Auf den Planeten, die sie eroberten, übernahmen sie stets die Führungsrolle. Mal gingen sie dabei wohltätig, ein anderes Mal brutal vor, wobei sich diese vermeintliche Brutalität im Laufe der Jahrzehnte oder Jahrhunderte jedoch gewöhnlich als eine getarnte Wohltätigkeit entpuppte. Sie benutzten Individuen, ganze planetarische Bevölkerungen und sogar interplanetarische Kulturen lediglich als Mittel zur Lösung der Probleme, die diese sich selbst geschaffen hatten. Und sobald diese Schwierigkeiten gelöst waren, verschwanden sie wieder. Jedenfalls sei dies der Eindruck von nicht ganz unvoreingenommenen Beobachtern.
Der Ianer fuhr mit ausdrucksloser Translatorstimme fort: „Es gibt übereinstimmende Berichte, nach denen immer nur einer von ihnen mit seinem Schiff und mit einem Begleiter, der stets einer anderen Spezies angehört, auf einem Planeten landet. Durch eine Kombination aus Verteidigungstechnik, Psychologie und reinem Geschäftssinn überwinden sie die dort herrschenden Vorurteile und häufen Macht und Reichtum an. Dabei erfolgt der Übergang von einem lokal begrenzten Machteinfluß bis zur absoluten Herrschaft über den gesamten Planeten nur allmählich. Aber schließlich haben diese Wesen ja Zeit, denn sie sind unsterblich.“
Wie durch einen Schleier hörte Conway seine Gabel zu Boden fallen, und es dauerte ein paar Minuten, bis er sich körperlich wie seelisch wieder gefangen hatte.
Zwar gab es in der galaktischen Föderation einige Spezies — zu denen auch die Menschen gehörten —, deren fortgeschrittene medizinische Wissenschaft zu einer beträchtlich höheren Lebenserwartung geführt hatte, und das in erster Linie durch die Anwendung von Verjüngungskuren, von Unsterblichkeit aber hatte man noch nie etwas gehört. Jedenfalls nicht bis zu diesem Zeitpunkt. Doch jetzt hatte Conway einen unsterblichen Patienten in seiner Obhut, den er heilen und vor allem untersuchen mußte, es sei denn. Aber der GKNM war ein Arzt, und ein Arzt würde niemals von Unsterblichkeit reden, wenn er lediglich eine hohe Lebenserwartung meinte.
„Sind Sie sich auch wirklich ganz sicher?“ hakte Conway schließlich mit fast krächzender Stimme nach.
Die Antwort des Ianers erforderte einige Zeit, denn sie enthielt etliche bis ins letzte Detail gehende Tatsachen, aber auch Theorien und Legenden, die sich nun einmal um solche Wesen rankten, wenn sie als Individuen angeblich einen ganzen Planeten zu beherrschen vermochten. Zum Schluß war Conway noch immer nicht gänzlich davon überzeugt, daß sein Patient unsterblich war, doch schien nun alles, was er gehört hatte, darauf hinzuweisen.
Nur zögernd sagte er: „Nach allem, was ich eben gehört hab, sollte ich die Frage vielleicht lieber nicht stellen. Aber sind diese Wesen Ihrer Meinung nach in der Lage, einen Mord oder vielleicht gar Kannibalismus zu begehen?“
„Nein!“ wandte einer der Ianer ein.
„Niemals!“ bekräftigte der andere.
Natürlich klangen die Antworten über den Translator ausdruckslos, aber allein die Lautstärke, mit der sie übertragen wurden, ließ alle anderen in der Kantine erschrocken aufblicken.
Einige Minuten später war Conway wieder allein. Die Ianer hatten um Erlaubnis gebeten, sich den legendären EPLH einmal ansehen zu dürfen, und waren gleich darauf voller Ehrfurcht, angsterfüllt und neugierig zugleich davongeschwirrt. Conway empfand Ianer als angenehme Wesen, obgleich er der festen Überzeugung war, daß Salat nur etwas für Kaninchen war. Mit einer übertriebenen Gebärde schob er seinen kaum angerührten Rohkostteller angeekelt beiseite und bestellte sich ein großes Steak mit doppelter Beilage.
Allem Anschein nach sollte dies ein langer und harter Arbeitstag werden.
Die beiden Ianer waren bereits wieder verschwunden, als er ins Beobachtungszimmer zurückkehrte, und der Zustand des Patienten hatte sich nicht verändert. Der Lieutenant beschützte noch immer die diensthabende Schwester — wobei er ihr anscheinend keinen Zentimeter von der Seite gewichen war —, und aus irgendeinem Grund errötete er. Conway nickte mit nachdenklicher Miene und entließ die Krankenschwester. Als er gerade den Bericht der Pathologie ein zweites Mal durchlas, kam Dr. Prilicla herein.
