„Da ist gerade ein Bericht reingekommen, der Ihnen möglicherweise dabei helfen kann“, erwiderte Stillman. „Das ist eine Kopie der Akten von einem Hospital auf dem Nordkontinent, die bis auf Teltrenns letzten Besuch zurückgehen. Nach diesen Unterlagen hat Teltrenn bei der Gelegenheit einige nützliche Informationen über Geburtshilfe und ein spezifisches Heilmittel gegen eine Krankheit mitgebracht, die wir B-achtzehn genannt haben. Die Häufigkeit von B-achtzehn hat im Hospital nach Teltrenns Besuch innerhalb von ein paar Wochen rapide abgenommen, obwohl die Gesamtzahl der Patienten ziemlich gleich geblieben ist, da ungefähr zur selben Zeit allmählich F-einundzwanzig aufgetaucht ist.“
B-achtzehn entsprach einer schweren Grippe, die für Kinder und junge Erwachsene in vier von zehn Fällen tödlich war. F-einundzwanzig stellte ein leichtes, nicht tödliches, drei bis vier Wochen dauerndes Fieber dar, in dessen Verlauf große, sichelförmige Striemen im Gesicht, an den Gliedmaßen und am Körper auftraten. Sobald das Fieber abgeklungen war, verdunkelten sich die Striemen zu einem Blauviolett und blieben für den Rest des Lebens am Körper des Patienten.
Conway schüttelte wütend den Kopf und sagte: „Eine der Hauptursachen für die entsetzlichen Zustände auf Etla ist auf jeden Fall auch der Vertreter des Imperiums!“
Stillman stand auf und erwiderte: „Wir würden ihm auch gern ein paar Fragen stellen. Wir haben die ganze Geschichte über Radio und durch Druckerzeugnisse weit publik gemacht, und zwar in so großem Umfang, daß wir uns jetzt ziemlich sicher sind, Teltrenn versteckt sich absichtlich vor uns. Wahrscheinlich hat er wegen der miserablen Abwicklung der Angelegenheiten ein schlechtes Gewissen. Außerdem haben wir für Lonvellin einen psychologischen Bericht über Teltrenn ausgearbeitet, der auf all den Zeugenaussagen beruht, die wir durch Hörensagen bekommen konnten. Ich werde Ihnen vom Schiff aus eine Kopie schicken lassen.“
„Danke“, erwiderte Conway.
Stillman nickte, gähnte und ging hinaus. Conway betätigte mit dem Daumen den Schalter des Kommunikators, stellte Kontakt mit der Vespasian her und bat um eine Sprechverbindung mit dem achtzig Kilometer entfernten Lonvellin. Er war immer noch beunruhigt und wollte sich jetzt einmal alles von der Seele reden. Das einzige Problem war nur, daß er nicht genau wußte, was „alles“ war.
„Daß Sie Ihren Teil des Unternehmens so schnell erledigt haben, war wirklich gute Arbeit, mein Freund“, entgegnete Lonvellin, nachdem ihm Conway über den Stand der Dinge unterrichtet hatte. „Ich hab mit der Qualität und dem Eifer meiner Assistenten wirklich Glück. Mittlerweile haben wir in den meisten Gegenden das Vertrauen der etlanischen Ärzte gewonnen, und bald ist auch der Weg für eine umfassende Aufklärung der Ärzte über die neuesten Heilmethoden frei gemacht. Deshalb werden Sie, Conway, innerhalb weniger Tage ins Orbit Hospital zurückkehren, und ich möchte Ihnen eindringlich nahelegen, nicht mit dem Gefühl abzufliegen, Sie hätten Ihre Aufgabe nicht in vollkommen zufriedenstellender Weise gelöst. Das sind völlig grundlose Sorgen, die Sie da geäußert haben.
Aber Ihr Vorschlag, das Wesen Teltrenn im Rahmen des Umerziehungsprogramms zu entfernen oder zu ersetzen, ist vernünftig“, fuhr Lonvellin schwerfällig fort. „Auch ich hatte schon an diesen Schritt gedacht. Ein weiterer Grund für Teltrenns Entfernung aus dem Amt ist die gut belegte Tatsache, daß schließlich er größtenteils die Verantwortung dafür trägt, die Intoleranz gegenüber außerplanetarischen Lebensformen lebendig erhalten zu haben. Ihre Vermutung, diese schädlichen Ansichten würden vielleicht nicht von Teltrenn, sondern vom Imperium selbst herrühren, kann richtig oder falsch sein. Ich halte es allerdings im Gegensatz zu Ihnen nicht für erforderlich, deshalb eine sofortige Suchaktion nach dem Imperium zu starten, um dessen Hintergrundstrukturen genauer zu beleuchten.“
Lonvellins Translatorstimme war zwar langsam und klang notgedrungen emotionslos, doch glaubte Conway trotzdem, einen härteren Ton herauszuhören, als der EPLH fortfuhr: „Ich begreife Etla als einen isolierten Planeten, der unter Quarantäne gehalten wird. Und deshalb kann man die Schwierigkeiten lösen, ohne Überlegungen über Einflüsse des Imperiums ins Spiel zu bringen oder die verschiedenen Ungereimtheiten vollkommen verstehen zu müssen, über die wir uns beide den Kopf zerbrechen. Denn diese Widersprüche werden sich schon auflösen, sobald die Heilung Erfolg hat. Und die Antworten, nach denen wir suchen, sind für die planetenweite Linderung des Leidens erst recht nur von sekundärer Bedeutung.
