»Man hat hier am Observatorium eine Entdeckung gemacht, von der Sie, glaube ich, wissen sollten, Sir.« Malvan gab im Wesentlichen die gleichen Informationen weiter wie zuvor bereits Thorpe. Als er damit fertig war, sagte er: »Ich dachte mir, Sie sollten besser davon wissen.«
»Und Sie sagen, der Direktor des Observatoriums hat die Absichtserklärung bereits unterschrieben?«
»Ja, Sir. Ich erinnere mich, dass es mich irgendwie gestört hat, aber ich hatte es noch nicht ganz durchdacht.«
»Ich kann immer noch intervenieren. Ein Eisasteroid von fünfhundert Kilometern Durchmesser, sagten Sie?«
»Ja, Sir. Dann stimmen Sie mit mir überein, dass es wichtig sein könnte?«
»Es war richtig von Ihnen, mich anzurufen. Halten Sie Ihre Ohren offen und mich auf dem Laufenden. Notieren Sie sich diese Nummer!« Hobart hielt eine Karte hoch, auf die seine private Telefonnummer gedruckt war. Der Anruf würde Tag und Nacht automatisch zu seinem Büro, seiner Wohnung oder seinem PocketPhone durchgestellt.
»Ich werde Ihnen laufend berichten«, sagte Malvan, als er die Nummer notiert hatte.
»Auf Wiedersehen, Bürger Malvan. Und danke!«
John Hobart starrte den Telefonschirm noch lange an, nachdem er erloschen war. Die Folgerungen, die sich aus dem Auftauchen des Kometen ergaben, waren sowohl beunruhigend als auch aufregend. Man musste sie studieren, ehe man unumstößliche Tatsachen schuf – was bedeutete, dass eine bestimmte Kette von Ereignissen sofort unterbrochen werden musste.
Hobart drückte den Summer für seine Sekretärin.
»Ja, Sir?«
»Bitte holen Sie Rektor Cummings ans Telefon, Miss Cates. Ich möchte mit ihm über eine Angelegenheit von einiger Dringlichkeit sprechen.«
8
»Achtung, an alle Passagiere! Sonnenaufgang in dreißig Sekunden. Bitte treffen Sie alle nötigen Vorkehrungen.«
Die Ankündigung hallte durch die Einschienenbahn, während die Kette der gedrungenen Zylinder durch die Dunkelheit der langen Mondnacht schoss. Tom Thorpe suchte den Horizont nach einem Anzeichen der bevorstehenden Dämmerung ab. Zunächst war hinter dem dreiwandigen Fenster nichts als Dunkelheit. Einen Moment später hatte die Bahn den höchsten Punkt der Steigung erreicht, die sie hinaufgeklettert war, und die Sonne stand eine Handbreit über dem Horizont. Der Übergang von tiefster Schwärze zu blendender Helligkeit vollzog sich beinahe unvermittelt.
Thorpe stöhnte vor Schmerz, als sich zwei Dolche in seine Augen bohrten. Er wandte rasch den Blick ab, doch nicht schnell genug, als dass nicht grüne Nachbilder in seiner Sicht geschwommen wären. »Verdammt, das ging aber schnell!«
»Deshalb wird man ja vorgewarnt«, sagte neben ihm Amber. »Ich hätte etwas sagen sollen. Ich habe Sie aus dem Fenster starren sehen, aber mir ist nicht aufgefallen, dass Sie sich nicht darüber im Klaren waren, was Sie zu erwarten hätten. Ich dachte, Sie kennen die Gefahr, weil Sie auf dem Felsen arbeiten.«
Anders als auf der Erde, wo die Dämmerung von einem allmählichen Hellerwerden des östlichen Himmels angekündigt wird, war der Sonnenaufgang auf einem atmosphärelosen Himmelskörper eher ein gewaltsamer Vorgang. Man wurde nur dann vorgewarnt, wenn die Sonne größere Erhebungen beschien. War nichts dergleichen in Sicht, begann der Tag so abrupt, als würde ein Licht eingeschaltet, zumal wenn man sich mit dreihundert Stundenkilometern fortbewegte.
Thorpe spähte zwischen den Augenlidern hervor, dann öffnete er langsam die Augen. Nachdem er seinen Handrücken angestarrt hatte, ließ er den Blick durch das Innere der Passagierkapsel schweifen. Einzig das Fenster und die erhitzte Landschaft dahinter sparte er aus. Wenn er nur daran dachte, tränten ihm bereits die Augen. »Ich glaube nicht, dass ich mich verletzt habe.«
»Ich kann den Steward um eine Eispackung bitten, wenn Ihnen der Kopf wehtut.«
»Nicht nötig. Übrigens, so schnell würde ich ihm gegenüber ein solches Kunststück auch nicht zugeben. Er könnte mich für einen Touristen halten.«
Sie lachte. »Ein Schicksal schlimmer als der Tod!«
Als das Geschäft mit dem Farside-Observatorium abgeschlossen war, hatte Thorpe eine Fahrt mit dem Vor-Sonnenaufgangs-Rolligon nach Hadley’s Crossroads gebucht. Zu seiner Überraschung hatte er Amber Hastings bereits an Bord vorgefunden, als er durch die offene Luke in die große Passagierkabine des Fahrzeugs geklettert war.
