Der Bildschirm zeigte ein Diagramm, das eine verblüffende Ähnlichkeit mit den Höhenlinien auf Landkarten hatte. Das Muster der konzentrischen Kreise überlappte mit mehreren Sternen im Hintergrund.
»Der Kern befindet sich im Mittelpunkt der Isophoten«, sagte Grayson und deutete auf das Diagramm.
»Die was?«, fragte Thorpe.
»Linien konstanter Helligkeit. Ich glaube, wir haben Glück. Der Mittelpunkt liegt verdammt nah an diesem Stern achter Größe.«
Als wären seine Worte ein Signal gewesen, rief Amber: »Ich habe eine Bedeckung!«
Thorpe erkannte an der Stelle des Bildschirms, wo der Stern gewesen war, einen elektronisch erzeugten Kastenzeiger. Der Stern war verschwunden, er war verdunkelt worden, als sich der unsichtbare Kometenkern zwischen Stern und Teleskop geschoben hatte.
»Verdunkelung beendet«, berichtete Amber fünfzehn Sekunden später.
»Verdammt, das hat ja teuflisch lange gedauert«, murmelte Grayson an Thorpes Seite.
»Und was heißt das?«, fragte Thorpe.
»Es bedeutet, dass der Kern größer ist, als wir alle geglaubt haben«, antwortete Direktor Meinz.
»Wie viel größer?«, fragte Thorpe.
»Ein ganzes Stück größer«, sagte Grayson betont langsam.
Schweigen senkte sich unvermittelt über den Kontrollraum, während Amber damit begann, die Verdunkelungszeit in eine Größenangabe umzurechnen.
Tom Thorpe nutzte die Pause, um über die Bedeutung der Information nachzudenken. Wenn der Kern größer als ein paar Kilometer war, bestünde keine Möglichkeit, ihn aus seiner resultierenden Bahn zu stoßen. Die dazu nötige Energie würde es verhindern. Und damit würde sich Halver Smith gegen Kursmanipulationen schützen. Sollte jemand dumm genug sein, ein Einfangprogramm anzukündigen, wären lediglich ein paar wohlplatzierte Anrufe nötig, um das Vorhaben zu diskreditieren.
Der Gedanke, der Sierra Corporation die Kosten für die Nutzungsoption zu ersparen, machte Thorpe irgendwie nicht so glücklich, wie er es hätte tun sollen. Nachdem er eine Weile darüber nachgedacht hatte, kam er zu dem Schluss, dass er sich ein wenig enttäuscht fühlte. Es war aufregend gewesen, die Daten hereinkommen zu sehen und mitzuerleben, wie der Schleier des Mysteriums um den Kometen gelüftet wurde. Irgendetwas in ihm wollte, dass die Erregung anhielt. Zum ersten Mal verstand er, was die Astronomen bewegte, ihr Leben damit zu verbringen, in die schwarzen Tiefen hineinzustarren. Die Jahre einsamer Beobachtung konnten mit dem Moment der Entdeckung aufgewogen werden.
Das Ende der Stunde näherte sich rasch. Als Amber die Kontrolle wieder an den Computer übergab, begannen sich die Zuschauer zu entfernen und ließen die Hauptakteure im Kontrollraum zurück. Einer der wenigen, die blieben, war John Malvan.
»Es wird eine ganze Weile dauern, bis wir die Daten vollständig ausgewertet haben«, sagte Amber mit einem Seitenblick auf Thorpe, »aber ich kann Ihnen einige vorläufige Schlussfolgerungen mitteilen. Nach meinen Berechnungen liegt der Durchmesser zwischen vierhundert und fünfhundert Kilometern. Es handelt sich definitiv um einen an flüchtiger Materie reichen Kometenkern, wenn er auch von erheblicher Dichte zu sein scheint. Kommt das den Erwartungen der Sierra Corporation entgegen?«
Thorpe machte den Mund auf, dazu bereit, die schlechte Nachricht zu verkünden, doch dann schloss er ihn wieder. Ihm war gerade eben ein merkwürdiger Gedanke gekommen. Er bemühte sich, ein unbeteiligtes Gesicht zu machen, als er Amber bat, ihre Erkenntnisse zu erläutern.
Sie erklärte, der Kern sei so groß, dass es sich dabei wahrscheinlich eher um einen massiven Körper als um eine Ansammlung von Schneebällen handelte, die für die meisten Kometenkerne charakteristisch seien. Ihre Komauntersuchungen bewiesen, dass der Kern größtenteils aus gefrorenem Wasser bestünde, wenn auch mit all den kometentypischen Verunreinigungen. Da der Kern ein fester Körper sei, wäre es unwahrscheinlich, dass er unter dem Einfluss der Gravitation des Jupiter zerbräche.