Prilicla war ein spinnenartiges, unglaublich zerbrechlich wirkendes Wesen. Die Gravitation auf seinem Heimatplaneten Cinruss betrug nicht einmal ein Zwölftel der Erdanziehungskraft, und um die überschüssige Anziehungskraft zu neutralisieren, hatte der GLNO einen Gravitationsgürtel angelegt, weil er sonst am Boden regelrecht zermalmt worden wäre. Neben der Tatsache, ein sehr fähiger Arzt zu sein, war er die beliebteste Persönlichkeit im Hospital, zumal seine empathischen Fähigkeiten es dem kleinen Wesen fast unmöglich machten, irgend jemandem böse zu sein. Prilicla besaß ein Paar großer, nicht ganz verkümmerter Flügel, und obwohl er mit deren Hilfe während der Mahlzeiten zwar ähnlich wie die Ianer über dem Teller zu schweben pflegte, mochte Conway dieses obskure Wesen doch sehr, zumal er seine Spaghetti immerhin mit einer Gabel aß.
Er beschrieb Prilicla in kurzen Worten den gegenwärtigen Zustand des EPLH und was ihm sonst noch über ihn bekannt war und schloß: „… ich weiß zwar, daß Sie von einem bewußtlosen Patienten nicht viel herausbekommen können, aber schon die geringsten Informationen könnten mir sehr dienlich sein.“
„Es scheint sich hierbei um ein Mißverständnis zu handeln, Doktor“,
unterbrach ihn Prilicla, wobei seine sorgsame Wortwahl darauf schließen ließ, daß er Conway eigentlich sagen wollte, er irre sich gewaltig. „Der Patient ist nämlich bei Bewußtsein.“
„Um Himmels willen! Dann gehen Sie sofort zurück!“
Sowohl durch Conways emotionale Ausstrahlung als auch durch dessen eindringliche Warnung alarmiert, wich Prilicla augenblicklich außer Reichweite zurück; die knöcherne Keule des Patienten hätte seinen empfindlichen Körper mit einem einzigen Hieb schlichtweg zertrümmern können.
Der Lieutenant hingegen trat einen Schritt vor, sein Blick haftete auf dem noch immer regungslosen Tentakel, der wie ein gewaltiger Schlagstock aussah. Einen Augenblick lang herrschte Totenstille, und niemand rührte sich vom Fleck; alle starrten nur wie gebannt auf den nach außen hin bewußtlos wirkenden Patienten. Schließlich blickte Conway Prilicla fragend an; er mußte ihm erst gar nichts sagen.
„Ich nehme emotionale Ausstrahlungen wahr, die nur von einem Verstand herrühren können, der sich seiner selbst bewußt ist. Die Gehirnströme selbst sind relativ träge und in Anbetracht der körperlichen Größe des Patienten recht schwach. Im einzelnen strahlt er Gefühle der Angst, Hilflosigkeit und Verwirrung aus; trotzdem gibt es auch Hinweise auf eine gewisse Entschlußkraft.“
Conway seufzte.
„Also simuliert er nur“, murmelte der Lieutenant grimmig vor sich hin.
Der Umstand, daß der Patient die Bewußtlosigkeit nur vortäuschte, scherte Conway weniger als den Monitor. Trotz der vielen ihm zur Verfügung stehenden Diagnosegeräte war er der festen Überzeugung, daß bei der Bekämpfung einer Krankheit und für eine erfolgreiche Behandlung ein gesprächsbereiter und mitarbeitender Patient die beste Hilfe für einen Arzt war. Aber wie sollte man ein Gespräch mit einem Wesen beginnen, das fast eine Gottheit war.?
„Wir. wir wollen Ihnen helfen“, stammelte er verlegen. „Verstehen Sie,
was ich sage?“
Wie zuvor blieb der Patient vollkommen regungslos.
„Es gibt keinerlei Anzeichen, daß er Sie hören kann“, bemerkte Prilicla.
„Aber wenn er bei Bewußtsein ist, dann.“, begann Conway, unterbrach den Satz aber mit einem hilflosen Achselzucken.
Er bereitete wieder seine Instrumente vor. Diesmal untersuchte er den EPLH aber mit Priliclas Unterstützung, wobei seine besondere Aufmerksamkeit den Seh- und Hörorganen galt. Während der Untersuchung gab es jedoch trotz des grellen Lichts und des häufigen Einsatzes verschiedenster Sonden keinerlei physische oder emotionale Reaktionen seitens des Patienten. Bei keinem der Sinnesorgane konnte Conway irgendwelche Fehlfunktionen feststellen, und dennoch schien der EPLH auf sämtliche äußere Reize in keiner Weise zu reagieren. Körperlich schien er bewußtlos zu sein und nichts von dem mitzubekommen, was um ihn herum geschah — Prilicla aber behauptete das Gegenteil.