Nachdem er und Mannon sich voneinander getrennt hatten, begab sich Conway zum nächsten Kommunikator und sprach kurz mit einigen der terrestrischen wie extraterrestrischen Ärzte, die den Unterricht für die neu eingetroffenen Medizinalassistenten übernehmen sollten. Als er schließlich auf die Uhr schaute, stellte er fest, daß er noch fast eine Stunde Zeit hatte, bevor er an Bord der Vespasian gehen mußte, und beim Durchqueren der Korridore legte er ein Tempo vor, das sich für einen Chefarzt eigentlich nicht geziemte.
Auf dem Schild über dem Eingang stand „Freizeitbereich der Spezies DBDG, DBLF, ELNT, GKNM & FGLI“. Conway ging hinein, tauschte rasch seinen weißen Arztkittel gegen eine Badehose und machte sich auf die Suche nach Schwester Murchison.
Die täuschend echt wirkende künstliche Beleuchtung und die wirklich geniale Landschaftsgestaltung des Freizeitbereichs, der immerhin eine ganze Ebene des Orbit Hospitals einnahm, vermittelten einem die Illusion unendlicher Weite. Das Endprodukt war jedenfalls ein kleiner, von Felsen eingerahmter Meeresstrand, der zur See hin offen war. Das Wasser erstreckte sich scheinbar bis zum Horizont, der unmerklich in ein Hitzeflimmern überging. Der Himmel war blau und wolkenlos — realistische Wolkeneffekte waren nur schwer nachzuahmen, hatte einst ein Wartungsingenieur Conway verraten. Das Wasser in der Bucht schimmerte türkisblau und plätscherte in sanften Wellen gegen den leicht ansteigenden Strand, dessen weißer Sand für die Füße fast zu heiß war. Lediglich die künstliche Sonne, die nach Conways Geschmack ein wenig zu rötlich ausgefallen war, und die extraterrestrischen Grünpflanzen, die den Strand und die Felsen umsäumten, raubten einem die Illusion, man würde sich in irgendeiner Südseebucht auf der Erde befinden.
Aber der Platz im Orbit Hospital war relativ knapp, und man konnte es nun einmal nicht jeder einzelnen Spezies gerecht machen. Außerdem erwartete man von Wesen, die zusammen arbeiten mußten, daß sie auch ohne Probleme ihre Freizeit gemeinsam verbringen konnten.
Die bemerkenswerteste und dennoch völlig unsichtbare Besonderheit des Freizeitbereichs aber war, daß dort nur die halbe Erdanziehungskraft herrschte. Ein halbes Ge bedeutete, daß die Wesen, die eine höhere Gravitation gewöhnt waren und erschöpft hierherkamen, sich noch leichter erholen konnten, und diejenigen, die sich bereits frisch fühlten, hier geradezu quicklebendig wurden.
Conway stand jetzt mit den Füßen im Wasser. Eine kleine, steile Welle näherte sich ihm im Zeitlupentempo und brach sich an seinen Knien. Die Wellenaktivität in der Bucht wurde nicht etwa künstlich erzeugt, sondern hing in ihrem Ausmaß von der körperlichen Größe, der Anzahl und der Betriebsamkeit der Badenden ab.
Von einem der beiden Felsen ragten etliche Vorsprünge hervor, die durch verborgene Tunnel miteinander verbunden waren und den Gästen als Absprungschanze dienten. Conway kletterte auf den mit seinen mehr als fünfzehn Metern höchsten Felsvorsprung und hielt, von diesem Aussichtspunkt aus nach einem weiblichen DBDG-Wesen namens Murchison, bekleidet mit einem weißen Badeanzug, Ausschau.
Schwester Murchison war allerdings weder im Restaurant auf dem gegenüberliegenden Felsen, noch im seichten Wasser am Strand oder in dem dunkelgrünen Wasser unterhalb der Felsvorsprünge zu sehen. Der Strand selbst war mit großen, kleinen, lederigen, schuppigen und pelzigen Gestalten übersät, die zumeist lang ausgestreckt im Sand lagen. Aber Conway hatte auch aus dieser Entfernung keine Mühe, die Menschen von den anderen Badegästen zu unterscheiden, da Terrestrier die einzige intelligente Spezies in der galaktischen Föderation mit einem Nacktheitstabu waren. Also konnte er jedes Wesen, das irgendein Kleidungsstück trug — und sei es noch so knapp bemessen —, als Angehörigen der Gattung Mensch betrachten.
