„Nun, dann hat er ja eine ganze Menge gesagt“, erwiderte Dermod wütend. Sein Gesichtsausdruck war gequält, so als ob er verzweifelt neue Hoffnung schöpfen wollte, sich aber nicht traute. Er fuhr fort: „Und Ihre Männer haben sicherlich auch sehr viel gesagt, wie? Warum haben Sie mich bloß von alledem nichts wissen lassen.?“
„Es ging ja nicht darum, was wir gesagt haben“, unterbrach ihn Stillman scharf, „sondern darum, was wir getan haben! Die Leute vom Imperium haben uns doch zuerst nicht ein einziges Wort geglaubt. Aber dieses Gebäude hier hatte dann überhaupt nicht der ihnen eingeredeten Erwartung entsprochen, und war in ihren Augen plötzlich viel mehr ein Krankenhaus als eine Folterkammer, doch der Schein hätte ja trügen können. Sie waren eben äußerst mißtrauisch. Aber dann haben sie gesehen, wie sich die terrestrischen und extraterrestrischen Ärzte und Schwestern für die Patienten beinahe totgeschuftet haben, und vor allem haben sie ihn dort gesehen. Das Reden hat überhaupt nichts gebracht, zumindest nicht am Anfang, sondern erst später. Bewirkt haben nur unsere Taten etwas — seine Taten.!“
Conway spürte, wie ihm das Blut in den Kopf schoß, und er protestierte: „Aber das gleiche ist doch auf jeder Station im Hospital passiert!“
„Halten Sie den Mund, Doktor“, befahl ihm Stillman mit Respekt, und fuhr dann fort: „Er schien überhaupt keinen Schlaf zu brauchen. Wenn wir erst einmal außer Lebensgefahr waren, hat er zwar kaum noch mit uns gesprochen, aber die Patienten in der Nebenstation hat er nie vergessen, obwohl das die vermeintlich hoffnungslosen Fälle waren. Durch seine Bemühungen stellte sich heraus, daß zwei dieser Patienten keineswegs zu den hoffnungslosen Fällen gehörten, und die hat er dann zu uns auf die Hauptstation gebracht. Außerdem war es ihm vollkommen gleichgültig, zu welcher Seite irgendein Patient gehörte, er hat für den einen genauso hart wie für den anderen geschuftet.“
„Stillman!“ unterbrach ihn Conway in scharfem Ton. „Jetzt dramatisieren Sie die Dinge aber.!“
„. doch selbst jetzt waren sich die Leute vom Imperium noch ein wenig unschlüssig“, fuhr Stillman fort, ohne Conways Protest zu beachten. „Der TRLH-Fall besiegelte schließlich die Angelegenheit. Denn die TRLHs sind ETs, die sich freiwillig zu den feindlichen Truppen gemeldet haben. Die Leute vom Imperium halten im allgemeinen nicht viel von ETs und hatten von uns das gleiche erwartet, erst recht, weil dieser ET auch noch der gegnerischen Seite angehörte. Aber Conway hat sich für den TRLH genauso selbstlos eingesetzt wie für alle anderen Patienten, und als er dann durch diesen Druckabfall nicht weiteroperieren konnte und der ET gestorben ist, da haben alle seine Reaktion darauf gesehen.“
„Stillman!“ schrie Conway wütend dazwischen.
Aber Stillman ging nicht ins Detail. Er schwieg und hielt den Blick ängstlich auf Dermod gerichtet. Alle im Raum blickten jetzt gespannt auf den Flottenkommandanten, bis auf Conway, der zu Heraltnor hinüberschaute.
Der Offizier des Imperiums wirkte im Moment nicht besonders beeindruckend, dachte Conway. Er sah wie ein ganz gewöhnlicher Mann in mittleren Jahren aus, mit leicht ergrautem Haar, einem ausgeprägten Kinn und Sorgenfalten um die Augen herum. Verglichen mit Dermods adretter grüner Uniform, an der eine recht beeindruckende Menge Rangabzeichen hing, geriet Heraltnor in seinem an DBDG-Patienten ausgegebenen unförmigen weißen Gewand leicht ins Hintertreffen. Während sich das Schweigen hinzog, fragte sich Conway, ob die beiden wohl voreinander salutieren oder lediglich nicken würden.
Doch die beiden machten etwas Besseres — sie gaben sich die Hand.
Natürlich herrschten anfangs noch eine Zeitlang Argwohn und Mißtrauen.
