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Es lag vielmehr daran, daß auf Etla niemand besonders oft lachte. Auf diesem Planeten lag irgend etwas in der Luft, ein Gefühl, daß einerseits die Zeit langsam knapp wurde und andererseits die ganze Sache sowieso vollkommen hoffnungslos war, und dieses Gefühl schien sich mit jedem Tag zu verstärken. Es hatte ziemliche Ähnlichkeit mit der Atmosphäre auf einer Station, auf der ein Patient im Sterben lag, wie Conway meinte. Mit dem Unterschied, daß die dort Beschäftigten selbst unter solchen Umständen noch die Zeit fanden, Witze zu reißen und sich zwischen den Krisen des Patienten wenigstens ein paar Minuten lang auszuruhen.

Langsam vermißte er das Orbit Hospital. Er war froh, daß er in ein paar Tagen dorthin zurückfliegen würde, und darauf freute er sich trotz der Unzufriedenheit über die vielen offenen und dann auch nicht mehr zu lösenden Probleme. Vor allem dachte er aber allmählich auch wieder an Schwester Murchison.

Denn die Gedanken an sie waren ihm auf Etla genauso vergangen wie das Lachen. Nur zweimal hatte er den ans Orbit Hospital geschickten etlanischen Proben Mitteilungen an Murchison beigelegt. Er wußte, daß Thornnastor in der Pathologie schon für die Weiterleitung der Briefe sorgen würde, auch wenn Thornnastor ein FGLI mit nur andeutungsweise vorhandenem Interesse für die emotionalen Verhältnisse terrestrischer DBDGs war. Aber warum hatte ihm Murchison dann nie einen Antwortbrief geschickt? Sie gehörte eben zum zurückhaltenden Typ. Möglicherweise hatte sie gedacht, es würde Conway zu sehr ermutigen, wenn sie sich die Mühe machte, eine Antwort an ihn zurückzuschmuggeln. Vielleicht war er bei ihr aber auch wegen der Episode mit dem Abschiedskuß und der anschließenden Flucht, die sich damals vor der Luftschleuse abgespielt hatte, völlig untendurch. Sie war eine eigenartige Frau: Sie besaß einen sehr ernsten Charakter, war mit Leib und Seele bei der Sache und hatte überhaupt keine Zeit für Männer.

Das erstemal war sie nur deshalb mit einer Verabredung einverstanden gewesen, weil Conway gerade eine sehr komplizierte Operation glatt über die Bühne gebracht hatte und feiern wollte. Außerdem hatte er kurz vorher mit ihr zusammen an einem Fall gearbeitet und dabei keinen einzigen Annäherungsversuch unternommen. Seit diesem Treffen hatte er sich regelmäßig mit ihr getroffen und sich dadurch den Neid sämtlicher männlichen DBDGs im Hospital zugezogen. Das einzige Problem dabei war nur, daß es für ihren Neid eigentlich überhaupt keinen Grund gab.

Conways wehmütiger Gedankengang wurde durch die Ankunft eines Monitors unterbrochen, der einen Ordner auf den Schreibtisch warf und sagte: „Das Material über Teltrenn, Doktor. Der andere Bericht ist mit dem Vermerk „vertraulich“ direkt an Captain Williamson gerichtet und muß deshalb erst von seinem Schreiber kopiert werden. Wir haben ihn aber in fünfzehn Minuten für Sie fertig.“

„Danke“, erwiderte Conway. Der Monitor ging wieder hinaus, und Conway fing gleich an zu lesen.

Da Etla eine Kolonie war, die nicht die Möglichkeit zu natürlichem Wachstum gehabt hatte, gab es auf dem Planeten keine nationalen Grenzen und natürlich auch nicht die dazugehörigen Streitkräfte. Dafür waren jedoch die Polizeikräfte, die für die Einhaltung der Gesetze auf dem Planeten sorgten, genaugenommen eigentlich Soldaten des Imperiums und unterstanden dem Befehl von Teltrenn. Es war auch eine Einheit dieser Polizeisoldaten gewesen, die Lonvellins Schiff angegriffen hatte und es auch jetzt noch immer angriff. Dem Bericht zufolge sprachen zwar sämtliche Anhaltspunkte zumindest auf den ersten Blick für einen stolzen und machthungrigen Charakter Teltrenns, dem jedoch die normalerweise in solchen Charakteren vorzufindende Grausamkeit fehlte. In seinen Beziehungen zur einheimischen Bevölkerung — der Vertreter des Imperiums war nämlich nicht auf Etla geboren — bewies Teltrenn Rücksicht und Fairneß. Es war aber offensichtlich, daß er dennoch auf die Einheimischen herabblickte, und zwar von ziemlich weit oben, fast so, als ob sie Angehörige einer niederen Spezies wären. Doch verachtete er sie immerhin nicht offen und war auch niemals grausam zu ihnen.

