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An der Eiswand bildeten sich Wasserperlen. Der sterbende Valdan versuchte, nach einem Eisjuwel zu greifen, doch Tanis trat den Stein aus seiner Reichweite. Als der Raum sich erwärmte, wurde der Boden plötzlich feucht und rutschig. Tanis und Dreena liefen vorsichtig zur Tür. Bei Cavens Körper blieben sie kurz stehen. »Wir müssen ihn hierlassen«, murmelte Dreena.

»Ich weiß.« Tanis verabschiedete sich schweigend von dem Kerner. Die Eisblöcke gaben allmählich nach. Im Eingang zögerte Dreena. Sie sah sich nach dem Zauberer um, der sie geliebt hatte, und nach ihrem Vater, der sie verraten hatte, doch Tanis schob sie hinaus in den Gang.

Der Zauberer war auf dem Podest in sich zusammengesunken. Der Valdan versuchte, den dreien hinterherzukriechen, brach aber nach wenigen Fuß zusammen.

Schnee rieselte durch die Decke, bis ein weißgrauer Schleier einen Vorhang vor den Raum mit den Toten und Sterbenden zog.

»Tanis! Schnell!«

Tanis folgte Dreena den Gang entlang. Plötzlich waren die Eiswände nicht mehr beleuchtet, so daß sie sich in absoluter Finsternis wiederfanden.

»Janusz ist tot. Und mein Vater auch«, sagte Dreena schlicht. »Shirak.«

Zauberlicht glühte um sie her und beleuchtete ihren Weg. Dreena hielt angesichts der vielen Gänge verwirrt inne. »Hier entlang«, schrie der Halbelf. Geführt von dem Zauberlicht rannte er einen Gang hinunter, obwohl Kitiara schwer auf seiner Schulter lastete. Bald sah Tanis das Seil, das zusammengerollt an dem Portal über dem Kerker hing. Rutschend kam er vor der Öffnung zum Stehen. »Kannst du uns durch die Spalte aufsteigen lassen?« fragte er die Zauberin.

»Ich weiß es nicht«, gab sie zur Antwort. »Ich kann es vers…«

Ein Donnern unterbrach ihre Worte. Die beiden sprangen zurück, als Tonnen von Schnee von oben in das Verlies stürzten.

»Die Spalte«, sagte Dreena dünn. Im Zauberlicht war ihr Gesicht blaß wie Porzellan.

»Gibt es einen anderen Weg nach draußen?« fragte Tanis.

»Nicht daß ich wüßte.« Dann packte Dreena den Halbelf am Arm und zerrte ihn wieder den Gang hoch. »Janusz’ Zimmer!« rief sie über die Schulter. »Seine Bücher!«

Viele Gänge waren inzwischen eingebrochen. Tanis, der Kitiaras Gewicht trug, trat vorsichtig über die Eisstücke und den eingedrungenen Schnee, der ihnen den Weg versperrte. Er sah den leuchtenden Kreis aus Zauberlicht durch eine Tür verschwinden und folgte.

Nun wurde die Geduld des Halbelfen auf eine harte Probe gestellt. Während der Eispalast rundherum in sich zusammenbrach, mußte er abwarten, denn Dreena blätterte in den Pergamenten und Büchern des Zauberers herum. Als sie dann vor Freude aufjubelte und sich in ein gebundenes Pergament vertiefte, mußte er weitere, schier endlose Minuten warten, in denen sie sich den passenden Spruch genau einprägte.

Eine Wand von Janusz’ spartanischem Quartier lag inzwischen in Trümmern. Das schmelzende Eis ächzte und stöhnte. Tanis mußte praktisch schreien, um gehört zu werden. »Kannst du den Spruch nicht einfach ablesen?«

Dreenas lange Haare schwangen mit, als sie den Kopf schüttelte. »Zauberer müssen sich die Sprüche einprägen, um sie richtig anwenden zu können. Jetzt sei still.« Sie klappte das Buch zu und schloß die Augen. Ihre Lippen bewegten sich, doch kein Ton erklang. Dann begann sie zu singen: »Collepdas tirek. Sanjarinum vominai. Portali vendris.« Nichts geschah. Dreena blickte sich um, während Tanis von einem Fuß auf den anderen trat. Kitiara, die er über seine Schulter gelegt hatte, stöhnte. Dann griff Dreena nach einem Kästchen aus Rosenholz mit lebensechten Schnitzereien von Stiermenschen und Thanoi. Sie öffnete es. Violettes Licht strahlte in ihr Gesicht. Sie umfaßte den einzelnen Stein. »Collepdas tirek. Sanjarinum vominai. Portali, vendris.« Ihre Hände tanzten.

Genau in dem Moment, als die drei aus Janusz’ Zimmer verschwanden, sackte das Versteck des Valdans krachend in sich zusammen. Plötzlich strampelten Dreena und Tanis, der immer noch Kitiara festhielt, in einem eisigen See um ihr Leben. Um sie herum trieben Minotauren, Walroßmenschen und Ettins.

