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Erster Teil

Besucher aus dem tiefen Dunkel

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Millionen Jahre lang war die Sonne nichts weiter gewesen als die hellste Lichtquelle am Himmel, ein kalter Stern, der sich wenig von den abertausend anderen unterschieden hatte, die am schwarzen Firmament sichtbar waren; jetzt wurde sie Monat für Monat, Jahr für Jahr zusehends größer. Die Veränderung ging nicht ohne Präzedenzfall vonstatten. Vor einer Milliarde Jahre war der Planetoid mit einem die Erde weit jenseits des Pluto umkreisenden Trümmerstück kollidiert. Die Wucht des Zusammenpralls hatte seine Umlaufbahn für immer verändert. Einhundertundelfmal war der Planetoid tief in das feurige Innere des Sonnensystems eingetaucht, war um die Sonne herumgewirbelt und hatte sich dann ein weiteres Mal in die kalte Schwärze zurückgezogen. Jedes Mal war das Ereignis von einem Hellerwerden des fernen gelben Sterns angekündigt worden.

Etwa zu dem Zeitpunkt, als die Sonne als Scheibe erkennbar wurde, regten sich über den vereisten Ebenen und Felsklüften ätherische Winde, denn Wasserstoff und Sauerstoff verwandelten sich allmählich in Dampf. Die Winde waren zunächst so unstofflich wie Gespenster, kaum mehr als einzelne Moleküle, die der schwachen Gravitation des Planetoiden entschlüpften. Später dann, als die Sonne am Himmel noch größer geworden war, begann die verschneite Oberfläche schwache Gasströme auszustoßen, Staub und Dampf. So schwach sie auch war, reichte die Schwerkraft des Planetoiden doch aus, ihn mit einer Schicht von hauchdünnem Nebel zu umhüllen. Als das fliegende Gebirge die Umlaufbahn des Uranus kreuzte, war der Nebel so dicht geworden, dass er den Planetoiden vor jedem verbarg, der ihn unter den Hintergrundsternen anpeilen mochte.

Amber Hastings saß an ihrem Schreibtisch und beobachtete versonnen, wie das große Hundert-Meter-Komposit-Teleskop des Farside-Observatoriums schwerfällig in Position schwang. Ihr Blickwinkel lag von dem riesigen Apparat aus beinahe exakt in Sonnenrichtung. Beim Zusehen streckten sich länger werdende Schatten über den Boden des Mendelejew-Kraters aus. Das Bild stammte von einer der Hochkameras, die so angebracht waren, dass sie ein Panoramabild des größten astronomischen Instruments im Sonnensystem lieferten. Im Hintergrund erhob sich der graubraune Rand der westlichen Kraterwand, von keiner Atmosphäre getrübt, als scharfes Relief über den gewölbten Horizont.

Das Teleskop schien eine Art riesige metallische Blume zu sein, die Lunas luftlosem, sterilem Boden entspross. Die sechseckigen Blätter der Pflanze reflektierten die Umgebung mit der Verzerrung parabolischer Spiegel. An drei Stellen an der Peripherie des Instruments hoben sich auf ausfahrbaren Galgen flache Spiegel himmelwärts, die an sonderbar verrenkte Staubgefäße erinnerten. Die Ähnlichkeit mit einer fremdartigen Pflanze wurde noch durch die Schutzhülle des Teleskops verstärkt, deren acht Elemente wie die Blütenblätter einer Rose zurückgefaltet waren.

Amber sah zu, wie der riesige Apparat bei einer Ausrichtung ungefähr auf den galaktischen Süden zur Ruhe kam. Von den Fünf-Meter-Spiegeln des Teleskops wurde Sternenlicht zu dem Fokusverdichter Nummer drei reflektiert, der das hochgradig gebündelte Bild in den Strahlenleiter schickte. Von dort wurden die Photonen in den Messraum des Observatoriums geleitet, fünfzig Meter unter der Oberfläche des Kraters. Dort wurde das Licht von einer Reihe komplizierter Geräte untersucht, in der Hoffnung, dass es dazu gebracht werden konnte, seine Geheimnisse preiszugeben.

Amber Elizabeth Hastings war eine typische Lunarierin, hochgewachsen nach irdischen Maßstäben – ein Meter achtzig – und mit einer Neigung zur Schlaksigkeit. Die Shorts, das ärmellose Trikot und die Slipper, die die normale Kleidung in den klimatisierten Städten Lunas darstellten, verbargen ihre volle, wenn auch grobknochige Figur nur wenig. Sie war eine nordische Blondine mit blauen Augen. Im Gegensatz zu den kurzgeschnittenen Frisuren, die von den meisten Frauen auf Luna bevorzugt wurden, trug sie ihr Haar schulterlang.

