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»Ja, wahrscheinlich.«

»Das war nicht sehr klug von Ihnen. Ohne Bescheinigung Ihrer Flugtauglichkeit dürfen Sie nicht fliegen. Im ganzen Land gibt es Flugärzte, Sie hätten sich früher darum kümmern müssen. Was wäre gewesen, wenn ich heute keine Zeit für Sie gehabt hätte? Heute Morgen habe ich dem Sohn eines Freundes einen Nottermin gegeben und wollte mir eigentlich den restlichen Tag freinehmen. Aber für Sie habe ich eine Ausnahme gemacht. Was wäre, wenn ich nein gesagt hätte? Ihre Bescheinigung läuft morgen aus, vorausgesetzt, Sie haben das richtige Datum eingetragen.«

»Ja, Sir. Das war sehr dumm von mir. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie dankbar …«

»Ich bin sehr unter Zeitdruck. Also bringen wir die Sache so schnell wie möglich hinter uns.« Er nimmt die Blutdruckmanschette vom Tisch, legt sie ihr um den Oberarm und beginnt zu pumpen. »Sie sind ziemlich muskulös. Treiben Sie viel Sport?«

»Ich gebe mir Mühe«, erwidert sie mit zitternder Stimme, während seine Hand ihre Brust streift. Benton kann den Übergriff förmlich spüren, obwohl er ihn nur auf seinem Laptop im mehr als fünfzehnhundert Kilometer entfernten Aspen sieht. Niemand würde Benton eine Reaktion anmerken, ein Funkeln in seinen Augen oder eine Anspannung der Lippen wahrnehmen. Doch er empfindet die Erniedrigung ebenso stark wie Lucy.

»Er fasst dich an«, sendet Benton, damit es auch auf Band festgehalten wird. »Er hat gerade angefangen, dich zu betatschen.«

»Ja.« Lucy scheint Dr. Paulsson zu antworten, aber in Wirklichkeit meint sie Benton. Wieder bewegt sie die Hand bestätigend vor der Linse. »Ja, ich treibe viel Sport«, sagt sie.

46

Hundertdreißig zu achtzig«, verkündet Dr. Paulsson und berührt wieder ihre Brust, während er den Klettverschluss der Manschette aufreißt. »Ist Ihr Blutdruck immer so hoch?«

»Nein, ganz und gar nicht«, antwortet Lucy in gespieltem Erstaunen. »Ist er das wirklich? Ich meine, Sie müssen es ja wissen. Aber normalerweise habe ich immer hundertzehn zu siebzig. Meistens ist mein Blutdruck eher zu niedrig.«

»Sind Sie nervös?«

»Ich bin noch nie gern zum Arzt gegangen«, antwortet sie, und da sie auf dem Untersuchungstisch sitzt und er vor ihr aufragt, muss sie sich ein wenig zurücklehnen. Sie möchte, dass Benton Dr. Paulssons Gesicht sieht, während er mit ihr spricht und versucht, sie einzuschüchtern und unter Druck zu setzen. »Kann sein, dass ich ein bisschen nervös bin.«

Er legt die Hände auf ihren Hals dicht unterhalb des Kiefers. Ihre Haut ist warm und trocken, als er die weichen Stellen unter ihren Ohren betastet. Da ihr Haar die Ohren bedeckt, kann er den Empfänger unmöglich bemerken. Er fordert sie auf zu schlucken, befühlt ihre Lymphknoten und lässt sich Zeit dabei. Während dieser Prozedur sitzt Lucy aufrecht da und versucht, sich einzureden, dass sie nervös ist. Sie weiß, dass er den kräftigen Puls in ihrem Hals spürt.

»Schlucken«, sagt er wieder, tastet nach ihrer Schilddrüse und überprüft, ob die Luftröhre auch in der Mitte sitzt. Ihr schießt durch den Kopf, dass sie bestens über ärztliche Untersuchungen im Bilde ist. Immer wenn sie als Kind zum Arzt musste, hat sie ihre Tante Kay mit Fragen gelöchert und war erst zufrieden, wenn sie die Gründe für jede Berührung und Bemerkung des Arztes kannte.

Erneut betastet er ihre Lymphknoten und rutscht näher an sie heran. Sie spürt seinen Atem leicht auf ihrem Kopf.

»Ich sehe nur den Arztkittel«, hört sie Bentons Stimme deutlich im linken Ohr.

Dagegen kann ich nichts tun, denkt sie.

»Haben Sie sich in letzter Zeit öfter müde oder unwohl gefühlt?«, fragt Dr. Paulsson auf seine kühle und einschüchternde Art.

»Nein. Na ja, ich meine, ich habe viel gearbeitet und bin eine Menge gereist. Kann sein, dass ich ein bisschen müde bin«, stammelt sie und tut so, als wäre sie so verängstigt, wie sie klingt, während er sich an ihre Knie drückt. Sie spürt seine Erektion erst am einen, dann am anderen Knie, doch leider kann die Kamera ihre Gefühle nicht aufzeichnen.

