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Der Lieutenant räusperte sich dezent hinter Conways Rücken und sagte: „Sobald Sie mit der Untersuchung fertig sind, Doktor, möchte O’Mara Sie sprechen.“

Conway nickte. „Ich werde eine Schwester kommen lassen, die ein Auge auf den Patienten wirft“, entgegnete er und fügte grinsend hinzu: „Und beschützen Sie die betreffende Person bitte genauso aufmerksam wie mich.“

Als er durch die Station ging, wies er diese Aufgabe einer außerordentlich hübschen terrestrischen Schwester zu. Er hätte auch eine der tralthanischen FGLI-Krankenpflegerinnen ins Beobachtungszimmer schicken können, die einer sechsbeinigen Spezies angehörten und so gebaut waren, daß ein irdischer Elefant daneben wie eine grazile Nymphe gewirkt hätte, aber er meinte, dem Lieutenant noch einen Gefallen zu schulden, weil er ihn zuvor ein wenig grob behandelt hatte.

Zwanzig Minuten später, nachdem er dreimal den Schutzanzug gewechselt hatte, wobei er erst die Chlorabteilung, dann einen wassergefülten Korridor, der zum Abschnitt der wasseratmenden AUGLs gehörte, und schließlich die extrem kalte Station der Methanatmer durchquert hatte, betrat er das Büro von Major O’Mara.

Als Chefpsychologe des Orbit Hospitals, das so viele Spezies beherbergte und einsam und verlassen in der unwirtlichen Dunkelheit am Rande der Galaxis schwebte, war er für das seelische Wohlergehen der mehr als zehntausend Mitarbeiter verantwortlich, die sich aus mehr als sechzig verschiedenen Spezies zusammensetzten. O’Mara war also ein sehr wichtiger Mann. Nach seiner eigenen Auffassung war er der zugänglichste Mensch im Orbit Hospital, der stets ein Ohr für die Sorgen und Nöte der Mitarbeiter hatte. Er behauptete gern von sich, daß es ihm egal sei, wer ihn wann und wo um seinen Rat bat. Wenn jemand allerdings keinen triftigen Grund habe, ihn mit seinen wahrscheinlich sowieso nur lächerlichen Problemen zu belästigen, dann solle derjenige nicht erwarten, ungeschoren davonzukommen. Für O’Mara waren die Mitarbeiter des Hospitals die eigentlichen Patienten, und es herrschte die allgemeine Ansicht, daß das hohe Niveau der psychischen Stabilität innerhalb des bunten Haufens hochsensibler Extraterrestrier allein darauf zurückzuführen war, daß sie schlichtweg zuviel Angst vor O’Mara hatten, um durchzudrehen. Aber heute war der Chefpsychologe in einer geradezu redseligen Stimmung.

„Was wir zu besprechen haben, wird länger als fünf Minuten dauern. Deshalb sollten Sie sich lieber setzen, Doktor“, sagte er verdrossen, als Conway vor seinem Schreibtisch stehenblieb. „Ich nehme an, Sie haben sich unseren Kannibalen bereits etwas näher angesehen, stimmt’s?“

Conway nickte. Nachdem er sich gesetzt hatte, umriß er kurz, was er bei dem EPLH-Patienten bislang festgestellt hatte, und erwähnte auch, daß er zusätzliche Komplikationen psychologischer Natur vermutete. „Haben Sie noch mehr Hintergrundinformationen über den Patienten, außer daß er möglicherweise zum Kannibalismus neigt?“ fragte er abschließend den Chefpsychologen.

„Viel weiß ich auch nicht“, entgegnete O’Mara. „Er wurde von einer Raumpatrouille des Monitorkorps in einem Schiff gefunden, das, obwohl es unbeschädigt war, Notsignale ausgesandt hatte. Augenscheinlich war der Patient zu krank, um das Schiff bedienen zu können. Zwar gab es auf den ersten Blick keinen weiteren Passagier an Bord, aber da es sich bei dem EPLH um eine neue Spezies handelt, durchkämmte die Rettungsmannschaft das Schiff von oben bis unten. Dabei wurde festgestellt, daß sich wenigstens noch eine zweite Person an Bord hätte befinden müssen. Die Crew kam durch eine Art Logbuch darauf, das von dem EPLH wie ein persönliches Tagebuch auf Band aufgezeichnet worden war. Außerdem gab es in der Luftschleuse und in anderen Schutzeinrichtungen eindeutige Hinweise auf ein zweites Wesen, die uns im Augenblick aber nicht weiterhelfen. Alle Fakten sprechen jedenfalls dafür, daß zwei Wesen an Bord waren, und das Logband weist ziemlich eindeutig darauf hin, daß der andere EPLH in den Armen, oder besser, zwischen den Zähnen Ihres Patienten ein blutiges Ende gefunden hat.“

O’Mara hielt inne und warf Conway einen dünnen Plastikordner in den Schoß. Conway sah, daß es sich dabei um die Abschrift der relevanten Passagen des Logbands handelte, konnte aber nur noch lesen, daß das Opfer ein EPLH-Arzt gewesen sein mußte, da O’Mara mit seinen Erläuterungen bereits fortfuhr.