»Nun, Mr. Thorpe«, sagte Direktor Meinz. »Sind Sie nun so weit, die Absichtserklärung zu unterschreiben?«
Thorpe schwieg und schien mit sich um eine Entscheidung zu ringen. Nach einer Minute sah er Meinz an. »Ich brauche noch bedeutend detailliertere Informationen über die Zusammensetzung, Mr. Meinz.«
»Sie werden so viel davon bekommen, wie unser Computer aus einer sechzigminütigen Beobachtung mit dem größten Teleskop des Sonnensystems herausquetschen kann.«
»Sehr schön«, sagte Thorpe. »Wir lassen es darauf ankommen. Sagen wir – in fünf Minuten in Ihrem Büro?«
»Das wäre mir recht, Mr. Thorpe«, erwiderte Meinz, während er angestrengt seine Erleichterung zu verbergen suchte.
An der Rückseite des Kontrollraums runzelte John Malvan die Stirn. Irgendetwas störte ihn, aber er kam nicht darauf, was es war.
Halver Smith starrte in die Flammen des Kamins in seiner Bibliothek. Er war altmodisch genug, um richtiges Holz verbrennen zu wollen, und so reich, dass er es sich leisten konnte. Er war schon immer der Meinung gewesen, dass weder Gas noch synthetische Zellulose mit dem Knistern und dem aromatischen Geruch eines Pinienfeuers mithalten konnten. Heute Nacht beobachtete er die Flammen in dem abgedunkelten Zimmer und grübelte über die Zukunft nach.
Wie er Tom Thorpe zwei Wochen zuvor erklärt hatte, sah sich die Sierra Corporation mit einer kurzfristigen Liquiditätskrise konfrontiert. Smith allein wusste, wie kritisch die Situation in Wirklichkeit war. Wie die Wirtschaftswissenschaftler in aller Welt lehrten, gab es nur fünf Arten, sich Kapital zu verschaffen. Man konnte es verdienen, sich borgen, den Ersparnissen entnehmen, es sich durch den Verkauf von Aktiva verschaffen oder geschenkt bekommen. Das Einfangen des Felsens war in erster Linie durch Kredite und Schenkungen finanziert worden – etwas anderes war die Ausgabe von Aktien nicht. Lange Zeit hatte es so ausgesehen, als würden diese beiden Quellen ausreichen. Als die Banken erst einmal Hochrechnungen der aus dem Verkauf von Asteroideneisen zu erwartenden Gewinne gesehen hatten, wurden sie bei der Vergabe günstiger Kredite großzügig. Die gleichen Hochrechnungen hatten für hohe Aktienkurse gesorgt. Eine von dem Projekt faszinierte Öffentlichkeit hatte ihm die Neuemissionen beinahe aus den Händen gerissen.
Der Preis der Anteilscheine der Sierra Corporation hatte sich während der fünf Jahre, die man gebraucht hatte, um den Felsen in eine Erdumlaufbahn zu befördern, fast verdoppelt. Ihr Wert war um weitere dreißig Prozent an dem Tag gestiegen, als der erste Erzcontainer vor der brasilianischen Küste niedergegangen war. Und hämische Presseberichte über die Eisenmenge, die SierraCorp wohl würde anliefern können, hatten dem Kurs nicht geschadet.
Drei Jahre später, als aktuelle Produktionszahlen die fiktiven ablösten, war die Realität eingekehrt. Mit dem Fortschreiten des Avalon-Projekts hatte Halver Smiths Aufstieg weiter an Faszination eingebüßt. Zum ersten Mal begann der Aktienkurs der Sierra Corporation zu sinken. Der sinkende Kurs hatte die Banken dazu veranlasst, ihre Haltung zu überdenken. Mit einem Mal waren die Kreditlinien von SierraCorp nicht mehr ohne Limit. Bitten, die vorhandenen Kredite zu erweitern, waren zurückgewiesen, und neue Kredite waren für kürzere Zeiträume zu höheren Zinsen gewährt worden.
Die Investoren und die Banken waren jedoch nicht Smiths einziges Problem. Dieselben Politiker, die sich seinerzeit für Eisen aus dem Weltraum ausgesprochen hatten, beklagten sich nun über den Verlust von Arbeitsplätzen auf der Erde. Aus den gleichen Hüttenwerken, die einst als Verschmutzer von Luft und Wasser gegolten hatten, waren nun einheimische Industrien geworden. Das Wort Protektionismus lag in der Luft. Sowohl das Vereinigte Europa wie die Nordamerikanische Union bereiteten Gesetze zur Besteuerung von Weltraumeisen vor. Zwei afrikanische Länder hatten den Import von Weltraumeisen bereits vollständig untersagt.