Eine wahre Flut von Raketen bohrte sich in die dicke Verkleidung der Außenwand, sprengte die Trümmerteile weg, mit denen frühere Einschlaglöcher verstopft worden waren, und fraß sich in die weniger stabile Innenwand. Traktor- und Pulsatorstrahlen packten die immer noch fest sitzenden Trümmer, rüttelten sie mit Gewalt auseinander und zogen sie beiseite, damit sich die Raketen noch tiefer in die Wand hineinbohren konnten. Die Verteidigungswaffen des Monitorkorps forderten unter den dicht zusammengedrängten Schiffen des Feinds zwar furchtbare Opfer, aber das nur für kurze Zeit. Denn die ungeheure Zusammenballung des feindlichen Feuers zertrümmerte die Verteidigungsstellungen an dieser Stelle völlig, zerschlug sie, riß und zerrte an ihnen, bis alles nur noch eine dahintreibende Masse aus zerfleischten Männern und zerfetztem Metall war. Ein Teil der Außenwand mußte vollkommen unverteidigt aufgegeben werden, und plötzlich wurde klar, daß dies nicht nur ein Angriff, sondern auch eine Invasion war.
Unter dem Deckungsfeuer der massierten Angreifer senkten sich drei riesige, unbewaffnete Schiffe schwerfällig auf den unverteidigten Abschnitt herab. Es waren Truppentransporter.
Sofort erhielt die Vespasian die Anweisung, die Verteidigungslücke zu schließen. Sie raste auf die Stelle zu, wo der erste Transporter gerade landen wollte, veranstaltete dabei einen Spießrutenlauf sowohl durch das Feuer des Monitorkorps als auch durch das des Feindes, und schoß schließlich, als das feindliche Ziel auf der Wölbung der Außenwand auftauchte, alles ab, was sie hatte.
Für das, was dann geschah, wurden später mehrere Entschuldigungen angeführt — eine Fehleinschätzung durch den Piloten der Vespasian; ein Treffer von einem der feindlichen Schiffe oder sogar von den eigenen Leuten; Raketen, die die Vespasian genau im falschen Moment vom Kurs abbrachten. Daß Captain Williamson den feindlichen Transporter absichtlich rammte, unterstellte ihm jedoch nie jemand, denn Williamson war als ein fähiger Offizier mit klarem Kopf bekannt — und ein Tausch bei einem Kurs von eins zu eins war selbst in dieser hoffnungslosen Kampfphase ein taktisch unkluger Schritt, wenn man daran dachte, wie stark der Feind dem Monitorkorps überlegen war.
Die Vespasian stieß in der Nähe des Hecks gegen den zwar größeren, aber leichter gebauten Transporter und schien ihn einfach zu durchbohren, bevor sie mit einem leisen Knirschen zum Stillstand kam. Aus dem Innern des beschädigten Transporters erhellte eine kleine Explosion den Nebel aus entweichender Luft, doch die beiden Schiffe blieben trotzdem weiterhin ineinander verkeilt und drehten sich langsam herum.
Eine Sekunde lang schien alles zum Stillstand zu kommen, dann aber holten die fest installierten Verteidigungsanlagen des Monitorkorps zum Schlag aus. Die Monitore ließen alle anderen Ziele außer acht, damit sich die Wirkung ihrer Pulsatorprojektoren voll und ganz auf den zweiten herabsinkenden Transporter richten konnte. Innerhalb von Minuten hatten die Pulsatorstrahlen die Verkleidung an drei Stellen des Schiffsrumpfs abgerissen und drangen tief ein. Der Transporter verlor Luft und zog sich schwerfällig zurück. Der dritte Transporter hatte schon vorher mit dem Rückzug begonnen. Nun wich die gesamte feindliche Streitmacht zurück, allerdings nicht sehr weit, und das Bombardement wurde mit nur leicht verminderter Stärke fortgesetzt.
Dieser Rückzug war auch beim besten Willen kein Sieg für das Monitorkorps. Der Feind hatte lediglich die Situation falsch eingeschätzt und war ein wenig voreilig vorgegangen. Das Orbit Hospital mußte erst noch mehr zermürbt werden.
