»Ist das Ihre Familie?«
»Ja, das ist sie!«, sagte der Rektor stolz. »Diese Bilder sind allerdings schon ziemlich alt. Das fünfjährige Mädchen wird nächsten Monat heiraten, und mein ältester Sohn hat mich gerade mit meinem vierten Enkelkind überrascht. Ich kann Ihnen aber sagen, dass meine Frau immer noch so gut aussieht wie eh und je. Sind Sie verheiratet, Mr. Thorpe?«
Tom schüttelte den Kopf. »Die letzten zehn Jahre habe ich größtenteils auf dem Felsen zugebracht. Kein geeigneter Ort, um die richtige Frau kennenzulernen, fürchte ich.«
»Das wird Sie zu einem begehrten Mann in Luna City machen. Der Regierungsdienst scheint junge Frauen anzuziehen. Und da die meisten jungen Männer wie Sie drau ßen in den Eisminen arbeiten, bedeutet das für jeden Junggesellen nur Gutes.«
»Wenn ich das früher gewusst hätte, wäre ich schon eher nach Luna gekommen.«
Der Rektor bot seinem Besuch Erfrischungen an. Als sie alle drei ihre Schwelobecher mit dampfender Flüssigkeit gefüllt hatten, lehnte er sich in seinem Sessel zurück. »Es ist immer eine Freude für mich, Mr. Thorpe, wenn ich Bürger Grandstaff einen Gefallen tun kann. Ich muss Ihnen allerdings gestehen, dass er mir noch nicht den Grund mitgeteilt hat, warum Sie dieses Treffen herbeigeführt haben.«
Thorpe beugte sich vor, um seinen Aktenkoffer zu öffnen, und holte die den bevorstehenden nahen Vorbeiflug an Jupiter betreffende Verlautbarung der Astronomischen Vereinigung heraus. Er reichte sie Cummings, der sie kommentarlos durchlas.
»Wie Sie sehen, Mr. Cummings, wurde dieses Objekt vor sechs Wochen vom Farside Observatorium entdeckt. Das Observatorium ist, glaube ich, Ihrer Universität angeschlossen.«
Der Rektor nickte. »Mit halber Autonomie. Wenn Sie etwas vom Observatorium wünschen, werden Sie sich an Direktor Meinz wenden müssen.«
»Ich werde das Observatorium nächste Woche besuchen. Wir nahmen an, dass Sie als Oberhaupt der Mutterorganisation des Observatoriums über unser Anliegen kurz ins Bild gesetzt zu werden wünschten.«
»Unbedingt.«
Thorpe wiederholte, was man ihm aufgetragen hatte. Der Kern seines Anliegens war: Die Sierra Corporation zog die Ausbeutung des Kometenkerns für den Fall ernsthaft in Erwägung, dass sich die Umlaufbahn nach der nahen Jupiter-Begegnung in ökonomischer Hinsicht als günstig erweisen sollte. Des Weiteren erörterte er die rechtlichen Voraussetzungen für den Erwerb der Besitzrechte. Als er die Hälfte seiner Ausführungen hinter sich gebracht hatte, beugte sich der Rektor im Sessel vor. Es war ihm soeben aufgegangen, dass es dabei um Geld ging.
Als Thorpe fertig war, fragte Cummings: »Wollen Sie damit sagen, dass Sie der Universität den Kometen abkaufen wollen?«
»Dafür ist es wohl noch zu früh, Sir. Bei der Berechnung seiner Bahn nach der Jupiter-Begegnung gibt es zu viele Unbekannte. Zudem fehlen uns noch Daten bezüglich der Größe und der Zusammensetzung des Kometen. Alle diese Faktoren haben erheblichen Einfluss auf die Rentabilitätsrechnung. Ich wurde beauftragt, eine Option auf zukünftige Nutzungsrechte zu erwerben. Wenn sich der Komet später als kommerziell wertvoll erweisen sollte, werden wir über eine langfristige Nutzung verhandeln.«
Cummings runzelte die Stirn und rieb sich nachdenklich das Kinn. »Mir scheint, dass Sie es hier ein wenig zu eilig haben, Mr. Thorpe. Warum irgendetwas riskieren, solange Ihre Fragen nicht beantwortet sind? Warum nicht warten, bis der Vorbeiflug stattgefunden hat?«
Thorpe lächelte. »Wenn wir warten, dann werden unsere Konkurrenten ebenfalls die kommerziellen Möglichkeiten entdecken. Indem wir jetzt ein kleines Risiko eingehen, sichern wir uns eine starke Verhandlungsposition für später.«
»Es läge im Interesse unserer Universität, den Kreis der Wettbewerber zu erweitern, nicht ihn zu begrenzen«, erwiderte der Rektor. »Warum sollten wir der Sierra Corporation eine Monopolstellung einräumen?«
»Das sollen Sie gar nicht. Falls Sie sicher sind, dass sich der resultierende Orbit innerhalb bestimmter enger Toleranzen bewegen wird, dann warten Sie am besten ab und veranstalten später eine Auktion. Wenn Sie sich jedoch über den Verlauf des Orbits im Unklaren sind, dann sollten Sie auf Nummer sicher gehen und sich den größtmöglichen Gewinn sichern, den Sie jetzt herausholen können. Je länger Sie warten, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass das Erstentdeckerrecht des Observatoriums durch neue Daten wertlos wird.«
»Und sollten sie sich als ausgesprochen günstig erweisen, gewinnt die Sierra Corporation, und wir haben eine wertvolle Ressource für ein Butterbrot verkauft.«
»Ganz und gar nicht«, sagte Thorpe. »Unsere Option wird ausdrücklich keinen späteren Pachtpreis nennen. Wenn jemand Ihnen mehr bietet, dann schlagen Sie zu. Alles, worum wir Sie bitten, ist die Gelegenheit, jedes beliebige Angebot zu überbieten.«
»An welche Summe für eine Option haben Sie denn gedacht?«
Thorpe nannte die Summe, mit der Halver Smith die Verhandlungen beginnen wollte. Die Augen des Universitätsrektors weiteten sich. »Das ist ausgesprochen großzügig von Mr. Smith.«
»Wir wollen, dass Sie wissen, wie vertrauenswürdig wir sind«, sagte Thorpe mit dem aufrichtigsten Blick, zu dem er fähig war.
