Sie haben sich entschlossen, der Frau Baronesse künftig Gesellschaft zu leisten?
Lucie.
Ich muß wohl!
Fernando.
Mich dünkt, Ihnen sollt' es nicht fehlen, einen Gesellschafter zu finden, der noch unterhaltender wäre als die Frau Baronesse.
Lucie.
Mir ist nicht drum zu tun.
Fernando.
Auf Ihr ehrlich Gesicht?
Lucie.
Mein Herr, Sie sind wie alle Männer, merk ich!
Fernando.
Das heißt?
Lucie.
Auf den Punkt sehr arrogant. Ihr Herren dünkt euch unentbehrlich; und ich weiß nicht, ich bin doch groß geworden ohne Männer.
Fernando.
Sie haben keinen Vater mehr?
Lucie.
Ich erinnere mich kaum, daß ich einen hatte. Ich war jung, da er uns verließ, eine Reise nach Amerika zu tun, und sein Schiff ist untergegangen, hören wir.
Fernando.
Und Sie scheinen so gleichgültig dabei?
Lucie.
Wie könnt ich anders? Er hat mir wenig zuliebe getan; und ob ich's ihm gleich verzeihe, daß er uns verlassen hat — denn was geht dem Menschen über seine Freiheit? — , so möcht ich doch nicht meine Mutter sein, die vor Kummer stirbt.
Fernando.
Und Sie sind so ohne Hülfe, ohne Schutz?
Lucie.
Was braucht's das? Unser Vermögen ist alle Tage kleiner worden; dafür auch ich alle Tage größer; und mir ist's nicht bange, meine Mutter zu ernähren.
Fernando.
Mich erstaunt Ihr Mut!
Lucie.
O, mein Herr, der gibt sich. Wenn man so oft unterzugehen fürchtet und sich immer wieder gerettet sieht, das gibt ein Zutrauen!
Fernando.
Davon Sie Ihrer lieben Mutter nichts mitteilen können?
Lucie.
Leider ist sie, die verliert, nicht ich. Ich dank's meinem Vater, daß er mich auf die Welt gesetzt hat, denn ich lebe gern und vergnügt; aber sie — die alle Hoffnung des Lebens auf ihn gesetzt, ihm den Flor ihrer Jugend aufgeopfert hatte, und nun verlassen, auf einmal verlassen — Das muß was Entsetzliches sein, sich verlassen zu fühlen! — Ich habe noch nichts verloren; ich kann nichts davon reden. — Sie scheinen nachdenkend!
Fernando.
Ja, meine Liebe, wer lebt, verliert;
aufstehend
aber er gewinnt auch. Und so erhalt Ihnen Gott Ihren Mut!
Er nimmt ihre Hand.
Sie haben mich erstaunen machen. O, mein Kind, wie glücklich! — Ich bin auch in der Welt gar viel, gar oft von meinen Hoffnungen — Freuden — Es ist doch immer — Und —
Lucie.
Wie meinen Sie?
Fernando.
Alles Gute! die besten, wärmsten Wünsche für Ihr Glück!
Ab.
Lucie.
Das ist ein wunderbarer Mensch! Er scheint aber gut zu sein.
Zweiter Akt
Stella. Ein Bedienter.
Stella.
Geh hinüber, geschwind hinüber! Sag ihr, ich erwarte sie.
Bedienter.
Sie versprach, gleich zu kommen.
Stella.
Du siehst ja, sie kommt nicht. Ich hab das Mädchen recht lieb. Geh! — Und ihre Mutter soll ja mitkommen!
Bedienter ab.
Stella.
Ich kann sie kaum erwarten. Was das für ein Wünschen, ein Hoffen ist, bis so ein neues Kleid ankommt! Stella! du bist ein Kind. Und warum soll ich nicht lieben? — Ich brauche viel, viel, um dies Herz auszufüllen! — Viel? Arme Stella? Viel? — Sonst, da er dich noch liebte, noch in deinem Schoße lag, füllte sein Blick deine ganze Seele; und — o Gott im Himmel! dein Ratschluß ist unerforschlich. Wenn ich von seinen Küssen meine Augen zu dir hinauf wendete, mein Herz an dem seinen glühte, und ich mit bebenden Lippen seine große Seele in mich trank, und ich dann mit Wonnetränen zu dir hinaufsah, und aus vollem Herzen zu dir sprach: Laß uns glücklich, Vater! du hast uns so glücklich gemacht! — Es war dein Wille nicht —
Sie fällt einen Augenblick in Nachdenken, fahrt dann schnell auf und drückt ihre Hände ans Herz.