Plötzlich entdeckte er etwas Weißes, das teilweise von einem gelben und zwei grünen Stoffetzen verdeckt wurde. Das mußte Schwester Murchison sein, die wieder einmal von einigen Verehrern umgeben war. Er orientierte sich kurz und ging denselben Weg zurück, den er gerade gekommen war.
Als er sich der Gruppe schließlich näherte, zogen sich die beiden Monitore, die um Schwester Murchison herumstanden, und ein Medizinalassistent, der von Ebene siebenundachtzig stammte, nur äußerst widerwillig zurück.
„Hallo, tut mir leid, daß ich mich etwas verspätet hab“, sagte er mit einer Stimme, die zu seinem eigenen Entsetzen vor Aufregung viel zu hoch klang.
Schwester Murchison beschattete ihre Augen mit der Hand und schaute zu ihm auf. „Ich bin auch gerade erst gekommen“, erwiderte sie lächelnd. „Warum legen Sie sich nicht einfach neben mich?“
Conway ließ sich in den Sand fallen, stützte sich aber auf einem Ellbogen ab, um Schwester Murchison sehen zu können.
Die Krankenschwester besaß physiologische Merkmale, die es den männlichen Mitarbeitern des terrestrischen Personals anscheinend unmöglich machten, sie aus neutraler, — medizinischer Distanz zu betrachten. Zudem hatte die künstliche, aber mit UV-Strahlen angereicherte Sonne ihrem Körper eine betörende Bräune verliehen, die durch den aufregenden Kontrast zum weißen Badeanzug noch verstärkt wurde. Ihre dunkelbraunen Haare wehten störrisch in der künstlichen Brise, ihre Augen waren wieder geschlossen und ihre Lippen leicht geöffnet. Sie atmete tief und gleichmäßig, wie ein Mensch, der sich entspannte oder schlief, und was dabei mit ihrem Badeanzug angestellt wurde, verfehlte auch bei Conway nicht seine Wirkung. Hätte sie telepathische Fähigkeiten, schoß Conway plötzlich durch den Kopf, würde sie wahrscheinlich sofort aufspringen und um ihr Leben rennen.
Sie öffnete nur ein Auge und sagte schnippisch: „Sie sehen gerade wie jemand aus, der am liebsten einen Urschrei von sich geben würde und sich mit beiden Fäusten auf seine frisch rasierte Männerbrust klopfen möchte.“
„Meine Brust ist nicht rasiert, sie ist von Natur aus unbehaart“, protestierte Conway lächelnd. „Aber ich möchte mich wenigstens einen Moment mal ernsthaft mit Ihnen unterhalten, und zwar möglichst allein. Ich meine.“
„Mir ist es egal, ob Ihre Brust behaart ist oder nicht“, besänftigte sie ihn. „Machen Sie sich deshalb also bloß keine Gedanken.“
„Das tue ich auch nicht“, antwortete er ungeduldig und fuhr beharrlich fort: „Hier geht es doch wirklich zu wie im Zirkus, könnten wir nicht. Oje! Vorsicht! Massenansturm!“
Er fuhr plötzlich mit der linken Hand zu ihr hinüber und hielt ihr die Augen damit zu, seine eigenen preßte er gleichzeitig fest zusammen.
Nur wenige Meter entfernt stampften zwei Tralthaner mit ihren insgesamt zwölf elefantenartigen Beinen an ihnen vorbei und durchpflügten die seichten Stellen am Strand, wobei sie in einem Umkreis von fast fünfzig Metern die Umliegenden mit Sand und aufspritzendem Wasser besprühten. Da die Gravitation nur ein halbes Ge betrug, konnten die normalerweise langsamen und behäbigen FGLIs hier wie junge Lämmer herumhüpfen, und zudem blieben der aufgewirbelte Sand und das Wasser eine ganze Weile länger in der Luft. Erst als Conway sich völlig sicher war, daß kein Körnchen und kein Tröpfchen mehr in der Luft war, nahm er behutsam seine Hand von Schwester Murchisons Augen, allerdings nicht ganz.
Nur zögernd und ein wenig unbeholfen strich er mit der Hand über ihre zarte Wange, bis ihr Kinn in seiner Handfläche lag. Dann fuhr er ihr sanft mit den Fingern durch das leicht gelockte Haar und streichelte sie hinter dem Ohr. Er spürte, wie sie sich zunächst etwas versteifte, sich dann aber wieder langsam entspannte.
„Ehm. jetzt wissen Sie, was ich meine“, sagte er mit trockenem Mund. „Es sei denn, Sie haben Spaß daran, daß Ihnen weiterhin tonnenschwere Monster Sand und Wasser ins Gesicht sprühen.“