Tanis hielt Kitiaras Kopf über Wasser, während er sich nach Dreena umsah. Sie schwamm ganz in der Nähe recht sicher im Wasser, zitterte aber fast unkontrollierbar.

Ein riesiger Teil des Eisreichs war eingesackt und geschmolzen und hatte sich in einen kalten See verwandelt. Die Körper erschlagener Menschen aus dem Eisvolk und toter Eulen trieben überall herum. Tanis sah Thanoi durch das Wasser schwimmen, die sich in Sicherheit brachten, ohne auf die Kälte zu achten oder gar den Halbelfen, Kitiara und Dreena wahrzunehmen. Minotauren, die durch ihre schwere Metallausrüstung behindert waren, kämpften mit den Wellen. Ettins gingen unter, weil ihre Köpfe unweigerlich stritten, ob der feste Boden auf der einen oder auf der anderen Seite lag.

Goldener Flügel und Klecks kreuzten gerade außer Reichweite der strampelnden Armee über den See und hievten Tanis, Dreena und Kitiara aus dem Eiswasser. Sie schlossen sich wieder den Angreifern an, die auf dem Rücken der Eulen hoch über dem aufgewühlten See sicher waren. Als Kitiara erwachte, fand sie sich vor dem zitternden Halbelfen auf dem Rücken von Goldener Flügel wieder und starrte nicht auf Lida, sondern auf Dreena.

»Wer…?«

Dann blieb Kitiara vor Schreck der Mund offenstehen, als Dreena ten Valdan den letzten Eisjuwel, den sie aus Janusz’ Zimmer mitgebracht hatte, in den See dort unten warf.

»Was machst du da?« schrie die Kriegerin die Zauberin an. Der leuchtende Stein traf die Wasseroberfläche und verschwand. Augenblicklich gefror der See wieder, so daß die letzten Angehören der Armee des Valdans gefangen waren. Unter Tanis’ Augen begann Schnee über das Eis zu wehen, in dem die grotesken, erfrorenen Gestalten steckten.

Nur ein Drittel der Angreifer hatte überlebt. Brittain salutierte Tanis von Windbrechers Rücken aus, doch weder von seinen Kundschaftern noch von seinem ersten Offizier war etwas zu sehen. Die siegreiche Armee kreiste höher, um dann nordwärts über die verschneiten Berge abzuziehen. Tanis setzte sich auf, ignorierte den bitterkalten Wind und Kitiaras Klagen und schaute in Richtung Heimat.

Der Schnee fiel mit Macht. Bis auf eine leichte Senke im Boden gab es kein Zeichen mehr davon, daß hier die Schlacht um Krynn stattgefunden hatte.

Epilog

Nachdem sie das Eisvolk verlassen hatten, flogen die Rieseneulen mit Tanis, Kitiara und Dreena nach Norden. Die Zauberin hatte wieder ihre Gestalt aus dem Düsterwald angenommen und hörte nur noch auf den Namen Kai-lid, denn sie bestand darauf, daß Dreena nunmehr wirklich tot war. Die Vögel setzten Kitiara und Tanis vor Solace auf der Straße ab. Kai-lid und die Rieseneulen flogen nach Süden in den Düsterwald, während der Halbelf und die Kriegerin nach Solace gingen.

Nach einer Weile gab Tanis es auf, Kitiara über ihre Schwangerschaft und über ihre Rolle beim Angriff auf das Eisvolk zu befragen. Sie beharrte störrisch darauf, daß sie nur so getan hatte, als würde sie den Valdan beraten, um Zeit zu gewinnen, bis Tanis und Caven auftauchten. Was ihre Schwangerschaft anging, war sie eisern.

»Xanthar hat sich geirrt«, fauchte sie. »Das einzige, wozu diese Eule taugte, war das Reiten. Auch wenn die Vorstellung einer berittenen Armee, die hoch über dem Feind fliegt, mich wirklich begeistert, Halbelf. Vielleicht könnten die Eulen am Söldnerleben Gefallen finden.«

»Du weichst aus.«

Kitiara fuhr fluchend herum. »Laß es, Halbelf. Wenn ich ein Kind bekommen würde, dann würde ich es wissen, oder? Und warum sollte ich das ausgerechnet vor dir verbergen?«

Tanis sah sie nur an. Schweigend gingen sie weiter. Bald blieben sie vor dem gepflasterten Weg zum Haus von Flint Feuerschmied in Solace stehen. Gleich würde Tanis den Zwerg wiedersehen, und Kitiara würde ihre Zwillingsbrüder aufsuchen.

»Kitiara«, sagte Tanis. Er sammelte sich, hielt dann aber inne und runzelte die Stirn. »Ich…«