Getroffen gab Kitiara zurück: »Vergeßt nicht, Valdan, daß ich weiß, wo die Eisjuwelen sind. Dem, der ihnen ihre Geheimnisse entlockt, bieten sie unbegrenzte Macht. Und was das andere ›Problem‹ angeht – Euer Zauberer könnte sich als Teil unseres Handels darum kümmern.«
»Um das Kind?«
»Das Kind muß nicht geboren werden«, fauchte sie.
Einen Moment lang sagte keiner der beiden etwas. Der Valdan verbarg seine Gedanken hinter einem undurchdringlichen Blick. Schließlich fuhr er überraschend freundlich fort: »Soweit muß es nicht kommen, Kitiara. Wir müssen keine Feinde sein, du und ich. Wir haben auf derselben Seite gekämpft.«
Kitiara zwang sich, neutral zu klingen. »Ich erinnere mich, daß ich gekämpft habe. Ihr seid sicher in Eurem Zelt geblieben.«
Er legte ihr die Hand auf den Arm. »Laß uns jetzt mit diesem Gezänk aufhören. Ich lasse Essen bringen.« Er sprach zu dem Magier, der hinter Kitiara die Befehle seines Herrn erwartete. Janusz murmelte etwas, was Kitiara nicht verstand, doch ihr Magen knurrte. Unbestritten war sie hungrig. »Wahrscheinlich wollt Ihr mich vergiften, Valdan«, sagte sie leichthin.
Er lächelte. »Wenn ich dich töten würde, würde ich nie erfahren, wo die Juwelen sind, oder? Wie du selbst betont hast. Wir stecken beide in der Klemme.«
In diesem Augenblick donnerte der Ettin gegen die Tür. Der Hüne duckte sich und trat ein. Er trug ein großes Tablett, das mit einem dünnen, weißen Leinentuch bedeckt war.
Der Ettin warf das Tuch auf den Boden und begann, Teller und Schüsseln mit solcher Begeisterung hinzustellen, daß ein Drittel des Geschirrs zerbrach. »Toter Fisch hier, toter Vogel da«, trällerte der Ettin, doch Kitiara hörte den Zauberer schnauben. »Leerer Teller, leerer Teller, Gabel, Gabel. Gelee, würzig. Seetang – kalt, kalt. Thanoi-Käse, grau, lecker.«
»Ich muß gestehen, Valdan«, sagte Kitiara, »nach dem Aufenthalt in Eurem Kerker würde jede Mahlzeit vielversprechend klingen.« Sie lächelte den Herrscher an und setzte sich. »Aber«, fügte sie honigsüß hinzu, »ich lasse Euch trotzdem alles vorkosten.«Anschließend sausten Kitiara und der Valdan mit vollem Magen und in Pelzmäntel gehüllt in einem Schreckenswolfsschlitten über das schneebedeckte Land. Res-Lacua trampelte summend hinterher, bis der Valdan ihn herrisch anbrüllte, still zu sein.
Kitiara dachte über das Gespräch mit dem Valdan nach. Sie hatte nicht vor, dem Valdan die neun Eisjuwelen zu überlassen. Kitiara hatte ihre eigenen Pläne für diese wertvollen Gegenstände. Aber sie mußte den Valdan hinhalten, bis Hilfe kam.
»Du bist schrecklich schweigsam. Arbeitest du an deiner Strategie?« fragte der Valdan jetzt.
Kitiara zwinkerte. Strategie? Natürlich. Sie waren unterwegs, um die Minotauren und die übrigen Truppen des Valdans gegen eine weitere hilflose Eisvolksiedlung zu führen. Kitiara hatte eingewilligt, den Angriff anzuführen. Sie hoffte, daß sie mit der Eroberung und Versklavung des Dorf es für Caven und Tanis die Zeit erkaufen würde, die sie brauchten. Kit stellte sich vor, daß der Feldzug unter ihrer Leitung einige Tage dauern konnte. Dem Valdan würde die Vorstellung vielleicht gefallen, eine Weile mit dem Eisvolk zu spielen, bevor sie tödlich zuschlugen.
Kitiara zog einen Mundwinkel zu ihrem typischen Grinsen hoch. »Ich arbeite ständig an Strategien«, antwortete sie.
Der Valdan lächelte zurück.
18
Die Eulen und das Eis
Überraschenderweise war Xanthar ohne Murren nach Norden abgezogen. Xanthar hatte nur den Kopf geneigt, mit der Schnabelspitze Tanis’ Ärmel berührt, seine Ohrbüschel an den Kopf gelegt und sich in die Lüfte geschwungen.
»Nicht ein Wort«, hatte Caven gesagt, der Xanthars Abflug verfolgt hatte, bis der Riesenvogel nur noch ein dunkelgrauer Fleck am Himmel gewesen war. »Ich hatte Widerspruch erwartet.«
Das war vor Tagen gewesen. Seitdem waren der Halbelf und der Söldner fast pausenlos – und nahezu wortlos – marschiert. Jetzt standen sie auf hohen Felsen über einem weiten Meer, das hundert Fuß tiefer lag. »Die Eisbergbucht«, sagte Tanis.
