohl er sich nicht daran erinnern konnte, daß er es gezogen hatte. Doch kein Goblin oder Slig stand vor ihm. Eigentlich konnte Tanis in der Dämmerung überhaupt keine Bedrohung erkennen. Sein Blick fiel auf den Boden. Ein totes Kaninchen lag verrenkt auf den Felsen. Als er aufblickte, entdeckten seine nachtsehenden Augen weit oben Xanthar.

Mit Brot kommst du nicht weit, Halbelf.

Tanis winkte dankend hinauf. Dann sammelte er trockenes Gras und Zweige und fand unter einem toten Baum ein paar Äste. Er war auf einem der wenigen Gipfel mit Baumbestand, was Xanthar offenbar bedacht hatte, als er einen Landeplatz ausgesucht hatte. Tanis kratzte die innere Rinde der Äste ab und fügte den Bast seinem Zunderhaufen hinzu, den er auf die windabgewandte Seite eines Felsens trug. Dann schlug Tanis Flint auf Stahl. Immer wieder stoben die Funken, bis einer schließlich zündete. Vorsichtig fütterte der Halbelf den Funken mit trockenem Gras und Reisig, bis er zur Flamme wurde. Bald saß er vor einem anständigen Lagerfeuer, an dem er das Kaninchen häutete, ausnahm und in Scheiben auf einen langen, entrindeten Ast schob. Er steckte den Stab zwischen zwei Steine und sog den Duft ein, als das Kaninchenfett zischend ins Feuer tropfte.

Xanthar kehrte zurück, als Tanis gerade das gebratene Kaninchen vom Feuer nahm. Der Vogel landete auf dem Boden, hielt sich aber in sicherer Entfernung von den Flammen. Der Halbelf wollte ihm etwas abgeben, doch Xanthar schüttelte den Kopf.

»Gekochtes Fleisch ist nichts für meinen Gaumen«, sagte der Riesenvogel. »Meiner Ansicht nach zerstört Feuer den Geschmack.«

Während Tanis aß, ging – oder watschelte, wie der Halbelf für ihren Gang zutreffender fand – die Eule zu einer krummen Pinie, wo sie es sich auf einem Aststumpf gemütlich machte. Sie schloß die Augen und vergrub ihren goldenen Schnabel tief im blassen Flaum ihrer Kehle.

Tanis lehnte sich mit angenehm vollem Bauch an den warmen Felsen und starrte Xanthar an. Einmal öffnete die Rieseneule ein Auge, als ob sie das Starren des Halbelfen bemerkt hätte, dann drehte sie sich auf dem Ast um, so daß sie dem Halbelfen ihre dunkle Rückseite zuwandte. Tanis sah, wie die verhornten Krallen sich um den Ast schlossen. Dann schien der Vogel zusammenzusacken, und Tanis wußte, daß sein Gefährte eingeschlafen war.

15

Das Eisreich

Es war die Kälte des Todes, da war sich Kitiara sicher. Gesicht, Brust und Hüften lagen im Schnee. Die Vorderseite ihres Hemds war durchnäßt, und ihr Rücken war so steif, als wäre er von Eis überzogen und gefroren. Ihre Füße waren schwer wie Baumstümpfe. Ihr dämmerte, daß ihre rechte Hand noch immer das Stück Schiefer vom Fieberberg umklammerte. Weit in der Ferne krachten Wellen. Etwas näher hustete jemand.

Wenn das der Abgrund war, glich er keinem Abgrund, vor dem man sie je gewarnt hatte. Sie mußte tot sein, doch Kitiara fühlte die Kälte, schmeckte den Schnee, verspürte Hunger. Sie hörte etwas, was wie der Ettin klang, der sich über etwas freute. Und darüber das ständige Heulen des Windes und das Donnern der See.