Der Oberbefehlshaber des Imperiums war zunächst davon überzeugt, daß man Heraltnor hypnotisiert hatte, doch als der sich aus Offizieren des Imperiums zusammensetzende Untersuchungstrupp nach dem Waffenstillstand im Orbit Hospital landete, schwand das Mißtrauen schnell. Das einzige, was bei Conway schwand, waren seine Sorgen, daß Stationen zum All hin durch Raketeneinschläge geöffnet werden könnten. Denn ansonsten gab es für ihn und sein Personal immer noch viel zuviel zu tun, und das, obwohl Ingenieure und medizinische Offiziere des Imperiums für den Wiederaufbau des Orbit Hospitals alles taten, was in ihren Kräften stand. Doch während dieser Arbeiten kehrten nach und nach die evakuierten Mitglieder des medizinischen und des Versorgungspersonals zurück, und selbst der Übersetzungscomputer konnte bald den Betrieb wiederaufnehmen. Fünf Wochen und sechs Tage nach Beginn des Waffenstillstands zog sich schließlich die Flotte des Imperiums aus der Umgebung des Orbit Hospitals zurück. Sie ließ ihre Verwundeten zurück, und das aus zwei Gründen — zum einen wurde ihnen im Hospital die bestmögliche Behandlung zuteil, zum anderen standen der Flotte möglicherweise noch weitere Kämpfe bevor.
Auf einer der täglichen Lagebesprechungen der Verantwortlichen des Hospitals — die Verantwortlichen bestanden immer noch lediglich aus O’Mara und Conway, da auch mit den letzten Transporten noch kein ihnen übergeordneter Mitarbeiter eingetroffen war — versuchte Dermod, eine höchst verwickelte Situation in äußerst einfachen Worten darzulegen.
„. jetzt, wo die Bürger des Imperiums unter anderem auch die Wahrheit über Etla kennen“, erklärte er ernst, „haben der Imperator und seine Regierung praktisch ausgespielt. Doch in einigen Sektoren ist die Situation trotzdem noch sehr verworren, und eine Machtdemonstration des Monitorkorps könnte hier zur Stabilisierung der Lage beitragen. Ich möchte aber, daß es sich dabei lediglich um eine Demonstration von Macht handelt. Aus diesem Grund hab ich auch den Kommandanten des Imperiums dazu überredet, einige von unseren Kontaktspezialisten und Soziologen mitzunehmen. Wir wollen den Imperator zwar absetzen, aber nicht um den Preis eines Bürgerkriegs.
Eigentlich wollte Heraltnor gerne auch Sie mitnehmen, Doktor, aber ich hab ihm gesagt, daß wir Sie hier dringend.“
O’Mara, der neben Dermod saß, stöhnte auf. „Nachdem unser junger Wunderdoktor also Hunderte von Leben gerettet und einen galaxisweiten Krieg verhindert hat“, stichelte der Chefpsychologe, „soll er nun also auch noch einen Tyrannen zur Strecke zu bringen und.“
„O’Mara, hören Sie auf, Conway zu piesacken!“ unterbrach ihn Dermod in scharfem Ton. „Das, was Sie da gesagt haben, ist nämlich buchstäblich wahr, wenigstens beinahe. Wenn Conway nicht.“
„Das war nur die Macht der Gewohnheit, Sir“, entgegnete O’Mara versöhnlich. „Als Seelenmasseur halte ich es für meine Pflicht und Schuldigkeit, dafür zu sorgen, daß Conway so was nicht zu Kopf steigt.“
In diesem Augenblick erschien auf dem Hauptbildschirm hinter Dermods Schreibtisch, an dem jetzt wieder ein in der Anmeldezentrale arbeitender Nidianer statt eines Monitors saß, das Bild eines pelzigen Kelgianerkopfs. Anscheinend traf gerade ein großer DBLF-Transporter ein, der außer den Kelgianern auch noch Hospitalmitarbeiter der Klassifikation FGLI und ELNT an Bord hatte, von denen achtzehn Chefärzte waren. Da der kelgianische Pilot an den zerstörten Zustand des Hospitals dachte und nicht vergaß, daß lediglich drei Schleusen funktionsbereit waren, wollte er noch vor der Landung mit dem leitenden Diagnostiker über die Unterbringung und die anstehenden Aufgaben sprechen.
„Thornnastor ist noch immer arbeitsunfähig, und es gibt keinen anderen.“, fing Conway an, als O’Mara plötzlich die Arme ausstreckte und seine Hände umfaßte.
„Denken Sie daran, sieben Bänder“, sagte er mürrisch. „Jetzt lassen Sie uns bloß nicht streiten, Doktor.“
Conway musterte O’Mara mit einem langen, festen Blick. Es war ein Blick, der tiefer als nur bis zu den groben und mißmutigen Gesichtszügen O’Maras drang und der den sarkastischen und herrischen Tonfall des Chefpsychologen mißachtete. Conway war kein Diagnostiker — was er vor zwei Monaten getan hatte, war ihm durch die Umstände aufgezwungen worden und hatte ihn fast umgebracht. Aber O’Mara hatte ihm eben zu verstehen gegeben, daß sein Aufstieg zum Diagnostiker nur noch eine Frage der Zeit war, und das nicht durch seine mißmutige Miene oder den Klang seiner Stimme, sondern durch das Umfassen der Hände und den Ausdruck in seinen Augen.