Das Wesen grunzte und zog sich zurück, während sein Kumpan den Neuankömmling im Schatten betrachtete. Er ließ die Menschenfrau in Ruhe und stürmte auf den Halbelfen los. »Turash koblani! Töte!«
Tanis ging in Kampfposition, als der Hobgoblin, gefolgt von seinem Partner, über die Lichtung rannte. Die Frau stürmte ein paar Schritte hinterher.
»Turash koblani!« Der Hobgoblin hob sein Schwert, an dem Tanis Blut zu sehen glaubte – wahrscheinlich Menschenblut, denn über das eine bloße Bein der Frau, die mit einem erneuten Schrei auf einen Baumstumpf gesprungen war, zog sich ein dunkler Streifen.
Tanis zog seinen Bogen hoch, und mit einer geschmeidigen Bewegung, die den Qualinesti-Elfen zur zweiten Natur geworden war, holte er einen Pfeil aus dem Köcher.
Die Frau hob ihr Schwert, um einen tödlichen Streich gegen den einen Hobgoblin zu führen. »Jetzt geht’s ans Sterben, du Sohn eines Gossenzwergs!« schrie sie spöttisch, doch die Hobgoblins, die Elfen mehr als alles andere haßten, konzentrierten sich nur noch auf den Halbelfen. Halbherzig wehrten sie die Frau mit den Schwertern ab. Sie wichen aus, um diese unangenehme, todbringende Menschenfrau nicht aus dem Blickfeld zu verlieren, dachten jedoch nur noch an den Halbelfen.
»Lauf, Mädchen!« rief Tanis. »Rette dich!«
Sie warf ihm einen fragenden Blick zu und zog spöttisch eine Augenbraue hoch. Dann lachte sie und durchtrennte dem einen Hobgoblin die Kniesehnen, während Tanis dem anderen einen Pfeil in die Brust schoß. Die beiden Monster fielen bellend um. Tanis ließ den Bogen fallen und erledigte den gestürzten Hobgoblin mit einem Schwertstreich. Dann drehte er sich zu der Frau um.
Tanis war auf alles vorbereitet, aber nicht auf das, was kam. Die Frau ließ einen Strom von Beschimpfungen los, bei denen selbst einem Hafenarbeiter aus Kargod das Mark erstarrt wäre. Haß blitzte aus ihren Augen. Tanis hatte noch nie eine so wüste Schimpfkanonade gehört – zumindest nicht aus dem Mund einer Frau. Die braunen Augen weit aufgerissen, blieb er stehen, bis sie ihm mit der flachen Klinge eins überzog, so daß er auf den feuchten Boden fiel. Bei dem unerwarteten Angriff flog sein Langschwert außer Reichweite. Der Halbelf lag rücklings auf seinem Köcher inmitten zerbrochener Pfeile, während sie über ihm stand und mit dem Schwert nach rechts und links schlug und das Dickicht zerhackte. Sie war für eine Menschenfrau nicht ungewöhnlich groß, aber aus diesem Winkel wirkte sie sieben Fuß hoch. Und so stark wie ein Minotaurus.
Obwohl Tanis nur ein Halbelf war, war er doch Qualinesti genug, um einen Kampf auf Leben und Tod gegen eine Frau zu umgehen – selbst wenn deren Fechtkunst jedem Durchschnittsmann weit überlegen war. Wenn Qualinesti-Frauen im Gebrauch von Schwert und Bogen unterwiesen wurden, war dieses Training mehr zeremonieller als praktischer Art, und kein Qualinesti-Mann würde ernsthaft gegen eine Frau seiner Rasse antreten. Beim Anblick des kampfgestählten Körpers seines menschlichen Quälgeists bekam Tanis jedoch feuchte Hände. Ein Schweißtropfen lief ihm über die Stirn in die rostroten Haare. Der Geruch verfaulten Laubs drang ihm in die Nase.
»Idiot! Einmischer!« schäumte sie und köpfte einen Johannisbeerbusch. Blätter rieselten auf Tanis herab. »Ich hatte die Situation bestens im Griff, Halbelf!«
»Aber…« Tanis’ Rechte fuhr durch die schlüpfrigen Blätter und schloß sich um einen Pfeil. Hauptsache, er hatte überhaupt eine Waffe, wenn dieser Irren doch noch die Nerven durchgingen.
Ihre Klinge, von der noch Hobgoblinblut tropfte, schwang rechts an Tanis’ Kopf vorbei und schnitt ein Gänseblümchen ab. Sicher fand sie ihren Weg zu dem kaum fingerhohen Stengel unter der weißen Bodenblüte. Tanis staunte über ihre Beherrschung.
»Wie kannst du es wagen, mir den Spaß zu verderben?« fauchte sie.
