Sie sind in Trauer?
Postmeisterin.
Für meinen Mann, den ich vor drei Monaten verlor. Wir haben nicht gar drei Jahre zusammen gelebt.
Madame Sommer.
Sie scheinen doch ziemlich getröstet.
Postmeisterin.
O Madame! Unsereins hat so wenig Zeit zu weinen als leider zu beten. Das geht Sonntage und Werkeltage. Wenn der Pfarrer nicht manchmal auf den Text kommt, oder man ein Sterbelied singen hört. Karl, ein paar Servietten! deck hier am Ende auf.
Lucie.
Wem ist das Haus da drüben?
Postmeisterin.
Unserer Frau Baronesse. Eine allerliebste Frau.
Madame Sommer.
Mich freut's, daß ich von einer Nachbarin bestätigen höre, was man uns in einer weiten Ferne beteuert hat. Meine Tochter wird künftig bei ihr bleiben und ihr Gesellschaft leisten.
Postmeisterin.
Dazu wünsche ich Ihnen Glück, Mamsell.
Lucie.
Ich wünsche, daß sie mir gefallen möge.
Postmeisterin.
Sie müßten einen sonderbaren Geschmack haben, wenn Ihnen der Umgang mit der gnädgen Frau nicht gefiele.
Lucie.
Desto besser! Denn wenn ich mich einmal nach jemanden richten soll, so muß Herz und Wille dabei sein; sonst geht's nicht.
Postmeisterin.
Nun! nun! wir reden bald wieder davon, und Sie sollen sagen, ob ich wahr gesprochen habe. Wer um unsre gnädige Frau lebt, ist glücklich; wird meine Tochter ein wenig größer, so soll sie ihr wenigstens einige Jahre dienen: es kommt dem Mädchen auf sein ganzes Leben zugute.
Annchen.
Wenn Sie sie nur sehn! Sie ist so lieb! so lieb! Sie glauben nicht, wie sie auf Sie wartet. Sie hat mich auch recht lieb. Wollen Sie denn nicht zu ihr gehn? Ich will Sie begleiten.
Lucie.
Ich muß mich erst zurecht machen, und will auch noch essen.
Annchen.
So darf ich doch hinüber, Mamachen? Ich will der gnädigen Frau sagen, daß die Mamsell gekommen ist.
Postmeisterin.
Geh nur!
Madame Sommer.
Und sag ihr, Kleine, wir wollten gleich nach Tisch aufwarten.
Annchen ab.
Postmeisterin.
Mein Mädchen hängt außerordentlich an ihr. Auch ist sie die beste Seele von der Welt, und ihre ganze Freude ist mit Kindern. Sie lehrt sie allerlei Arbeiten machen und singen. Sie läßt sich von Bauersmädchen aufwarten, bis sie ein Geschick haben, hernach sucht sie eine gute Kondition für sie; und so vertreibt sie sich die Zeit, seit ihr Gemahl weg ist. Es ist unbegreiflich, wie sie so unglücklich sein kann, und dabei so freundlich, so gut.
Madame Sommer.
Ist sie nicht Witwe?
Postmeisterin.
Das weiß Gott! Ihr Herr ist vor drei Jahren weg, und hört und sieht man nichts von ihm. Und sie hat ihn geliebt über alles. Mein Mann konnte nie fertig werden, wenn er anfing, von ihnen zu erzählen. Und noch! Ich sag's selbst, es gibt so kein Herz auf der Welt mehr. Alle Jahre den Tag, da sie ihn zum letzten Mal sah, läßt sie keine Seele zu sich, schließt sich ein, und auch sonst, wenn sie von ihm red't, geht's einem durch die Seele.
Madame Sommer.
Die Unglückliche!
Postmeisterin.
Es läßt sich von der Sache viel reden.
Madame Sommer.
Wie meinen Sie?
Postmeisterin.
Man sagt's nicht gern.
Madame Sommer.
Ich bitte Sie!
Postmeisterin.
Wenn Sie mich nicht verraten wollen, kann ich's Ihnen wohl vertrauen. Es sind nun über die acht Jahre, daß sie hierher kamen. Sie kauften das Rittergut; niemand kannte sie; man hieß sie den gnädigen Herrn und die gnädige Frau, und hielt ihn für einen Offizier, der in fremden Kriegsdiensten reich geworden war und sich nun zur Ruhe setzen wollte. Sie war damals blutjung, nicht älter als sechzehn Jahr, und schön wie ein Engel.
Lucie.
Da wär sie jetzt nicht über vierundzwanzig?
Postmeisterin.
Sie hat für ihr Alter Betrübnis genug erfahren. Sie hatte ein Kind; es starb ihr bald; im Garten ist sein Grab, nur von Rasen, und seit der Herr weg ist, hat sie eine Einsiedelei dabei angelegt und ihr Grab dazu bestellen lassen. Mein Mann seliger war bei Jahren und nicht leicht zu rühren; aber er erzählte nichts lieber als von der Glückseligkeit der beiden Leute, solang sie hier zusammen lebten. Man war ein ganz anderer Mensch, sagte er, nur zuzusehn, wie sie sich liebten.
Madame Sommer.
Mein Herz bewegt sich nach ihr.
Postmeisterin.
Aber wie's geht. Man sagte, der Herr hätte kuriose Principia gehabt; wenigstens kam er nicht in die Kirche; und die Leute, die keine Religion haben, haben keinen Gott und halten sich an keine Ordnung. Auf einmal hieß es: Der gnädige Herr ist fort. Er war verreist und kam eben nicht wieder.
Madame Sommer vor sich.
Ein Bild meines ganzen Schicksals!
Postmeisterin.
Da waren alle Mäuler davon voll. Eben zur Zeit, da ich als eine junge Frau hierher zog, auf Michael sind's eben drei Jahre. Und da wußt jedes was anders, sogar zischelte man einander in die Ohren, sie seien niemals getraut gewesen; aber verraten Sie mich nicht. Er soll wohl ein vornehmer Herr sein, soll sie entführt haben, und was man alles sagt. Ja, wenn ein junges Mädchen so einen Schritt tut, sie hat ihr Leben lang dran abzubüßen.
Annchen kommt.
Annchen.
Die gnädige Frau läßt Sie sehr bitten, doch gleich hinüberzukommen; sie will Sie nur einen Augenblick sprechen, nur sehen.
Lucie.
Es schickt sich nicht in diesen Kleidern.
Postmeisterin.
Gehn Sie nur, ich geb Ihnen mein Wort, daß Sie darauf nicht achtet.
Lucie.
Will Sie mich begleiten, Kleine?
Annchen.
Von Herzen gern!
Madame Sommer.
Lucie, ein Wort!
Die Postmeisterin entfernt sich.
Daß du nichts verrätst! nicht unsern Stand, nicht unser Schicksal. Begegne ihr ehrerbietig.
Lucie.
Lassen Sie mich nur! Mein Vater war ein Kaufmann, ist nach Amerika, ist tot; und dadurch sind unsere Umstände — Lassen Sie mich nur; ich hab das Märchen ja schon oft genug erzählt.
Laut.
Wollten Sie nicht ein bißchen ruhen? Sie haben's not. Die Frau Wirtin weist Ihnen wohl ein Zimmerchen mit einem Bett an.
Postmeisterin.
Ich hab eben ein hübsches, stilles Zimmerchen im Garten.
Zu Lucien.
Ich wünsche, daß Ihnen die gnädige Frau gefallen möge.
Lucie mit Annchen ab.