Dann stand Kitiara plötzlich neben ihnen – mit ihren Schwertern in den Händen. Der Ettin stand verdutzt mit offenen Mündern da. Der Valdan zog fluchend seinen Dolch.
»Tanis!« schrie Kitiara. »Gib Lida die Juwelen!«
Die Kriegerin fuhr zu der Zauberin herum und befahclass="underline" »Du, Zauberin, hast von Janusz gelernt. Benutze die Juwelen, um uns hier rauszuholen. Jetzt!«
Lida machte die Augen zu und stimmte einen Spruch an. Sie streckte die Hände aus, worauf Tanis ihr eilig die acht verbliebenen Steine in die Handflächen legte. Ihr Gesicht verkrampfte sich vor Schmerz, doch sie wiederholte weiter ihre magischen Worte. »Teleca nexit. Apprasi-na cas. Teleca nexit. Apprasi-na cas.« Wieder und wieder sang sie die seltsamen Worte, bis sie sich miteinander zu einem zarten Geflecht verbanden und nicht mehr voneinander zu trennen waren. »Teleca nexit. Apprasi-na cas. Telecanexitapprasinacas.«
Janusz hob die Hand, um Lida zu schlagen, doch Caven sprang mit drohend erhobenem Schwert hinzu. Der Valdan stürzte sich wutentbrannt auf Kitiara, worauf Tanis herumwirbelte, um die Kriegerin zu decken.
Res-Lacua plinkerte die Menschen dämlich an. Dann sah er, wie das Schwert des bärtigen, schwarzhaarigen Söldners die Hand seines Meisters traf. Als Janusz aufschrie, sich rücklings gegen die Wand warf und seine Hand umklammerte, erwachte der Ettin zu Leben. »Meister!« brüllte er und packte Caven an der Taille. Er schleuderte den Kerner an die gegenüberliegende Wand und lachte, als er hörte, wie sich Caven Mackid krachend den Hals brach.
Kitiara warf sich auf den Ettin und stieß der zweiköpfigen Kreatur ihr Schwert ins Herz. Mit einem letzten Aufbäumen warf Res-Lacua sie gegen den Thron des Valdans. Kitiara sank bewußtlos zu Boden.
Lidas Stimme durchdrang das Getümmel. »Tanis!« schrie sie. »Ich kann sie nicht benutzen! Die Juwelen… sie sind zu mächtig.« Sie stöhnte. Dann brach sie schluchzend über dem Tisch zusammen, so daß die glänzenden Steine von ihrem Schoß auf den Boden kullerten.
Tanis hatte keine Zeit für die Zauberin. Caven war tot. Kitiara lag besinnungslos auf dem Boden, vielleicht im Sterben. Damit stand nur noch der Halbelf gegen den Valdan und den Zauberer. Tanis sprang auf Janusz zu. Noch während der Halbelf auf den alten Zauberer zustürmte, sprach dieser neue magische Worte. Tanis prallte gegen eine unsichtbare Wand. Der Zauberer grinste ihn an. »Ein Schutzzauber«, stellte der Magier fest.
Aber Tanis’ Aufmerksamkeit war abgelenkt. Die Finger des Valdans waren blutig, obwohl weder Tanis noch Caven den Heerführer angerührt hatten. »Das Blutband«, ächzte der Halbelf. »Wod hatte recht. Was den einen verletzt, verletzt den anderen… Vielleicht tötet auch den einen, was den anderen tötet«, fügte er mit lauterer Stimme hinzu.
Das Lächeln des Magiers veränderte sich nicht. »Das Kraftfeld beschützt uns beide«, sagte er. »Und du lebst sowieso nicht mehr lange. Ich kann mit meiner Magie jeden Moment Soldaten herbeirufen.«
Lida hob den Kopf. »Nein, Janusz«, flüsterte sie. »Du kannst nicht durch einen solchen Schutzschild zaubern. Dazu müßtest du erst den ersten Spruch aufheben.«
Tanis wartete am Rand der Schutzzone. In einer Hand hielt er sein Schwert, in der anderen den Dolch. »Und sobald du ihn aufhebst, werde ich dich töten«, sagte er.
Tanis winkte die Zauberin an seine Seite. Lida trat die verstreuten Juwelen beiseite, als sie zu Tanis lief.