Schließlich ist Ihre Behauptung, die Besuche des Schiffs vom Imperium, das alle zehn Jahre auftaucht und nur ein paar Stunden bleibt, wären ein Hauptbestandteil des Problems, überhaupt nicht stichhaltig“, fuhr Lonvellin fort. „Ich könnte Ihnen sogar unterstellen, daß Sie — vielleicht unterbewußt — diesen Punkt nur deshalb so stark überbetonen, damit Sie Ihre Wißbegier über das Imperium stillen können.“
Da haben Sie ja so recht, dachte Conway. Aber bevor er darauf etwas entgegnen konnte, fuhr der EPLH schon fort: „Ich möchte Etla als ein Einzelproblem behandeln, denn es würde nur den Umfang der Operation über die zu bewältigenden Grenzen hinaus vergrößern, wenn man das Imperium mit ins Spiel bringt; ob es nun selbst ebenfalls medizinische Hilfe benötigt oder nicht.
Sie können trotzdem — nur, um Ihre offensichtliche Beunruhigung auszuräumen — Ihrem Mitwesen Williamson meine Erlaubnis ausrichten, nach diesem Imperium Ausschau zu halten, um über die dort herrschenden Zustände zu berichten. Falls Williamson das Imperium jedoch finden sollte, darf er dort auf keinen Fall etwas von unserer Tätigkeit auf Etla erwähnen, bevor wir hier die Operation nicht abgeschlossen haben.“
„Ich verstehe, Sir“, antwortete Conway und brach die Verbindung ab. Er fand es ausgesprochen seltsam, daß ihm Lonvellin wegen seiner Neugier Vorhaltungen gemacht und dann im selben Atemzug die Erlaubnis zur Befriedigung dieser Neugier gegeben hatte. War Lonvellin selbst vielleicht doch mehr über den Einfluß des Imperiums beunruhigt, als er zugeben wollte? Oder fing die große Kreatur einfach mit zunehmendem Alter allmählich an zu spinnen?
Jedenfalls setzte sich Conway umgehend mit Captain Williamson in Verbindung.
Nachdem er ihm von Lonvellins Erlaubnis berichtet hatte, räusperte sich der Captain erst ein paarmal. Und als Williamson schließlich antwortete, hatte seine Stimme einen ausgesprochen verlegenen Klang. „Doktor, in den letzten zwei Monaten haben wir schon eine ganze Reihe von medizinischen und Kontaktoffizieren nach dem Imperium suchen lassen“, sagte er. „Einer hatte mit der Suche auch Erfolg und uns einen Vorbericht geschickt. Dabei handelt es sich jedoch um einen medizinischen Offizier, der dem Etla-Projekt gar nicht zugeteilt war und deshalb auch nur sehr wenig von den hiesigen Vorgängen weiß. Darum ist sein Bericht möglicherweise nicht ganz so aufschlußreich, wie Sie es vielleicht gerne hätten. Ich schicke Ihnen aber zusammen mit dem Material über Teltrenn auf jeden Fall eine Kopie von diesem Bericht.
Lonvellin müssen Sie natürlich über diese Neuigkeit in Kenntnis setzen“, schloß Williamson, wobei er sich deutlich vernehmbar räusperte, „aber wann Sie das tun, kann ich selbstverständlich nur Ihnen selbst überlassen.“
Conway lachte plötzlich laut auf. „Da machen Sie sich mal keine Sorgen, Colonel, diese Information werde ich schon noch eine Zeitlang für mich behalten. Doch falls man Ihnen schon vorher auf die Schliche kommen sollte, können Sie Lonvellin ja immer noch daraufhinweisen, daß es eben zu den Pflichten eines guten Dieners gehört, die Wünsche seines Herrn vorherzusehen.“
Er lachte auch noch weiter, nachdem sich Williamson schon längst verabschiedet hatte. Und dann setzte ganz plötzlich der Umschwung ein.
Seit er auf den Planeten Etla gekommen war, hatte Conway nämlich nicht mehr viel gelacht. Aber nicht deshalb, weil er etwa den Fehler einer übermäßigen Identifikation mit seinen Patienten begangen hätte — kein halbwegs anständiger Arzt, dem das Beste seiner Patienten am Herzen lag, würde solch einen Frevel begehen.