»Was tun Sie denn hier?«, hatte er gefragt, als er neben ihr Platz genommen hatte.
»Ich gehe auf Heimaturlaub!«
»Richtig. Sie haben das mal erwähnt, nicht wahr?«
Sie hatte genickt, was durch den Helm ihres Vakuumanzugs kaum zu erkennen gewesen war. »Ich habe bis spät in die Nacht gearbeitet, um die offenen Fragen bezüglich des Kometen aufzuarbeiten. Ich wollte nicht wieder zwei Wochen bis zur nächsten Schicht warten.«
»Freut mich, dass Sie mitfahren. Wenn ich mich mit jemandem unterhalten kann, werde ich von Varls Fahrweise abgelenkt.«
Thorpe fand bald heraus, dass Amber ihn tatsächlich von der Fahrt ablenkte. Er wurde von ihrer Gesellschaft so in Anspruch genommen, dass er es kaum bemerkte, als sich der Rolligon für fast fünf Sekunden in ein Flugmobil verwandelte.
Ihre Unterhaltung beschränkte sich zunächst auf Smalltalk, doch bald schon wurden die Themen persönlicher. Thorpe erzählte ihr sozusagen sein Leben. Sie konterte mit ihrer Jugend im unterirdischen Labyrinth von Luna. Anschließend saßen sie lange Zeit schweigend da, bis die waghalsigen Manöver des Rolligonfahrers ihnen eine Reihe von Scherzen entlockten. Als sie Hadley’s Crossroads erreichten, wären sie vor Lachen in ihren Anzügen beinahe erstickt.
Sie hatten Glück, dass sie nur zwei Stunden auf die Einschienenbahn nach Luna City zu warten brauchten. Eine Viertelstunde hinter Hadley’s überquerte die dahinrasende Bahn den Terminator und erteilte Thorpe seine schmerzhafte Lektion. Zehn Minuten darauf zeigte Amber auf einen zerklüfteten Berg, der gerade über dem Horizont auftauchte.
»Sehen Sie diese Bergspitze dort drüben?«
Thorpe blickte über die öde Landschaft hinweg zu dem entfernten Gipfel und nickte.
»Das ist die Teufelshöhe. Dort kam kurz nach der Jahrhundertwende eine Forschungsexpedition um. Fünf Männer verschwanden damals spurlos.«
»Wie kann denn auf dem Mond etwas verschwinden? Sie müssen doch Spuren hinterlassen haben.«
Sie schüttelte den Kopf. »Sie haben einen MoonJumper benutzt. Ihre letzte Meldung war, dass sie nahe der Höhe niedergehen würden.«
»Landeunfall?«
»Möglicherweise.«
Thorpe nickte. Er hatte die Raketen gesehen, die hier die gleiche Aufgabe erfüllten wie die Flugzeuge auf der Erde. Ein MoonJumper sah anders als aus die Apollo-Mondlandefähre oder die Fähre, die Thorpe zum Raumhafen von Luna City transportiert hatte. Vier in Plattfüßen endende Beine umgaben einen Raketenantrieb mit einer Druckluftkabine an der Spitze. Die Hüpfer flogen nicht wie ein Flugzeug. Sie beförderten sich vielmehr in eine ballistische Bahn und bremsten ihren Fall später bei der Landung ab.
»Und es wurden keinerlei Überbleibsel gefunden?«
Amber schüttelte den Kopf. »Keinerlei Spuren. Manche Leute glauben, sie könnten auf einem Abhang aufgesetzt und einen Erdrutsch ausgelöst haben, der sie begrub. Ich frage mich oft, ob sie nicht einfach noch immer dort drau ßen sitzen und darauf warten, dass jemand vorbeikommt. Vielleicht in einer Million Jahren …«
»Ich nehme an, Luna ist nicht besonders gut erforscht«, sagte Thorpe.
»So gut wie gar nicht. Besonders hier auf Farside nicht. O ja, wir haben Fotos aus dem Orbit, das schon. Das ist aber nicht dasselbe wie Bodenerkundung. Erinnern Sie sich, die Oberfläche des Mondes beträgt achtunddreißig Millionen Quadratkilometer. Das ist kaum ein Viertel der Landfläche der Erde. Unsere Bevölkerung beträgt zehn Millionen. Da liegt das Problem.«