„Sie müssen mich vorhin für ziemlich blöd gehalten haben, Conway.“, begann Williamson, wurde dann aber von den Berichten der zurückgekehrten Besatzungsmitglieder unterbrochen: Einer der Hubschrauber war beschossen worden, und den Monitoren in der Stadt hatte man befohlen, bei der Ortspolizei zu bleiben. Diese Befehle waren zusammen mit der Anweisung, jeden Fluchtversuch durch gezielte Todesschüsse sofort zu vereiteln, direkt vom Vertreter des Imperiums erteilt worden. Doch die Polizisten und die Monitore waren inzwischen recht gut miteinander befreundet, und deshalb hatten die Etlaner bei der Flucht der Korpsangehörigen weit über deren Köpfe gezielt.
„Das wird ja von Minute zu Minute niederträchtiger“, sagte Stillman plötzlich. „Wissen Sie, ich glaube, die werden uns schließlich noch für die Zerstörung von Lonvellins Schiff verantwortlich machen und uns zudem für all die Opfer in der Gegend die Schuld in die Schuhe schieben. Die werden unsere bisherigen Leistungen allesamt so verdrehen, bis wir als die eigentlichen Verbrecher dastehen. Und ich könnte wetten, sobald wir hier weg sind, verbreiten die eine Menge neuer Krankheiten, für die wir dann auch noch die Schuld kriegen!“
Stillman fluchte und fuhr dann fort: „Sie wissen ja, was die Menschen des Imperiums von diesem Planeten denken. Etla ist ihr armer, kranker, verkrüppelter Bruder, und wir werden die gemeinen Aliens sein, die kaltblütig über ihn hergefallen sind.“
Während der Major sprach, brach Conway erneut der kalte Schweiß aus — schließlich hatte er seine Schlußfolgerungen über die Behandlungsart Etlas seitens des Imperiums aus rein medizinischen Anhaltspunkten gezogen, und außerdem hatte ihn bei der ganzen Sache der medizinische Aspekt am meisten beunruhigt, so daß ihm die allgemeineren Auswirkungen des Ganzen noch gar nicht bewußt geworden waren. Auf einmal platzte er los:
„Aber das könnte ja Krieg bedeuten!“
„Ja, natürlich“, antwortete Stillman grimmig. „Und das ist vielleicht genau das, was das Imperium will. Wenn man nach dem geht, was wir von ihm wissen und was hier auf Etla passiert, ist es viel zu groß und unbeweglich geworden und im Innern völlig verrottet. Wahrscheinlich würde es innerhalb weniger Jahrhunderte von selbst auseinanderfallen, was ja durchaus begrüßenswert wäre. Aber es geht eben nichts über einen schönen Krieg, ein Endziel, für das sich jeder von ganzem Herzen patriotisch engagieren kann und mit dem man ein sich auflösendes Imperium wenigstens vorübergehend wieder zusammenschweißt. Den Gürtel enger schnallen, die Ärmel hochkrempeln und all diesen Quatsch. Wenn man es richtig anstellt, dann könnte das Imperium durch diesen Krieg noch einmal hundert Jahre lang fortbestehen.“
Conway schüttelte benommen den Kopf. „Ich hätte schon früher darauf kommen müssen, was da vor sich geht“, sagte er. „Wenn wir bloß die Zeit gehabt hätten, den Etlanern die Wahrheit zu sagen.“
„Immerhin haben Sie es eher bemerkt als alle anderen, Doktor“, unterbrach ihn der Captain energisch. „Und die Wahrheit hätte weder uns noch den Etlanern etwas genützt, solange wir diese nicht auch dem durchschnittlichen Bürger des Imperiums hätten eröffnen können. Sie haben also überhaupt keinen Grund für irgendwelche Selbstvorwürfe, nur weil Sie.“
„Hier spricht der technische Offizier“, meldete eine Stimme aus einem der ungefähr zwanzig vergitterten Lautsprecher im Raum. „Wir empfangen ein Echobild von Grünfläche zwölf einunddreißig, das ich Ihnen auf Ihren Repeaterschirm fünf lege. Das Objekt sendet Störsignale gegen Raketenangriffe und behindert durch Stanniolstreifen unsere Radarpeilung erheblich, was auf ein schlechtes Gewissen und eine geringere Größe als unsere hindeutet. Irgendwelche Anweisungen, Sir?“
Williamson warf einen kurzen Blick auf den Repeaterschirm. „Unternehmen Sie nichts, bevor das Objekt nichts unternimmt“, erwiderte er und wandte sich wieder Stillman und Conway zu. Dann sprach er in einem beruhigenden und vertrauenerweckenden Ton des ranghöheren Offiziers, der die volle Verantwortung trägt und diese auch freiwillig übernimmt, in einem Ton also, der mit Nachdruck herausstellte, daß sie sich keine Sorgen zu machen brauchten, weil er die Angelegenheiten schon erledigen würde.