Conway knallte den Bericht auf den Tisch. Das war nur ein weiteres dummes und unbrauchbares Teil eines jetzt schon an sich unsinnigen Puzzles, und auf einmal hing ihm diese ganze alberne Geschichte zum Hals raus. Er stand auf und stapfte ins Vorzimmer, wobei er die Tür beim Aufstoßen gegen die Wand krachen ließ. Stillman zuckte leicht zusammen und blickte auf.

„Lassen Sie Ihre Schreibarbeiten einfach bis morgen liegen!“ fauchte Conway. „Heute nacht werden wir einmal schamlos in fleischlichen Lüsten schwelgen — wir schlafen in unseren eigenen Kabinen.“

„Schlafen?“ fragte Stillman und grinste plötzlich. „Was ist das denn?“

„Keine Ahnung“, entgegnete Conway, „ich dachte, Sie wüßten das vielleicht. Ich hab gehört, das soll ein neues Gefühl von unbeschreiblichem Glück sein und schnell zur Gewohnheit werden können. Na, was ist? Wollen wir mal richtig gefährlich leben.?“

„Nach Ihnen“, erwiderte Stillman.

Die Nacht draußen vor dem Bürogebäude war angenehm kühl. Am Horizont hingen zwar zerrissene Wolken, trotzdem schienen sich jedoch die gleißenden, kalten, dichtgedrängten Sterne über ihren Köpfen herabzusenken. Denn dies war ein Abschnitt des Alls, der voll von Sternen war, was zusätzlich noch durch die vielen Meteoriten bestätigt wurde, die alle paar Minuten weiße Schlieren über den Himmel zogen. Insgesamt war es zwar ein inspirierender und zugleich beruhigender Anblick, aber Conway konnte dennoch nicht aufhören, sich Sorgen zu machen. Er war überzeugt, daß er irgend etwas übersah, und seine Besorgnis war hier unter dem Sternenhimmel plötzlich noch viel größer, als sie es im Büro jemals gewesen war — auf einmal wollte er den Bericht über das Imperium so bald wie möglich lesen.

Dann kreisten seine Gedanken wieder um Murchison, und er fragte Stillman: „Haben Sie manchmal auch diese Gedanken, für die man sich im nachhinein wegen ihrer schmutzigen Phantasie furchtbar schämen sollte?“

Stillman grunzte nur und tat Conways Frage als rein rhetorisch ab. Schließlich setzten sie ihren Weg zum Schiff fort, doch plötzlich blieben sie abrupt stehen.

Am südlichen Horizont schien die Sonne aufzugehen. Der Himmel hatte ein helles, kräftiges Blau angenommen, das über Türkis in Schwarz überging. Die unteren Ränder der fernen Wolken leuchteten in Rosa und Gold. Doch bevor sie sich auch nur ansatzweise über diesen phantastischen, fehlplazierten Sonnenaufgang freuen oder sonstwie auf ihn reagieren konnten, war diese Farbenpracht bereits hinter einem bedrohlich roten Fleck am Horizont verschwunden. Durch ihre Schuhsohlen hindurch spürten Sie plötzlich eine leichte Erschütterung, und kurz darauf hörten sie ein Geräusch wie ein fernes Donnergrollen.

„Lonvellins Schiff“ rief Stillman.

Sie rannten sofort los.

11. Kapitel

Durch den Kommunikationsraum der Vespasian fegte ein Wirbelsturm der Betriebsamkeit, in dem der Captain das windstille und entschlossene Zentrum bildete. Als Stillman und Conway eintrafen, hatte man bereits dem Kurierschiff und allen verfügbaren Hubschraubern den Befehl erteilt, zuerst Dekontaminierungs- und Bergungsgerät zu laden, dann sofort zum Ort der Explosion weiterzufliegen und dort alle nur erdenkliche Hilfe zu leisten. Zwar bestand für die etlanische Einheit, die Lonvellins Schiff eingekreist hatte, natürlich keine Hoffnung mehr, aber am Rand des Katastrophengebiets lagen immerhin noch einzelne Farmen und mindestens ein kleines Dorf. Die Retter würden es wahrscheinlich nicht nur mit Strahlenopfern zu tun haben, sondern auch noch gegen die Panik ankämpfen müssen; denn die Etlaner hatten bisher mit Atomexplosionen überhaupt keine Erfahrung und würden sich deshalb der Evakuierung ziemlich sicher widersetzen.