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„Wir sollten versuchen, noch einmal alles ganz von vorne zu überdenken“, unterbrach O’Mara Conways Gedankengang. „Sind Sie beim Studium der Vorgeschichte des Patienten auf irgend etwas gestoßen, das darauf hinweisen könnte, warum er sich praktisch selbst vernichten möchte?“

„Nein!“ antwortete Conway mit Nachdruck. „Ganz im Gegenteil! Er hängt verzweifelt am Leben und hat sich völlig wahllos mehrerer Verjüngungskuren unterzogen. Und das heißt, daß sämtliche Körperzellen regelmäßig durch neue ersetzt wurden, und da nun einmal sämtliches Wissen in den Gehirnzellen gespeichert wird, wurde es durch jede dieser Kuren jedesmal komplett gelöscht.“

„Ach, deshalb haben diese Logbuchaufzeichnungen fast nur technische Angaben enthalten — sie sollten ihm nach einer solchen Kur zur eigenen Orientierung dienen“, warf O’Mara ein. „Dennoch ziehe ich unsere Verjüngungsmethoden vor, wobei nur unheilbar erkrankte Organe regeneriert werden und das Gehirn unberührt bleibt, auch wenn wir nicht so lange leben werden.“

„Ich weiß, ich weiß“, unterbrach ihn Conway ungeduldig, und er fragte sich, warum der sonst so wortkarge O’Mara plötzlich so gesprächig geworden war. Wollte er das Problem vereinfachen und ihn dazu bringen, ärztliche Fachausdrücke zu vermeiden? „Wie Sie selbst wissen, rufen solche wiederholt angewandten Verjüngungskuren bei der betreffenden Person eine verstärkte Angst vor dem Tod hervor. Unabhängig von der Einsamkeit, der Langeweile und seiner generell unnatürlichen Existenz nimmt diese Angst im Laufe der Zeit immer mehr zu. Deshalb ist unser Patient auch stets in Begleitung eines Leibarztes gereist. Er hat schreckliche Angst, zwischen solchen Kuren von Krankheiten oder Unfällen heimgesucht zu werden. Darum kann ich auch in einem gewissen Maß seine Gefühle nachempfinden, die er hatte, als der Arzt, der sich um seine Gesundheit zu kümmern hatte, zuließ, daß er krank wurde. Ihn deshalb allerdings gleich auf die Speisekarte zu setzen.“

„Aha, also stehen Sie bereits auf seiner Seite, nicht wahr?“ fragte O’Mara argwöhnisch.

„Nun, er könnte sicherlich auf Notwehr plädieren“, antwortete Conway. „Aber ich hab ja bereits gesagt, daß er furchtbare Angst vor dem Tod hatte, so daß er ständig auf der Suche nach einem besseren und tüchtigeren Arzt für sich war. Ach, du meine Güte!“

„Was heißt hier: Ach, du meine Güte?“, frage O’Mara nervös.

Dr. Prilicla, dieser hypersensible Empath, antwortete für Conway. „Der Doktor hat gerade eine Idee gehabt.“

„Und was für eine, Sie kleiner Pfiffikus? Sie brauchen gar nicht so geheimnisvoll zu tun, Conway.!“ O’Maras Stimme hatte jetzt den gütigen väterlichen Tonfall verloren, und der Blick des Chefpsychologen verriet, daß er heilfroh war, nicht mehr länger rücksichtsvoll sein zu müssen. „Also raus mit der Sprache, was ist nun mit dem Patienten?“

Obwohl er sich seiner Sache nicht völlig sicher war, empfand Conway doch aufgeregte Freude und ein wenig Erleichterung. Ohne ein Wort zu sagen, begab er sich an den Kommunikator auf der anderen Seite des Raums, um einige höchst ungewöhnliche Geräte anzufordern. Dann vergewisserte er sich, daß der Patient auch wirklich fest angeschnallt war und praktisch keinen Muskel bewegen konnte.

„Ich vermute, daß der Patient vollkommen gesund ist, und meiner Meinung nach sind wir durch unsere eigenen psychologischen Mutmaßungen auf eine falsche Fährte geraten. Er muß irgend etwas gegessen haben, das diese Probleme bei ihm hervorruft.“

„Oje, ich hab doch die ganze Zeit gewußt, daß Sie irgendwann etwas in dieser Richtung behaupten würden!“ bemerkte O’Mara mit säuerlicher Miene.

Die Geräte wurden gebracht — ein langer, spitz zulaufender Holzstab und eine mechanische Vorrichtung, die den Stab in jedem gewünschten Winkel und mit regulierbarer Geschwindigkeit nach unten treiben konnte. Mit Hilfe des Tralthaners baute Conway das Gerät zusammen und stellte es in die richtige Position. Er hatte sich eine Stelle ausgesucht, wo sich einige lebenswichtige Organe des Patienten befanden, die jedoch von einer fast fünfzehn Zentimeter dicken Schicht aus Muskel- und Fettgewebe geschützt wurden. Schließlich setzte er den Mechanismus in Bewegung. Dabei berührte der spitze Holzstab bereits ganz knapp die Haut und wurde mit einer Geschwindigkeit von etwa fünf Zentimetern pro Stunde vorangetrieben.