„Über seinen Heimatplaneten wissen wir so gut wie nichts“, sagte er mürrisch, „nur, daß er wahrscheinlich irgendwo in der Großen Magellanschen Wolke liegt. Bedenkt man, daß wir erst ein Viertel unserer eigenen Galaxis erforscht haben, sind unsere Chancen, diesen Planeten ausfindig zu machen, nur sehr gering.“

„Was ist mit den Ianern?“ warf Conway ein. „Vielleicht könnten die uns weiterhelfen.“

Die Ianer gehörten einer Kultur dieser Galaxis an und hatten in der Milchstraße, genauer gesagt im galaktischen Sektor zwölf, in dem sich auch das Orbit Hospital befand, eine Kolonie errichtet. Sie waren ungewöhnliche Wesen — Klassifikation GKNM —, die sich als Jugendliche in ein Larvenstadium begaben und sich in einer wundersamen Metamorphose von einer zehnbeinigen Raupenart zu einer bizarren, geflügelten Lebensform entwickelten. Conway hatte erst vor drei Monaten einen von ihnen als Patienten gehabt. Zwar war der Alien schon lange entlassen worden, aber die beiden GKNM-Ärzte, die Conway eigentlich bei der Behandlung des Patienten hatten behilflich sein wollen, waren im Orbit Hospital geblieben, um hier noch eine Weile zu lernen und zu lehren.

„Eine Galaxis ist ein großes Gebilde“, sinnierte O’Mara, wobei ihm offensichtlich jede Begeisterung abhanden gekommen war, „aber Sie können es ja mit den Ianern versuchen. Doch um wieder auf Ihren Patienten zu sprechen zu kommen: Das größte Problem wird erst auf uns zukommen, nachdem Sie ihn geheilt haben.

Hören Sie, Doktor“, fuhr er fort, „sämtliche Begleitumstände, unter denen diese seltsame Kreatur aufgefunden wurde, lassen mit ziemlicher Sicherheit darauf schließen, daß dieser Alien eine Tat begangen hat, die von allen uns bekannten intelligenten Lebensformen für ein Verbrechen gehalten wird. Da das Monitorkorps von der Föderation unter anderem auch mit polizeilichen Aufgaben betraut wurde, muß es gewisse Maßnahmen gegen solche Kriminelle einleiten. Man erwartet, daß ein solches Wesen zunächst angeklagt und dann entweder freigesprochen oder angemessen bestraft wird. Aber wie können wir einem Kriminellen einen fairen Prozeß garantieren, wenn wir dessen Vorgeschichte nicht einmal kennen? Eine Vorgeschichte, die zum Beispiel die Möglichkeit mildernder Umstände zur Folge haben könnte. Andererseits ist es uns aber auch nicht möglich, ihn einfach wieder auf freien Fuß setzen.“

„Und warum nicht?“ fragte Conway. „Warum schicken wir ihn nicht einfach dahin zurück, wo er hergekommen ist, und verhängen als symbolische Strafe nur so etwas wie einen Tritt in den Hintern?“

„Und warum lassen wir ihn nicht einfach sterben und ersparen uns so sämtliche Probleme?“ entgegnete O’Mara lächelnd.

Conway schwieg. O’Mara hatte einen unfairen Vergleich angestellt, und beide wußten das. Aber sie wußten auch, daß niemand die Vollzugsorgane des Monitorkorps davon würde überzeugen können, der Heilung eines Kranken auf der einen und der Bestrafung eines Übeltäters auf der anderen Seite generell unterschiedliche Bedeutung beizumessen.

„Von Ihnen will ich, daß Sie soviel wie möglich über die Verhaltens- und Denkweisen des Patienten herausfinden, die er während der Behandlung an den Tag legt. Da ich Ihre Weichherzigkeit kenne, Conway, nehme ich an, daß Sie sich im Laufe der Behandlung auf die Seite des Patienten schlagen und die Rolle seines inoffiziellen Verteidigers spielen werden. Nun, an sich hab ich nichts dagegen, solange Sie uns dadurch die Informationen liefern, die wir benötigen, um geeignete Geschworene zu finden, die mit ihm möglichst artverwandt sind. Verstanden?“