»Sieht eher aus wie ein Ozean. Woher weißt du, daß es bloß eine Bucht ist?«
»Die Eule hat mir vor ein paar Tagen gesagt, daß wir hier ankommen würden.«
»Ich wünschte, die verfluchte Eule hätte dir auch verraten, wie wir da hinüberkommen sollen.« Caven sah düster auf die stahlblauen, mit Eisschollen übersäten Wogen hinunter. Er wich etwas von dem Abgrund zurück. Kalter Schweiß glänzte auf seiner Stirn. Über ihnen kreischten Seevögel, doch sonst gab es keine Zeichen von Leben. Einzelne Baumgruppen bestanden den Felsboden hinter ihnen.
»Gleich nach dem Sandsturm schien Xanthar telepathisch mit jemandem zu reden – zumindest muß er es versucht haben«, überlegte Tanis, der von Westen nach Osten den Horizont absuchte. »Wahrscheinlich mit der Zauberin. Aber er hat nur gesagt, daß unser Weg über die Bucht klar zu sehen sein würde. Als wir darüber redeten, war er zu erschöpft und schlief mitten im Satz ein. Ich habe ihn nicht weiter bedrängt. Hätte ich es doch nur getan.«
Caven spuckte aus und setzte sich auf einen Stein. »Nun, ich finde den Weg nicht klar zu sehen«, sagte er verdrossen. »Falls dieser überdimensionale Hahn nicht gedacht hat, wir könnten durch den eisigen Teich da schwimmen oder uns Flügel wachsen lassen und fliegen.«
Tanis nickte nachdenklich. Er beugte sich vor, hob ein Stück Treibholz auf und betrachtete es nachdenklich.
Bisher hatten beide Männer es instinktiv vermieden, das Thema anzuschneiden, das ihnen wirklich auf der Seele lag. Aber als sie jetzt im peitschenden Wind zitterten, der nordwärts aus der Bucht hochwehte, schnitt Caven das Thema an. »Glaubst du, sie ist es wirklich?«
»Ist was?« fragte Tanis. Er sah von dem Stück Treibholz zu Caven, der seinem Blick auswich. Der Halbelf warf den Ast hinter sich.
»Schwanger, Halbelf. Wie die Eule gesagt hat.«
Tanis überlegte. »Ich glaube schon, ja«, sagte er schließlich, als hätte er nicht unablässig über genau dieses Thema nachgedacht, seit Xanthar die Sache enthüllt hatte.
Schweigend saßen sie eine Weile da. Schließlich zuckte Caven mit den Achseln. »Ich kann mir Kit nicht verheiratet vorstellen«, sagte der Söldner. »Oder als glückliche Mutter. Das am allerwenigsten.«
Tanis fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Nein«, sagte er. Stirnrunzelnd wandte er der Bucht den Rücken zu und schaute nach Norden. Das Tal, das sie gerade durchwandert hatten, fiel vor ihm ab. Der Wind blies heulend gegen seinen Rücken.
»Vielleicht war es ein anderer…«
Unvermittelt erstarrte Tanis und hielt warnend die Hand hoch. Caven brach mitten im Satz ab. Der Kerner erhob sich und zog sein Schwert. Tanis holte seinen Bogen aus dem Gepäck und prüfte sein Schwert.
»Was ist?« flüsterte Caven.
Tanis schüttelte den Kopf.
»Kriegstrommeln?« bot Caven an. »Ich habe mal gehört, wie die Zwerge von Thorbardin die hohlen Stämme der Symphoniabäume schlagen, um ihre Feinde einzuschüchtern, und Thorbardin liegt schließlich in dieser Richtung. Aber so etwas…« Er hielt inne und lauschte. »Ein Angriff von Norden? Das ist doch unsinnig. Wir sind den ganzen Weg durch die Staubebene gekommen. Ich habe nichts Bedrohliches außer Wanderdünen entdeckt.«
Tanis blickte angestrengt in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Außer einem dunklen Strich am Himmel, der wie eine tiefhängende Bank von Sturmwolken aussah, gab es dort nichts Ungewöhnliches zu sehen.
Tanis zeigte darauf. »Wenn ich wüßte, ob der Valdan weiß, daß wir diese Zaubersteine haben, würde ich sagen, wir sind vielleicht zur Zielscheibe geworden.«
Da sahen sie einander an. Haselnußbraune Augen trafen auf schwarze. »Er könnte es durchaus herausbekommen haben«, gab Caven zurück.
Sekunden später hatten sie sich zwischen den Stämmen der nächsten Bäume versteckt. Die zwei Männer bogen ein paar Äste herunter, um ihre Deckung zu verbessern, und hockten sich dann bewaffnet hinter ihr selbstgebautes Bollwerk.