Tanis versuchte es noch einmal. »Spaß? Das waren sechs gegen…«
Die Schwertklinge verharrte über ihm. Tanis hatte den Eindruck, die Frau würde ihm gleich die Waffe in die Rippen stoßen. Er verbiß sich seinen Einwand und erstarrte, weil er sich zur Seite werfen wollte, wenn sie zustoßen würde.
In der Finsternis tastete Tanis nach allem, was er gegen sie verwenden konnte. Seine Elfensicht, die die Wärme wahrnahm, welche von den Dingen abstrahlte, zeigte ihm nur ein halbes Dutzend schnell kalt werdender Hobgoblinleichen, von denen zwei nur wenige Fuß entfernt lagen.
»Acht«, stellte die Frau schließlich richtig. »Es waren acht Hobgoblins gegen mich. Also ungefähr Gleichstand. Die zwei am Fluß hast du nicht mitbekommen.« Zum ersten Mal grinste sie schief, und Tanis merkte, daß der gefährlichste Moment vorbei war.
»Acht Hobgoblins«, wiederholte er schluckend.
»Ich bin kein Anfänger, Halbelf. Ich bin seit über fünf Jahren Söldnerin«, sagte sie.
Wie viele Feinde, fragte sich Tanis, mochten diese seidenweiche Stimme gehört haben, während sie verbluteten?
Aber die Stimme redete weiter, als würde sie ein altes Unrecht wieder aufwärmen. »Und wenn der Tag kommt, Halbelf«, raunzte sie, »an dem ich nicht ohne Beistand eines halbangezogenen Halbmenschen mit acht Hobgoblins fertigwerde, dann setze ich mich gern zur Ruhe!«
Sie hob ihr Schwert zu einem spöttischen Salut, wischte die blutige Klinge an einem Bein seiner fransengesäumten Hosen ab und schob die Waffe dann in eine verschrammte Scheide. Dreist ließ sie ihren Blick über den auf dem Rücken liegenden Halbelfen wandern. Seine spitzen Ohren, das deutlichste Zeichen seiner elfischen Herkunft, waren durch die schulterlangen Haare zu sehen. Ihre dunklen Augen nahmen auch die breiten Schultern und die muskulöse Brust war, die sein Menschenblut verrieten, und ihr Lächeln wurde breiter. Tanis merkte, wie es ihn heiß durchfuhr, doch dann erschauerte er, denn die Feuchtigkeit des Erdbodens durchdrang sein Hemd von hinten.
Die Frau über ihm streckte die Hand aus. »Kitiara Uth Matar«, erklärte sie. »Ursprünglich aus Solace, neuerdings findet man mich überall, wo die vielen Herren wohnen, die meine Dienste brauchen.« Spöttisch zog sie eine Augenbraue hoch und trat zurück, streckte ihm jedoch den Arm entgegen. »Los, Halbelf. Steh auf!« Sie wurde ungeduldig. »Angst vor einer Frau?« Ihr Lächeln wurde wieder schurkisch.
Nach kurzem Zögern schlug Tanis in ihre Hand ein, doch im letzten Augenblick neigte sie sich nach vorn und umfaßte kräftig seinen Unterarm mit der rechten Hand. Er hielt ihren Arm seinerseits am Ellbogen fest. Dann trat die Frau zurück und zog den Halbelfen trotz seines Gewichts hoch. »Ich heiße Tanthalas«, sagte er, nachdem er in eine halbsitzende Position gelangt war. »Neuerdings aus Solace.«
»Tanthalas«, wiederholte sie. »Ein Qualinesti-Name.«
»Ich bin dort aufgewachsen. Die meisten Menschen nennen mich Tanis.«
»Also dann, Tanis.«
Er erwiderte ihr Lächeln so hinterhältig wie möglich. Plötzlich wurde sein Griff um ihren Arm fester, und er zog sie zu sich herunter. Kitiara riß überrascht die Augen auf. Sie geriet ins Stolpern, und Tanis machte sich auf den Aufprall ihres Körpers gefaßt. Er würde sie umschmeißen; das hatte sie verdient – er würde sie hinwerfen und sich auf sie setzen wie ein großer Bruder, bis sie um Gnade bat. Der Gedanke machte ihm diebischen Spaß.
Doch nach der ersten Überraschung fing sich Kitiara. Offenbar hatte sie die Absicht ihres Gegners durchschaut und nutzte seinen Schwung jetzt gegen ihn. Ihr rechter Arm war immer noch in Tanis’ Griff gefangen, doch sie sprang einfach über den Halbelfen hinweg.
Tanis weigerte sich, Kitiaras Arm loszulassen. Ihr Überschlag wurde mitten in der Bewegung gestoppt, so daß sie nach Luft schnappend auf dem Rücken landete.
Tanis ließ los, rollte auf die linke Seite, sprang auf und warf sich auf die Frau. Doch sie sah seine Bewegung kommen und ballte vor sich die Faust, während sie den Ellbogen in die Erde stemmte. Dann wartete sie mit ruhigem Blick ab.