Traktorstrahlen schossen hervor, stoppten die Drehung der beiden beschädigten Schiffe und zogen sie an die zerstörte Außenwand heran. Aus dem Hospital kamen Monitore geflogen, um nach Verletzten zu suchen, und bald wurden die ersten Patienten ins Hospital gebracht. Das geschah jedoch auf Umwegen, denn unter den beschädigten Schiffen lagen bereits andere Schiffswracks, und es waren noch andere Rettungsteams mit der Befreiung und Bergung von Verletzten beschäftigt, von denen einige schon zum zweiten- oder drittenmal verwundet worden waren.
Unter diesen Rettungsteams befand sich auch Dr. Prilicla. Der GLNO gehörte zur zerbrechlichsten Lebensform, die in der Föderation bekannt war, und das wichtigste Überlebensmerkmal dieser Spezies war Feigheit. Doch Prilicla lenkte seine dünnwandige Druckblase geschickt über scharfkantige Verkleidungsteile und durch Trümmer, die in zunehmendem Maße um ihn herumtrieben, und suchte nach Leben. Denn lebende Gehirne strahlten sogar im Zustand der Bewußtlosigkeit Lebenszeichen aus, und daher konnte der kleine GLNO unfehlbar die Lebenden von den Toten unterscheiden. Da es Verwundete gab, die in ihren Anzügen verbluteten oder deren Anzüge Druck verloren, richteten sich Priliclas Bemühungen um das Aufspüren von Leben auf die Bereiche, wo sie den größten Nutzen brachten, und auf diese Weise rettete er viele, viele Leben. Doch für einen für Emotionen empfänglichen Empathen war es in jedem schrecklichen und schmerzhaften Sinn des Wortes eine höllische Arbeit.
Major O’Mara war überall gleichzeitig zu finden. Hätte keine Schwerelosigkeit geherrscht, hätte sich der Chefpsychologe bestimmt mit letzter Kraft von Ort zu Ort geschleppt, doch unter den gegebenen Umständen war seine extreme Erschöpfung lediglich daran zu erkennen, daß er sich hin und wieder in den Entfernungen verschätzte und gegen Türen rannte oder mit Lebewesen zusammenprallte. Wenn er jedoch mit terrestrischen Patienten, Schwestern und Monitoren sprach, klang seine Stimme nie müde. Seine bloße Gegenwart wirkte sich auch auf das ET-Personal beruhigend aus. Denn obwohl die ETs ihn nicht verstehen konnten, erinnerten sie sich doch an den Menschen, der er gewesen war, als die Translatoren noch funktioniert hatten und O’Mara ihnen mit ein paar scharfen Worten buchstäblich das Fell über die Ohren ziehen konnte.
Das aus den massigen, unbeholfenen tralthanischen FGLIs, den krabbenähnlichen melfanischen ELNTs und all den anderen Aliens bestehende ET-Personal war überall. Auf einigen Ebenen leiteten die ETs die Arbeit des terrestrischen Personals, auf anderen halfen sie den Schwestern und Sanitätern des Monitorkorps. Die ETs waren alle müde und abgekämpft und verstanden leider häufig nicht, was man ihnen sagte, aber zusammen retteten sie sehr viele Leben.
Und jedesmal, wenn eine Rakete das Hospital traf, ging wieder etwas Boden verloren.
Conway hielt sich jetzt ausschließlich in der Kantine auf. Er stand jedoch mit den meisten der restlichen Ebenen in Funkverbindung, denn die zu ihnen führenden Korridore waren in vielen Fällen luftleer oder durch Trümmerteile verstopft. Außerdem war man allgemein der Meinung, daß
sich der letzte dem Hospital verbliebene Chefarzt an einem möglichst sicheren Ort aufhalten sollte. Er mußte sich um eine Menge terrestrischer Patienten kümmern, und man schickte ihm auch die schwierigen ET-Fälle, egal, ob es sich nun um Angehörige der Streitkräfte oder des medizinischen Personals handelte.
In gewisser Hinsicht leitete er die größte und gleichzeitig räumlich beengteste Station im Orbit Hospital. Da niemand mehr Zeit zum Essen hatte und sich jeder ganz auf die abgepackte Fertignahrung verließ, die auf die einzelnen Stationen geschickt wurde, war die Hauptkantine umgebaut worden. Betten und OP-Geräte waren am Boden, an den Wänden und der Decke des großen Saals befestigt worden. Und da sich die Patienten aus Angehörigen des Raumpersonals zusammensetzten, beunruhigte sie weder die Schwerelosigkeit noch der Anblick von anderen, ein paar Meter über ihnen hängenden Patienten. Für die Patienten, die sprechen konnten, war das sogar praktisch.