„Blicken Sie nicht so bekümmert drein, meine Herren. Diese Situation, diese drohende Gefahr eines interstellaren Krieges, mußte ja irgendwann einmal kommen“, sagte er. „Aber wir haben schon lange Pläne ausgearbeitet, um mit solch einer Lage fertigzuwerden. Und glücklicherweise haben wir reichlich Zeit, diese Pläne in die Tat umzusetzen.
Das Imperium ist räumlich gesehen ein kleiner, dichtgedrängter Verbund von Planeten“, fuhr er beruhigend fort, „andernfalls hätten wir nicht so schnell mit ihnen in Kontakt treten können. Die Planeten der Föderation dagegen sind äußerst dünn über die halbe Galaxis verteilt. Wir mußten schließlich nur einen Sternhaufen suchen, wo eine von fünf Sonnen von einem bewohnten Planeten umkreist wird. Aber das Problem des Imperiums ist bei weitem nicht so einfach zu lösen. Wenn diese Leute sehr viel Glück haben, finden sie uns vielleicht in drei Jahren, aber nach meiner eigenen Schätzung wären es wohl eher zwanzig. Sie sehen also, wir haben massenhaft Zeit.“
Conway fühlte sich trotzdem keineswegs beruhigt, und er mußte das auch gezeigt haben, denn der Captain versuchte, seinen Einwänden schon im vorhinein zu begegnen.
„Vielleicht hilft der Agent, der den Bericht abgefaßt hat, dem Imperium“, fuhr Williamson schnell fort. „Möglicherweise gibt er dem Imperium sogar bereitwillig Informationen über die galaktische Föderation sowie über die Organisationsform und Stärke des Monitorkorps, weil ihm ja bisher die Wahrheit über das Imperium nicht bekannt ist. Aber da es sich bei unserem Agenten um einen Arzt handelt, ist es unwahrscheinlich, daß er dem Imperium vollständige oder genaue Informationen liefern kann. Die wären sowieso nutzlos, solange das Imperium nicht unsere Positionen kennt. Denn das wird das Imperium erst nach der Gefangennahme eines Schiffsastronavigators oder nach dem Kapern eines Schiffs mit genauen Karten herausfinden. Und um dieser Eventualität vorzubeugen, werden wir von diesem Augenblick an sehr strenge Sicherheitsvorkehrungen treffen.
Unsere Agenten sind ausschließlich in Sprachwissenschaften, Medizin oder Sozialwissenschaften ausgebildet“, schloß Williamson zuversichtlich. „Ihre Kenntnisse von interstellarer Navigation sind also gleich null. Das Aufklärungsschiff, das sie absetzt, kehrt unverzüglich zum Stützpunkt zurück. Das ist bei Operationen dieser Art das vorbeugende Standardverfahren. Sie sehen also, wir haben zwar ein ernsthaftes Problem, aber eben kein unmittelbares.“
„Ach, haben wir nicht?“ fragte Conway.
Er merkte, wie Williamson und Stillman ihn musterten — mit äußerster Aufmerksamkeit und Vorsicht, als wäre er eine Art Zeitbombe, die schon vor einer halben Stunde einmal explodiert war und jetzt wieder kurz davorstand. In gewisser Weise tat es Conway leid, erneut vor ihnen in die Luft gehen zu müssen und sie gleichfalls die Angst und die schreckliche, nagende Sorge mitempfinden zu lassen, die bislang nur er selbst verspürt hatte. Er befeuchtete die Lippen und bemühte sich, es ihnen so schonend wie möglich beizubringen.
„Ich selbst hab nicht die leiseste Ahnung von den Koordinaten vom Traltha, Illensa oder von der Erde, nicht einmal von dem damals von der Erde aus bevölkerten Planeten, auf dem ich geboren wurde“, sagte er ruhig. „Aber es gibt eine Reihe von Zahlen, die ich kenne, und mit höchster Wahrscheinlichkeit auch jeder andere Arzt, der in diesem Sektor Raumdienst hat. Und diese Zahlen, meine Herren, sind die Koordinaten des Orbit Hospitals.
Ich glaube deshalb nicht, daß uns auch nur noch die geringste Zeit bleibt.“