„Was, zum Teufel, soll das?“ polterte O’Mara los. „Halten sie den Patienten etwa für einen Vampir?“

„Natürlich nicht“, antwortete Conway unbeeindruckt. „Ich verwende einen Holzstab, damit sich der Patient besser wehren kann. Oder glauben Sie etwa, gegen einen Stab aus Stahl hätte er mehr Chancen?“ Er nickte dem Tralthaner zu, und sie beobachteten gemeinsam die Stelle, an der der Stab in den Körper des EPLH eindrang. Prilicla berichtete fortwährend über die emotionale Ausstrahlung des Patienten, während O’Mara die ganze Zeit im Raum hin und her lief und dabei leise Verwünschungen vor sich hin grummelte.

Als die Stabspitze bereits einige Millimeter in das Gewebe eingedrungen war, bemerkte Conway die ersten Verhärtungen und das Zusammenziehen der oberen Hautschicht. Das Ganze spielte sich in einem Radius von etwa zehn Zentimetern um die von dem Holzstab herbeigeführte Wunde ab. Der Scanner zeigte, daß sich unter der Haut eine schwammartige, faserige Gewebeschicht von zunächst gut einem Zentimeter Tiefe bildete, die aber zusehends dicker und für den Scanner immer undurchsichtiger wurde. Innerhalb weniger Minuten war daraus eine harte Knochenplatte geworden. Der Stab begann sich stark zu biegen und war kurz davor, abzubrechen.

„Ich würde sagen, sämtliche Abwehrkräfte konzentrieren sich jetzt auf diesen einen Punkt“, stellte Conway mit Genugtuung fest, wobei er den triumphalen Unterton in seiner Stimme kaum verbergen konnte. „Also sollten wir den Stab lieber wieder herausziehen und die Hornplatte entfernen.“

Sofort schnitten Conway und der Tralthaner die neugebildete Knochenplatte heraus, die gleich darauf in einen steril versiegelten Behälter gelegt wurde. Danach präparierte Conway rasch eine Spritze mit demselben Mittel, das er dem Patienten bereits tags zuvor verabreicht hatte, und injizierte sie dem EPLH. Schließlich half er dem Tralthaner beim Schließen der Wunde; eine reine Routinearbeit, die kaum eine Viertelstunde beanspruchte. Als sie auch damit fertig waren, konnte kein Zweifel mehr bestehen, daß der Patient auf die Behandlung jetzt positiv ansprach.

Über die Gratulationen des Tralthaners und die bösen Beschimpfungen O’Maras hinweg — der Chefpsychologe wollte umgehend einige Fragen beantwortet haben —, sagte Prilicla: „Sie haben zwar eine Heilung bewirkt, Doktor, aber die Angst des Patienten hat sich inzwischen bedrohlich verstärkt, sie grenzt geradezu an Panik.“ Conway schüttelte grinsend den Kopf. „Der Patient steht noch immer unter starker Narkose und spürt überhaupt nichts. Ich gebe Ihnen allerdings insofern recht, daß sich sein Leibarzt.“ — er nickte zu dem sterilen Behälter hinüber — „. in diesem Augenblick ziemlich mies fühlen muß.“

In dem Behälter war die entnommene Knochenplatte allmählich wieder aufgeweicht und sonderte eine blaßrote Flüssigkeit ab, die auf den Boden des Gefäßes tröpfelte und dabei merkwürdige Muster bildete, als hätte sie einen eigenen Verstand. Was auch tatsächlich der Fall war.

Conway befand sich in O’Maras Büro und beendete seinen Bericht über den EPLH. Der Major verhielt sich währenddessen ausgesprochen wohlwollend, wobei er allerdings manchmal eine Wortwahl anwandte, die eine Unterscheidung zwischen Lob und Tadel kaum zuließ. Aber das war nun einmal O’Maras Art, wie Conway allmählich wußte — der Chefpsychologe benahm sich eigentlich nur dann taktvoll und empfand Verständnis für einen Fall, wenn er selbst beruflich darin verwickelt war. Er stellte noch immer Fragen, und auf die letzte antwortete Conway: „.eine intelligente amöboide Lebensform, eine organisierte Anhäufung submikroskopischer, virusähnlicher Zellen, dürfte der wirkungsvollste Arzt sein, den man sich überhaupt vorstellen kann. Er lebt im Körper des Patienten und kann, sobald er die notwendigen Informationen dazu hat, jede Krankheit oder organische Fehlfunktion von innen her untersuchen und behandeln. Für ein Wesen, das eine krankhafte Angst vor dem Tod hat, scheint das die ideale Lösung zu sein. Und so war es auch, denn die eigentlichen Probleme verursachte nicht der Leibarzt des Patienten, sondern sie entwickelten sich dadurch, daß der EPLH seinem eigenen physiologischen Werdegang keine Beachtung geschenkt hatte.