Amber war vor fünfundzwanzig Jahren in der kleinen Siedlung Miner’s Luck geboren worden, nahe dem Darwin-Krater auf der Hochebene von Nearside, der erdzugewandten Seite des Mondes. Im Alter von achtzehn Jahren war sie mit der Absicht, Umwelttechniker zu werden, zur Universität von Luna gewechselt. Bald schon hatte sie erkannt, dass ein Leben in den Eingeweiden der Mondstädte keine große Attraktivität für sie besaß, und hatte sich nach einem neuen Beruf umgesehen.

Der Besuch einer Universität sollte eine Vorbereitung auf das spätere Leben sein. In Ambers Fall hatte sich ihre Abneigung gegenüber den meisten Studienfächern nur verstärkt. Die einzige Vorlesung, an der sie während ihres ersten Jahres Freude hatte, war eine Einführung in die Astronomie.

Wie die meisten Lunarier, so hatte auch Amber dem Himmel niemals viel Beachtung geschenkt. Lunas unterirdische Städte boten wenig Gelegenheit zur Beobachtung der Sterne. Und da Amber auf Nearside aufgewachsen war, hatte die Erde, wann immer sie die Gelegenheit zur Himmelsbeobachtung wahrgenommen hatte, den Ausblick dominiert. Verglichen mit der Wiege der Menschheit erschienen die winzigen Lichtpünktchen, die die Sterne waren, blass und unbedeutend.

Die Einführung in die Astronomie hatte ihr für das Universum jenseits von Luna die Augen geöffnet. Sie hatte den spiralförmigen Schwung der Andromedagalaxis bestaunt, hatte sich von der strahlenden blauweißen Pracht der Plejaden beeindrucken lassen und hatte über der stillen vielfarbigen Schönheit des Pferdekopfnebels geseufzt. Jede neue Entdeckung hatte ihren Wunsch verstärkt, mehr lernen zu wollen. Und so hatte Amber nach ihrem ersten Studienjahr Astronomie als Hauptfach gewählt, wobei der Wechsel einen Notbehelf darstellen sollte, bis sie etwas Dauerhaftes gefunden hätte.

Drei Jahre später – und ein wenig zu ihrer eigenen Überraschung – erhielt Amber den Bakkalaureus der Astronomischen Wissenschaften. Gleichzeitig wurde ihr eine Stelle am Farside-Observatorium angeboten. Den Kopf voller Phantasien über rasche, brillante Entdeckungen, hatte sie freudig zugesagt. Die Realität hatte sich als weniger abenteuerlich herausgestellt.

Wie so viele andere Bereiche auch, hatte die Computerrevolution die Astronomie für immer verändert. Vorbei waren die Tage, da sich ein einsamer Astronom warm anzog und die Nacht in der Beobachtungskuppel eines riesigen Teleskops verbrachte. Und ebenfalls vorbei war es mit den Wochen und Monaten des Vergrößerns der Fotoplatten und des mühsamen Zuordnens der Absorptionslinien des Sternenspektrums.

Ein moderner Astronom konnte an einem beliebigen Ort im Sonnensystem in seinem Sessel sitzen, ein Beobachtungsprogramm ausarbeiten und sein Vorhaben und seine Berechtigungsnummer an das Observatorium seiner Wahl übermitteln. Zu gegebener Zeit würde er Multispektralaufnahmen und numerische Daten erhalten, alles sauber mit Kommentaren versehen. In der Zeit, die zwischen Anfrage und Resultat lag, lief der Prozess praktisch ohne menschliche Einwirkung ab.

Im letzten Viertel des einundzwanzigsten Jahrhunderts war es der Computer des Observatoriums, der seine Teleskope ausrichtete und sie so steuerte, dass sie der Bewegung der Sterne über den Himmel folgten. Die Computer überwachten die Beobachtungszeiten, zeichneten die Daten auf und schrieben die Berichte. Manchmal stießen die Computer bei der Analyse der Daten auf Phänomene, die mit den zu beobachtenden Objekten nichts zu tun hatten. Wenn das geschah, meldeten sie sich beim menschlichen Personal.

Und so kam es, dass Amber Hastings das große Teleskop überwachte, als der Observatoriumscomputer um ihre Aufmerksamkeit bat.

»Was gibt es?«, fragte sie und unterdrückte ein Gähnen.

»Ich habe eine Meldung über die Entdeckung eines Asteroiden /Kometen«, sagte das Gerät mit seinem allzu vollkommenen Bariton. »Wollen Sie es jetzt gleich überprüfen?«