Gegen Ende des dritten Tages waren sie noch immer ein gutes Stück von Hadley’s entfernt, und die Luftsituation wurde allmählich kritisch. Sie kampierten auf einer Anhöhe, von der aus sie hinter einer ausgedehnten Senke, die einmal ein Krater gewesen, von darauffolgenden Meteoreinschlägen jedoch eingeebnet worden war, die Lichter der Oberflächeninstallationen sehen konnten. Dass sie Sichtverbindung mit ihrem Ziel hatten, erlaubte es Thorpe, mit dem Repräsentanten der Republik zu sprechen, den er zwei Wochen zuvor bei seinem kurzen Zwischenstopp kennengelernt hatte. Er richtete einen Funkstrahl auf die Siedlung, sobald sie das Vakuumzelt betreten hatten.
»Ich habe hier eine Gruppe von fünfzehn Leuten aus dem Farside-Observatorium«, berichtete er, als die Verbindung hergestellt war. »Wir sind total erschöpft. Wir brauchen Hilfe, um reinzukommen. Können Sie uns helfen?«
Mehrere Sekunden lang war in seinem Ohrhörer nur das Zischen der Sterne. Die Antwort lautete so, wie er es erwartet hatte. »Tut mir leid, nein. Wir haben keine Transportmittel hier. Sie müssen aus eigener Kraft hereinkommen.«
Thorpe erklärte, wie es um die Ausstattung der Raumanzüge seiner Leute stand und was geschehen würde, wenn die Sonne in wenigen Stunden aufginge. Der Regierungsvertreter wusste keinen Rat. Noch schlimmer, er teilte Thorpe mit, dass der nächste Zug in weniger als acht Stunden eintreffen sollte und dass er nicht wusste, ob noch ein weiterer käme.
»Verdammt«, murmelte Thorpe, als die Verbindung unterbrochen war. Er hatte einen der Kanäle benutzt, die die anderen nicht empfangen konnten.
»Was ist los?«, fragte Amber. Sie war halb aus ihrem Anzug heraus und bereitete sich darauf vor, sich für die Nacht hinzulegen.
Flüsternd sagte ihr jetzt Thorpe, was er erfahren hatte.
»Was sollen wir jetzt machen?«, fragte sie.
»Was können wir machen?«, fragte er. »Wir sind zu erschöpft, um weiterzugehen, aber wir werden es wohl müssen. Wir ruhen uns hier für eine Stunde aus, essen etwas, dann steigen wir in die Anzüge und machen uns auf nach Crossroads. Wir lassen alles zurück außer einem Zelt und dem größten Teil der Vorräte. Entweder wir schaffen es in den nächsten acht Stunden, oder wir können es ebenso gut vergessen. Wir nehmen die Karren und Travails mit. Falls jemand vor Erschöpfung oder mit einem Hitzeschlag zusammenbricht, laden wir ihn auf. Also komm, geben wir die schlechten Nachrichten bekannt.«
Er forderte alle, die in den anderen Zelten bereits ihre Anzüge abgelegt hatten, auf, ihre Helme wieder aufzusetzen. Dann erklärte er ihnen, was sie würden tun müssen, um den Zug rechtzeitig zu erreichen. Zu seiner Überraschung gab es keine Einwände. In seinem und Ambers Zelt begannen die Graysons wortlos damit, wieder in ihre Anzüge zu schlüpfen. Auch in den anderen Zelten sah er dunkle Schatten von Gestalten, die sich vor der künstlichen Beleuchtung abhoben, das Gleiche tun.
Eine Stunde später machten sie sich über den vor ihnen liegenden Hang auf den Weg hinunter zu der Senke. Als sie zwei Stunden später den ausgedehnten Boden der Mulde erreichten, wurden sie vom Sonnenaufgang überrascht. Thorpe fühlte die plötzliche Hitze und hörte, wie sich sein Kühlsystem innerhalb von Sekunden auf höchste Leistung stellte. Er konnte sich die Auswirkungen auf die anderen, deren Anzüge eine geringere Kühlkapazität hatten, lebhaft vorstellen.
Trotz eines Zustands, der wohl einer Agonie nahekam, schleppten sie sich noch zwei Stunden voran, ehe es zum ersten Ausfall kam. Dr. Dornier, der älteste der Astronomen, murmelte auf Deutsch etwas Unverständliches, bevor er nach vorne fiel und mit seiner Frontplatte im braungrauen Staub landete. Niemand sagte ein Wort. Zwei der jüngeren Angestellten eilten zu ihm hin und legten ihn auf eines der Travails. Er passte nicht ganz darauf; seine Stiefel hingen über das Ende hinaus und schleiften durch den Staub. Den Mann, der ihn zog, schien es nicht zu stören.
