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Die Frau des Astronomen sah auf und lächelte. »Das würde er mir nie verzeihen. Außerdem müssen wir ihn sowieso aufwecken, um ihn vor dem großen Ereignis wieder in den Anzug zu stecken.«

In regelmäßigen Abständen begaben sich entweder Amber oder Thorpe zu der Sichtluke und bewerteten den Fortschritt, den sie gemacht hatten. Der Container stieg jetzt sehr langsam, da sein Impuls durch den langen Aufstieg im Schwerefeld des Mondes fast aufgebraucht war. Aber sie schienen dennoch in Sicherheit zu sein. Der Mond war nicht mehr länger ein naher Himmelskörper, der sich nur ausschnittweise überblicken ließ. Er war zu einer Kugel geschrumpft, die sich mit einem Blick erfassen ließ. Der Nebel, der das Universum verhüllte, war dichter geworden. Amber machte sich über ihre Beobachtungen Notizen für einen Artikel, den sie zu schreiben beabsichtigte.

Zwischen den Beobachtungen schmiegten sich die beiden Liebenden auf dem vorderen Beschleunigungsnetz aneinander und flüsterten miteinander. Die meiste Zeit über sprachen sie darüber, was sie nach ihrer Rettung tun würden. Keiner erwähnte, dass ihre fortwährenden Funksprüche noch nicht beantwortet worden waren. Ihr später Aufbruch in Verbindung mit ihrer relativ langsamen Geschwindigkeit ließ es als beinahe sicher erscheinen, dass sie im Raum die nächsten Beobachter der bevorstehenden Kollision sein würden. Alle früheren Mutmaßungen über die Zerstörungen, die Donnerschlag anrichten würde, erschienen als kläglich unangemessen. Thorpe dachte daran, dass es immer noch Wissenschaftler gab, die behaupteten, die Gewalt des Zusammenstoßes würde den Mond vernichten und ihn in Millionen von Einzelstücken zerbrechen lassen. Falls sie Recht hatten, würde die Erde eine Ringwelt werden wie der Saturn. Wie groß die Zerstörung auch sein würde, es wäre nicht viel dazu nötig, die sieben Leben in ihrem winzigen Rettungsboot auszulöschen. Ein hochgeschleuderter Trümmerbrocken würde keine Spur von ihnen übriglassen.

Als der Zeitpunkt näherrückte, bereiteten sie sich darauf vor, die Ankunft des Kerns zu beobachten. Wie versprochen, weckte Margaret Grayson ihren Mann und half ihm in seinen Anzug. Niels versuchte, dabei mit keiner Wimper zu zucken, und die anderen taten so, als bemerkten sie nicht, dass es ihm nicht gelang. Als sie alle in Raumanzügen steckten und an die interne Luftversorgung angeschlossen waren, verstauten sie die beiden unteren Netze, um mehr Bewegungsfreiheit zu haben. Sie teilten sich in eine Dreier-und eine Vierergruppe auf und versammelten sich vor den beiden Luken, hinter denen Luna zu sehen war. Amber, Thorpe, Jamie Byrant und Allison Nalley drängten sich um die eine Luke, während ein angeschlagener Niels Grayson, seine Frau und Albert Segovia die andere übernahmen.

Thorpe blickte in einem Winkel von ungefähr dreißig Grad zur Verbindungslinie Luna-Sol in den Raum. Da es erst drei Tage her war, dass der Kern den Felsen verschlungen hatte, hoffte er irgendein Anzeichen seiner Annäherung zu sehen. Der Kern war von einer viel dichteren Gaswolke umgeben, und die Stelle, an der der Felsen eingeschlagen war, war mit hoher Wahrscheinlichkeit immer noch weißglühend. Doch er sah nichts. Er wandte sich erneut an Amber.

»Wie lange noch bis zur Kollision?«

Sie sah auf ihr Helmchronometer. »Noch drei Minuten.«

»Überprüfen Sie Ihre Helmpolarisatoren«, ordnete er an.

Jeder von ihnen betätigte mit dem Kinn den Schalter, der ihre Visiere verdunkelte. Aus dem Innern der dunklen Kugel heraus konnte Thorpe kaum die Umrisse des Mondes ausmachen. Er schaltete erneut mit dem Kinn, um die Abdunkelung zu beenden, dann sah er zu, wie ein Helm nach dem andern wieder hell wurde.

»Amber, bitte klär uns über das richtige Verhalten auf.«

Sie nickte im Innern ihres Helms. »Wir verdunkeln eine Minute vor der Kollision. Kneifen Sie fünfzehn Sekunden vorher die Augen so weit zusammen, dass Sie Ihre Helmanzeigen gerade noch erkennen können. Blicken Sie auf keinen Fall direkt auf den Mond. Und falls Ihre Augen anfangen sollten zu schmerzen, schließen Sie sie um Himmels willen so lange, bis der Blitz vorbei ist. Durch den Schmerz übermittelt Ihnen der Körper eine Nachricht.«

»Hat das jeder verstanden?«

Alle bestätigten über den allgemeinen Funkkanal. Ehe er sich’s versah, gab Amber bekannt, dass es bis zum Zusammenstoß nur noch eine Minute war. Thorpe wartete so lange, bis die Helme glänzend schwarz geworden waren, bevor er mit dem Kinn seinen Polarisator einschaltete. Als die fünfzehn Sekunden erreicht waren, kniff er die Augen zusammen, wie Amber empfohlen hatte.