»Ich muss auf die Toilette«, sagt sie. »Tut mir Leid, ich beeile mich auch.«

Als er zurückweicht, kommt plötzlich wieder das Zimmer in Sicht. Es ist, als wäre von einem Erdloch der Deckel abgenommen worden, sodass sie endlich hinausklettern kann. Lucy rutscht vom Untersuchungstisch und eilt zur Tür, während er zum Computer geht und nach ihrem Formular, dem korrekt ausgefüllten, greift. »Am Waschbeckenrand steht ein Becher in einer Plastiktüte«, meint er, als sie den Raum verlassen will.

»Ja, Sir.«

»Lassen Sie ihn einfach auf der Toilette stehen, wenn Sie fertig sind.«

Allerdings benutzt Lucy die Toilette nicht, betätigt nur die Spülung und bittet Benton um Verständnis. Dann nimmt sie ohne weitere Erklärung den Empfänger aus dem Ohr und steckt ihn in die Tasche. Einen Becher mit Urin hinterlässt sie nicht, weil sie nicht die Absicht hat, Dr. Paulsson biologische Spuren zu liefern. Obwohl ihre DNS vermutlich in keiner Datenbank gespeichert ist, muss das noch lange nichts heißen. In den vergangenen Jahren hat Lucy die notwendigen Maßnahmen ergriffen, um sicherzugehen, dass weder ihre genetischen noch ihre tatsächlichen Fingerabdrücke in irgendeiner amerikanischen oder ausländischen Datenbank vermerkt sind. Doch da sie immer vom Schlimmsten ausgeht, rückt sie diesem Arzt lieber nicht ihren Urin heraus. Er wird nämlich bald große Lust bekommen, Miss P. W. Winston ein wenig auf den Zahn zu fühlen. Seit sie sein Haus betreten hat, hat sie sämtliche von ihr berührten Flächen abgewischt, damit niemand am Ende doch noch ihre Fingerabdrücke als die von Lucy Farinelli, früher Agentin beim FBI und bei der Behörde für Alkohol, Tabak und Feuerwaffen, identifizieren kann.

Als sie ins Behandlungszimmer zurückkehrt, redet sie sich ein, dass Gefahr droht. Ihr Puls reagiert entsprechend.

»Ihre Lymphknoten scheinen leicht vergrößert zu sein«, verkündet Dr. Paulsson, und sie weiß, dass er lügt. »Wann waren Sie das letzte Mal … Aber Sie sagten ja selbst, dass Sie nicht gern zum Arzt gehen, und Sie haben sich vermutlich schon seit einer Weile nicht mehr gründlich untersuchen lassen. Darf ich annehmen, dass Ihr letzter Bluttest auch schon eine Zeit her ist?«

»Sie sind vergrößert?«, erwidert Lucy in dem panischen Tonfall, den er offenbar von ihr erwartet.

»Haben Sie sich in letzter Zeit wohl gefühlt? Keine Erschöpfungszustände? Kein Fieber? Überhaupt nichts dergleichen?« Wieder nähert er sich, um ihr das Otoskop ins linke Ohr zu stecken. Sein Gesicht ist ganz dicht an ihrer Wange.

»Ich war nicht krank«, entgegnet sie, während er ihr auch ins andere Ohr sieht.

Dann legt er das Otoskop weg und greift zum Ophthalmoskop. Als er ihr damit in die Augen späht, ist sein Gesicht nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt. Anschließend ist das Stethoskop dran. Lucy versucht sich einzureden, dass sie Angst hat, obwohl sie eigentlich eher wütend ist. Genau genommen fürchtet sie sich überhaupt nicht, als sie auf der Kante des Untersuchungstisches sitzt. Das Papier knistert leise, wenn sie sich bewegt.

»Wenn Sie jetzt bitte Ihren Overall aufmachen und bis zur Taille hinunterziehen könnten«, fordert er sie in unverändert sachlichem Ton auf.

Lucy blickt ihn an. »Ich glaube, ich muss noch mal aufs Klo … Tut mir Leid.«

»Beeilen Sie sich«, antwortet er ungeduldig. »Ich habe nicht ewig Zeit.«

Lucy geht zur Toilette. Eine knappe Minute später kommt sie, gefolgt vom Spülgeräusch und mit dem Empfänger im Ohr, wieder heraus.

»Verzeihung«, entschuldigt sie sich noch einmal. »Ich habe vor dem Termin eine große Cola light getrunken. War wohl ein Fehler.«

»Ziehen Sie den Overall hinunter«, weist er sie an.

Sie zögert. Jetzt ist der Moment da, aber sie weiß, was sie tun muss. Als sie ihren Overall öffnet und ihn bis zur Taille herunterrollt, zupft sie den Stoff so zurecht, dass sich der Stift im richtigen Winkel befindet und weiter durch einen Draht mit der Funk-Schnittstelle verbunden ist, die unsichtbar an der Innenseite des Kleidungsstücks klebt.