Nein, Fernando, nein, das war kein Vorwurf!
Madame Sommer, Lucie kommen.
Stella.
Ich habe sie! Liebes Mädchen, du bist nun die Meine. — Madame, ich danke Ihnen für das Zutrauen, mit dem Sie mir den Schatz in die Hände liefern. Das kleine Trotzköpfchen, die gute freie Seele. O, ich hab dir's schon abgelernt, Lucie.
Madame Sommer.
Sie fühlen, was ich Ihnen bringe und lasse.
Stella nach einer Pause, in der sie Madame Sommer angesehen hat.
Verzeihen Sie! Man hat mir Ihre Geschichte berichtet, ich weiß, daß ich Personen von guter Familie vor mir habe; aber Ihre Gegenwart überrascht mich. Ich fühle im ersten Anblick Vertrauen und Ehrfurcht gegen Sie.
Madame Sommer.
Gnädige Frau —
Stella.
Nichts davon. Was mein Herz gesteht, bekennt mein Mund gern. Ich höre, Sie sind nicht wohl; wie ist's Ihnen? Setzen Sie sich!
Madame Sommer.
Doch, gnädige Frau! Diese Reise in den Frühlingstagen, die abwechselnden Gegenstände und diese reine, segensvolle Luft, die sich schon so oft für mich mit neuer Erquickung gefüllt hat, das wirkte alles auf mich so gut, so freundlich, daß selbst die Erinnerung abgeschiedener Freuden mir ein angenehmes Gefühl wurde, ich einen Widerschein der goldenen Zeiten der Jugend und Liebe in meiner Seele aufdämmern sah.
Stella.
Ja die Tage! die ersten Tage der Liebe! — Nein, du bist nicht zum Himmel zurückgekehrt, goldne Zeit! du umgibst noch jedes Herz in den Momenten, da sich die Blüte der Liebe erschließt.
Madame Sommer, ihre Hände fassend.
Wie groß! Wie lieb!
Stella.
Ihr Angesicht glänzt wie das Angesicht eines Engels, Ihre Wangen färben sich!
Madame Sommer.
Ach und mein Herz! Wie geht es auf! wie schwillt's vor Ihnen!
Stella.
Sie haben geliebt! O Gott sei Dank! Ein Geschöpf, das mich versteht! das Mitleiden mit mir haben kann! das nicht kalt zu meinen Schmerzen dreinblickt! — Wir können ja doch einmal nichts dafür, daß wir so sind! — Was hab ich nicht alles getan! Was nicht alles versucht! — Ja, was half's? — Es wollte das — just das — und keine Welt, und sonst nichts in der Welt — Ach! der Geliebte ist überall, und alles ist für den Geliebten.
Madame Sommer.
Sie tragen den Himmel im Herzen.
Stella.
Eh ich mich's verseh, wieder sein Bild! — So richtete er sich auf, in der und jener Gesellschaft, und sah sich nach mir um — So kam er dort übers Feld her gesprengt, und warf sich an der Gartentür in meinen Arm. — Dahinaus sah ich ihn fahren, dahinaus — ach, und er war wiedergekommen — war seiner Wartenden wiedergekommen — Kehr ich mit meinen Gedanken in das Geräusch der Welt — er ist da! Wenn ich so in der Loge saß und gewiß war, wo er auch steckte, ich mochte ihn sehen oder nicht, daß er jede meiner Bewegungen bemerkte und liebte, mein Aufstehen, mein Niedersitzen! Ich fühlte, daß das Schütteln meines Federbusches ihn mehr anzog als all die blinkenden Augen ringsum, daß alle Musik nur Melodie zu dem ewigen Liede seines Herzens war: —Stella! Stella! Wie lieb du mir bist!"