Sie gingen weiter, nachdem Cybil Barnard rasch durch Dorniers Visier gespäht und Hitzschlag diagnostiziert hatte. Bis zu dem Zeitpunkt, als sie bis auf zehn Kilometer an die Siedlung herangekommen waren, hatten sie drei weitere Zusammenbrüche zu verzeichnen. Drei weitere Personen meldeten, dass ihre Wasserreservoirs in den Helmen leer seien. Diese Behälter versorgten einen nicht nur mit Trinkwasser, sondern befeuchteten auch die Luft im Anzug. Die Meldungen wurden von kratzenden, heiseren Stimmen gemacht, die in der supertrockenen Luft, die sie einatmeten, bereits gelitten hatten. Die Lage wurde allmählich hoffnungslos.
Nach weiteren fünf Kilometern waren sie in Sichtweite der Türme der Einschienenbahn. Die Gruppe hatte den Punkt erreicht, wo jeder, der sich noch aufrecht hielt, einen 3usammengebrochenen hinter sich herzog. Ein junger Astronom zog zwei. Thorpe bemerkte, dass Amber ebenfalls unsicher auf den Beinen zu werden begann. Selbst ihr leistungsfähigerer Anzug vermochte die Auswirkungen von drei Tagen unaufhörlicher Anstrengung nicht zu mildern.
»Wir müssen anhalten«, sagte er zu ihr.
»Wir können nicht. Wir sind schon fast da.«
Er schüttelte den Kopf. »Bei diesem Tempo schaffen wir es nie. Wir stellen das Zelt auf und blasen es mit unseren letzten Luftreserven auf. Diese Leute müssen in den Schatten, oder sie verschmoren bei lebendigem Leib!«
»Also gut«, sagte Amber. »Wir bauen das Zelt auf und bringen die schlimmsten Fälle in den Schatten. Du gehst vor und siehst, ob du Hilfe holen kannst. Zumindest kannst du ein paar von Verns Leihanzügen mit zurückbringen. Sie sind alt und schmutzig, aber sie haben bessere Klimaaggregate als diese hier.«
Thorpe grinste im Innern seines Helms. »Da hätte ich selbst draufkommen müssen. Ich werde wohl allmählich müde.«
»Wir sind alle müde«, erwiderte Amber. »Wen willst du mitnehmen?«
»Niemanden. Wenn sie ohnmächtig werden, machen sie mich nur langsamer. Alleine schaffe ich’s schneller.«
»Nimm wenigstens einen Wagen und eine der Sauerstoffflaschen mit, für den Fall, dass es bei dir eng wird.«
»Ohne komme ich doppelt so schnell voran. Bis später.«
Er wünschte, er hätte ihr einen Kuss geben können, begnügte sich stattdessen aber mit einer zärtlichen Umarmung. Dann wandte er sich ab und machte sich auf den Weg zum Turm der Einschienenbahn. Er bewegte sich mit raumgreifenden Sprüngen vorwärts, sich der Gefahr des Stürzens bewusst, doch viel zu sehr in Angst, dass es zu spät sein könnte, wenn er sein Tempo verlangsamte.
Einmal, auf der Highschool, hatte er an einem Marathon teilgenommen. Er hatte dabei gemeint zu sterben. Die gegenwärtigen Strapazen riefen ihm dieses frühere Erlebnis ins Gedächtnis zurück. Während er über das lunare Ödland vorwärtssprang, begannen seine Muskeln von Ermüdungsgiften zu schmerzen, und er schnappte keuchend nach Luft. Der Herzschlag pochte donnernd in seinen Schläfen. Die Luft, die der Anzug auf seinen Nacken blies, erschien ihm nicht länger als kühl. Während er weitertrabte, begann die Temperatur in seinem Anzug anzusteigen. Er sehnte sich nach dem tiefen Frost der Eisebenen Donnerschlags zurück.
Noch einen Kilometer vom Ziel entfernt, entdeckte er im Augenwinkel einen schwachen Lichtschimmer. Als er in diese Richtung blickte, sah er die zwölf Kabinen der Einschienenbahn lautlos die gegenüberliegende Böschung der Senke hinunterfahren. Die Kette der Bierdosen verlangsamte und fuhr in die Station ein. Er wartete nicht länger, um mehr zu beobachten, sondern verdoppelte seine Anstrengungen und stürmte mit Riesensätzen über die felsige Landschaft. Sein Kopf wurde mit jeder Minute, die verstrich, leichter, und ihm wurde klar, dass seine Kräfte nicht mehr lange reichen würden.