Ambers Stimme fuhr mit dem Countdown fort. Als sie bei null angelangt war, färbte sich das Helminnere trotz des Polarisators violett. Er hatte vorgehabt, alles mit anzusehen, aber die Dolche, die tief in seine Netzhaut stießen, ließen ihn zusammenzucken. Es war schlimmer als damals, als er in der Einschienenbahn vom Sonnenaufgang überrascht worden war. Er wandte sich ab und hielt seine Augenlider fest geschlossen. Ein wenig half es. Nach einem Dutzend Sekunden begann das Leuchten zu verblassen. Nach einer Minute konnte er die Augen öffnen und seinen Blick wieder dem Mond zuwenden. Das Leuchten war immer noch unangenehm hell, aber erträglich. Das erste Mal sah er Luna.

Er schnappte nach Luft.

Ein Feuerball versuchte, zum Herzen Lunas durchzusto- ßen. Der äußere Rand der sich ausbreitenden Zone der Verwüstung wurde durch eine kreisförmige Schockwelle definiert. Die Schockwelle war eine transparente Blase, die bereits den mehrfachen Durchmesser Lunas hatte. Unterhalb davon leuchtete strahlend eine weitere Schale der Vernichtung, die von Violett ins bläulich Weiße übergegangen war – sie bestand, wie Thorpe von seiner Lektüre der wissenschaftlichen Projektionen der Kollision her wusste, aus Millionen Tonnen von Mondkruste, Kometeneis und Eisen, die beim Aufprall verdampft waren. Das glühende Gas schoss von Bodennull in den Raum. Bald würde es sich abkühlen und als geschmolzenes Gestein und Eisen zu kondensieren beginnen. Aus dieser Schale würden Milliarden von Mikrometeoriten entstehen. Sie würden der Erde mehrere Jahrhunderte lang spektakuläre Meteoritenschauer bescheren.

Hinter der glühenden Gaswolke befand sich eine Schicht von massivem Material aus der Peripherie des Aufschlagkraters. Es war mit dem kronenförmigen Gebilde emporgeschleudert worden, das für Aufschlagkrater charakteristisch war. Einige seiner Trümmerstücke hatten die Größe von Bergen, und alle entfernten sich schneller als mit lunarer Fluchtgeschwindigkeit. Im Zentrum der expandierenden Trümmerwolke schließlich herrschte ein ausgedehntes Inferno violettweißer Hitze, das immer noch zu hell war, als dass man direkt hätte hineinschauen können.

Als Thorpe den Polarisationsgrad seines Visiers allmählich reduzierte, wurden weitere Details sichtbar. Eine wandernde Staubfront arbeitete sich über das Hochland von Farside nahe der Ostseite des Mondes voran. Während er weiter beobachtete, erschienen an beiden Polen weitere Staublinien und bewegten sich auf den Äquator zu. Auch wenn er sie nicht sehen konnte, wusste er doch, dass sich eine ebensolche Front westwärts bewegte und dass sie sich alle an einem Punkt treffen würden, der der Aufschlagstelle des Kometen diametral entgegengesetzt war.

Die Staubfront wurde durch eine wandernde Schockwelle im Boden verursacht. Indem sie sich mit Schallgeschwindigkeit durch das Mondinnere bewegte, verursachte die Welle ein wanderndes Mondbeben. Wo das Beben vorbeikam, schleuderte es Staubkörnchen und selbst kleine Gesteinsbrocken in den Himmel. Hinter dem Staub erschienen riesige rote Spalten, da die alte Oberfläche unter der Belastung aufriss. Zum ersten Mal seit vier Milliarden Jahren floss auf Luna wieder geschmolzene Lava.

Die wandernden Wellenfronten vereinigten sich nach zehn Minuten und ließen auf der Mondoberfläche eine frische rote Narbe zurück. Auf ganz Nearside waren die Mare wieder Seen aus flüssigem Gestein. Thorpes Blick wurde von der Stelle angezogen, wo sich das Friedensdenkmal befunden hatte. Sie glühte einheitlich rotorange. Die Fußabdrücke zweier unerschrockener Astronauten waren nicht länger und für alle Zeit in dem weichen grauen Boden eingebettet. In nur wenigen Minuten hatte Donnerschlag jeden Hinweis darauf, dass die Menschheit jemals ihren nächsten Nachbarn im Raum besucht hatte, ausgelöscht.