»Wie verfahren wir weiter?«
»Ich werde das Farside-Observatorium aufsuchen, um die Daten, über die ich verfüge, bestätigen zu lassen. Ich brauche Informationen über die Zusammensetzung des Kometenkerns und seine Größe. Wir sind an bestimmten organischen Stoffen interessiert, die in manchen Kometenkernen anzutreffen sind. Wenn wir diese Stoffe in dem betreffenden Kometen feststellen, dann werde ich die Option auf der Stelle unterschreiben.«
»Ah, ja«, sagte Cummings. »Ich habe bei Ihnen eben vielleicht einen falschen Eindruck erweckt. Das Farside Observatorium ist zwar in vielen Dingen unabhängig, Angelegenheiten wie diese erfordern jedoch die unmittelbare Beteiligung der Universität. Es handelt sich um eine Frage der Rechtmäßigkeit, ich denke, Sie verstehen das.«
»Natürlich«, stimmte Thorpe zu. »Sobald der Direktor und ich die Absichtserklärung unterzeichnet haben, wende ich mich wegen Ihrer Unterschriften wieder an Sie. Das ist doch die korrekte Vorgehensweise, nicht wahr?«
»Ganz richtig, Mr. Thorpe. Ich werde Direktor Meinz heute noch eine Nachricht zukommen lassen. Ich bin sicher, Sie werden von ihm jede erdenkliche Unterstützung bekommen.«
5
Hätte man Luna City vom Raum aus sehen können, hätte die Stadt an nichts so sehr wie an ein gigantisches Bullauge erinnert. Da sie sich jedoch unter der Erde befand, fiel ihre Form nur jemandem auf, der sich die Zeit nahm, einen Stadtplan zu betrachten. Tom Thorpe tat genau dies, als er den Weg von seinem Hotel zu John Hobarts Wohnung suchte.
Luna City lag zweihundert Kilometer südwestlich des Kopernikus-Kraters. An dieser Stelle war im Jahre 2005 zunächst eine der frühen lunaren Siedlungen der Vereinigten Staaten errichtet worden. Die Kolonie hatte sich ein Jahrzehnt später nach der Entdeckung unterirdischer Eisvorräte ausgedehnt. Später hatten automatisch arbeitende Tunnelbohrer fünfhundert Meter unter der Oberfläche sechs konzentrische Ringe ausgehöhlt. Sobald ein Tunnel versiegelt und mit Atmosphäre versehen war, hatten ihn neue Einwanderer von der Erde besiedelt.
Als die Bevölkerung wuchs, hatte man diese ersten sechs Tunnel erweitert, untereinander vernetzt und neue hinzugefügt. Schließlich wurden fünf zusätzliche Wohnebenen in das Mondgestein gegraben. Jede neue Ebene wurde hundert Meter unter der letzten und mit ein oder zwei zusätzlichen konzentrischen Ringen angelegt. Die sechste und neueste Ebene bestand aus insgesamt zwölf Ringen.
Tom Thorpe stand vor einem öffentlichen Monitor und gab sein Ziel ein. Eine purpurrote Linie markierte den Weg bis zu Hobarts Wohnung. Nach kurzer Zeit hielt er einen dreidimensionalen Stadtplan in der Hand, auf dem die abgestumpfte Kegelform der Stadt deutlich zu erkennen war. Zuversichtlich, dass er sein Ziel nun würde finden können – oder wenigstens den Rückweg zum Hotel, falls er sich verlaufen sollte -, trat er auf den Großen Verteiler hinaus.