Kitiara hob den Kopf. Ihre Haare standen praktisch vor Eis. Sie legte die tauben Hände vors Gesicht. Ohne auf den Wind zu achten, der wie Nadelstiche auf ihre nackte Haut einpeitschte, pulte sie an dem Eis, das ihre eine Wange bedeckte. Die Augenlider waren ihr fast zugefroren. Schließlich gelang es ihr, die Augen einen Schlitz weit zu öffnen.

Sie starrte direkt in zwei fleischlose Kiefer, von denen Fangzähne wie Eisstalaktiten herunterhingen, während andere Zähne wie Stalagmiten aufragten. Kitiara fuhr mit einem Aufschrei zurück. Sie tastete nach Schwert und Dolch, bis ihr einfiel, daß sie beides verloren hatte. Das Untier, in dessen Rachen sie starrte, war schon seit Generationen tot. Was es ursprünglich gewesen war, konnte Kitiara nicht sagen, doch sie hätte bequem in den aufklaffenden Kiefer gepaßt. Es war der Schädel eines Tieres, das schon lange tot war. Vom Rest des Skeletts war nichts zu sehen.

Der Ettin lehnte sich an das kräftige Gelenk, das den Kiefer zusammenhielt. Sein rechter Kopf, dem ein gefrorener Speichelfaden am Kinn herunterlief, lehnte sich schlafend an den linken. Dieser grinste die Kämpferin an. Man konnte nicht entkommen, wenn der Ettin schlief, denn seine Köpfe schliefen abwechselnd.

»Wo sind wir?« übertönte sie das Brausen des Sturms. Durch die treibenden Schneewolken konnte sie den Ettin kaum erkennen.

Res-Lacuas Grinsen wurde breiter. »Daheim«, sagte er. »Daheim, daheim, daheim.«

»Im Eisreich?« wollte sie wissen. Ihre Stimme weckte den rechten Kopf, so daß sie nun beide Ettinköpfe angrinsten. Indem sie den Wind, den Schnee und besonders den Ettin verfluchte, gelang es der Kriegerin, sich auf die Füße zu stellen, doch ihre Muskeln waren so taub, daß sie nur langsam reagierten. Sie taumelte wie betrunken und mußte sich an einem langen Zahn des Monsters abstützen. Wie lange hatten sie und Lida unbedeckt im Schnee gelegen?

»Kitiara! Was… was ist das denn?« Es war Lida Tenaka, die das rief. Sie hatte die Robe fest um sich gezogen, starrte aber entsetzt auf die Kiefer des Skeletts. Ihre Lippen waren blau, doch ihre Hände regten sich eifrig. Als Kitiara mit den Achseln zuckte, erschauerte die Zauberin. Lida machte sich wieder an ihr Vorhaben. Nachdem sie magische Symbole in die Luft gezeichnet hatte, begann sie zu singen. Kitiara erwartete ein magisches Lagerfeuer, an dem sie sich wärmen konnten, zwei Tassen mit dampfendem Rum, die vor ihnen auftauchen würden, irgend etwas, was die bittere Kälte erträglicher machen würde, die sie einhüllte.

Aber es kam nichts – nur ein Zischen und eine winzige Flamme, die nicht einmal den trockensten Zunder angezündet hätte. Lidas Hände sanken bebend in ihren Schoß. Ihre Lippen schlossen sich, und ihre Augen spiegelten ihre Panik. »Es ist genau wie im Düsterwald«, sagte sie, doch ihre Worte waren im Geheul des Windes kaum zu verstehen. »Meine Magie funktioniert nicht richtig, Kitiara. Ich kann Xanthar nicht erreichen. Es ist, als wäre ich in Gegenwart…«

»… einer weitaus größeren Macht«, schloß Janusz, der hinter dem Schädel hervortrat. »Einer Macht, die dich mit Leichtigkeit blockieren kann, Lida. Schließlich war ich es, der dich und Dreena unterrichtet hat.« Trotz seiner dünnen Robe schien der äußerlich alte Zauberer sich in der Eiseskälte wohl zu fühlen. Kitiara bemerkte, daß die Luft um ihn herum flimmerte, wenn er sich bewegte.