»Das Gedicht«, sagte er leise. Sie zog fragend die Augenbrauen hoch. »Das Omen, das dir, wie ich glaube, von deiner Mutter geschickt wurde, wo sie auch ist, ob tot…«
»… oder in den Düsterwald entkommen«, unterbrach Lida. »Wie ich glaube.«
Tanis fuhr leise flüsternd fort. »Das Gedicht verlangt, daß wir alle, du und ich und Kitiara und Caven, mit den Juwelen zusammen sind, damit du einen Zauber sprechen kannst, der alles beendet.« Janusz ließ sie keinen Moment aus den Augen. Der Valdan hielt erstaunlich still, wirkte jedoch höchst aufmerksam. Tanis fuhr fort: »Aber Caven ist tot und Kitiara bewußtlos. Es sind nur noch wir beide übrig, Lida… Kai-lid.«
Lida öffnete den Mund. Tanis sah, wie sich ihre Lippen bewegten, und erkannte, daß sie sich das Gedicht vorsagte. Ihr Blick war ins Leere gerichtet; sie wandte sich ganz nach innen, so daß ihre Augen und ihr Gesicht einen Moment lang völlig ausdruckslos waren. Dann sagte sie: »Xanthar ist nicht in der Schlacht, nicht wahr? Er ist tot.« Es war keine Frage. Tanis nickte.
Lida schluckte sichtlich und senkte den Kopf. Als sie hochsah, stand neue Entschlossenheit in ihren Augen. Sie sah Janusz an. Ein verwirrtes Zucken ging über das Gesicht des alten Zauberers. Dann sprach sie zum Valdan, der ihre Bewegungen mißtrauisch beobachtete. »Du hast einst meine Mutter gekannt«, sagte sie. »Du hast sie unablässig gequält, bis sie jene gerufen hat, die ihr zur Flucht verhalfen. Ich glaube, es hat ihr unendlich weh getan, daß sie ihre kleine Tochter nicht mitnehmen konnte, aber die Regeln des Düsterwalds sind seltsam und oft unergründlich… wie ich sehr gut weiß.«
Lida holte wieder Luft. Ihre Stimme gewann an Festigkeit. »Als es an der Zeit war, kam sie, um mir beizustehen.« Lida faltete die Hände und sagte:
»Zwei der drei Liebenden scheinen besiegt zu sein, Valdan«, fuhr Lida fort. »Doch auch ich bin drei. Ich bin Lida Tenaka, Zofe der Tochter des Valdans«, sagte sie. »Jedenfalls sehe ich so aus.« Sie schnürte einen Beutel an ihrer Taille auf, holte eine Prise Kräuterstaub heraus und öffnete dann in derselben fließenden Bewegung ein weiteres Säckchen.
»Außerdem bin ich Kai-lid Entenaka vom Düsterwald, Freundin und Schülerin des Mentors Xanthar«, fuhr sie fort.
Sie warf die Kräuter in die Luft. Roter und blauer Staub blieb auf ihren glatten, schwarzen Haaren liegen.
»Temporus vivier«, flüsterte sie. »Enthülle, enthülle.«
Gleichzeitig glänzten Lidas Haare nicht mehr schwarz, sondern aschblond. Der Valdan stieß einen Schrei aus. Die azurblauen Augen der Frau, die denen ihres Vaters glichen, durchbohrten den Valdan.
»Und schließlich bin ich Dreena ten Valdan«, schloß sie, »durch die Liebe meiner Dienerin vor dem Tod durch das Zauberfeuer gerettet.«
Janusz stöhnte und sagte ein Zauberwort. Im gleichen Augenblick konnte Tanis loslaufen, denn das Schutzfeld hatte sich aufgelöst. Der Halbelf stieß Dreena beiseite, da der Valdan schon auf sie lossprang. Tanis warf sich auf Janusz und bohrte dem weißhaarigen Magier sein Schwert tief in die Brust.
Der alte Zauberer brach ohne ein weiteres Wort zusammen. Gleichzeitig schrie auch der Valdan tödlich getroffen auf und brach dann vor Dreenas Füßen zusammen. Blut strömte aus der Brust des Heerführers, nicht aus der von Janusz, obwohl das Schwert in dessen Brust steckte.
Hinter Tanis stiegen magische Worte auf. Dreena drehte sich langsam mit ausgestreckten Händen um sich selbst. In jeder Hand hielt sie einen Eisjuwel. »Terminada a ello. Entondre du shirat.« Sie drehte sich schneller, bis ihre Schuhe unter dem Saum ihrer Robe verschwammen. »Terminada a ello. Entondre du shirat.« Tanis hörte die Wände rings um sie herum ächzen. Daraufhin wurde Dreena langsamer und blieb stehen. Mit Tränen in den Augen schüttelte sie den Kopf. Sie sagte: »Janusz’ Tod wird alles zerstören. Ich habe getan, was ich konnte, um uns Zeit zur Flucht zu verschaffen. Aber wir müssen jetzt schnell verschwinden.«
»Und die Juwelen?« fragte Tanis, der zu der bewußtlosen Kitiara rannte und sie hochhob.
Wortlos schleuderte Dreena die Steine voller Abscheu von sich.