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Thorpe dachte einen Moment lang nach, dann hellte sich seine Miene auf. »Ich glaube, ich hab’s!«

9

Der Große Verteiler wimmelte von Menschen, als Tom Thorpe und Amber Hastings sich ihren Weg nach oben durch eine Freitag-Abend-Menge bahnten. Die Ursache für diese abwärts gerichtete Völkerwanderung konnte man vom Park unten heraufklingen hören. Das Philharmonische Orchester von Luna City hatte sich zweihundert Meter weiter unten auf dem Boden der Höhle versammelt und spielte ein Medley von Liedern aus der Revolutionszeit.

Thorpe konnte nicht anders, als seiner Begleiterin verstohlene Seitenblicke zuzuwerfen. Die Amber Hastings, die er im U-Bahnhof zurückgelassen hatte, war sichtlich mitgenommen gewesen. Ihre blutunterlaufenen Augen, das schmutzige Gesicht, das strähnige Haar und die zerknitterte Kleidung hatten von den vielen Stunden der Reise Zeugnis abgelegt. Die Amber Hastings, die ihn am Hotel abgeholt hatte, war eine andere Frau. Edelsteine waren in ihre blonden Locken gestreut, die sie auf ihrem Kopf aufgetürmt hatte. Ihr Gesicht wirkte schmaler und ihr rot geschminkter Mund größer. Ihre Haut schimmerte mit dem Glanz, der nur von den teuersten Kosmetika hervorgerufen werden konnte.

Ihr Gesicht und ihre Frisur wurden von ihrem Overall betont. Das schwarze Gewebe zeigte ein Zufallsmuster von Undurchsichtigkeit und Transparenz, das bei jeder Bewegung funkelte. Das weit ausgeschnittene Oberteil betonte ihre kaum verhüllten Brüste, während das Rückenteil des Anzugs praktisch nicht vorhanden war. Schlitze gaben den Blick auf Ambers lange Beine frei, die in Stulpenstiefeln mit Umschlag steckten. Ein Gürtel mit goldenen Gliedern und die dazu passende Halskette und Ohrringe vervollständigten ihre Kleidung.

»Mein Gott, als Sie Abendkleidung sagten, haben Sie es wirklich auch gemeint!«, war das Erste, was Thorpe zu ihr sagte.

»Gefällt es Ihnen?«, fragte sie und vollführte vor ihm eine Pirouette, damit er sie von allen Seiten betrachten konnte. »Ich hab es mir von meiner Collegefreundin ausgeliehen, bei der ich wohne.«

»Es ist wundervoll! Ich hatte keine Ahnung, dass Sie sich diese ganze Mühe machen würden. Alles, was ich habe, ist eine Jacke und Shorts.«

»Niemand achtet darauf, was ein Mann trägt.«

»Nicht, wenn er mit Ihnen in einem Raum ist«, stimmte er zu. Thorpe mochte die Art, wie sie wegen seines Kompliments errötete.

»Ich habe den Hotelportier nach ein paar Restauranttips gefragt«, sagte er. »Ich bin mir bloß nicht sicher, ob die, die er empfohlen hat, ausgefallen genug sind.«

»Ich habe schon etwas bei Luigi’s reservieren lassen«, antwortete sie. »Der Zentralcomputer hat uns für zwanzig Uhr dreißig vorgemerkt.«

»Wo liegt das Restaurant?«

»Ungefähr einen Kilometer von hier, aufwärts.«

»Dann kommen Sie«, sagte er und bot ihr seinen Arm. »Gehen wir!«

Das Luigi’s stellte sich als eine saalgroße Höhle heraus, die so gestaltet war, dass sie einer Waldlichtung auf der Erde ähnelte. Der Himmel darüber war schwarz und gesprenkelt mit Myriaden von Sternen. Tief am Horizont hob sich eine gelbe Mondsichel aus einer Lücke zwischen den Bäumen. Irgendwo im Hintergrund hörte man Wasserrauschen, vermischt mit dem Zirpen von Insekten und dem Quaken von Fröschen.

»Wunderbar!«, flüsterte Thorpe Amber zu, nachdem der Maître sie zu ihrem Tisch geleitet hatte.

»Ich dachte mir, dass Sie es mögen würden. Es ist die beste Simulation von ganz Luna.«

In der Mitte der Lichtung erblickte man eine weit entfernte weiße Stadt. Die Stadt war auf einer Reihe von Hügeln jenseits eines breiten Flusstals gelegen. Sie schimmerte im Mondlicht ohne jede Spur von künstlicher Beleuchtung, ausgenommen den flackernden gelben Schein von Öllampen hinter vielen der Fenster. Ein Teppich schmutzig weißer Felsen auf den Hügelhängen entpuppte sich als Schafherden, die sich zur Nacht hingelegt hatten. Bei jeder befand sich ein Lagerfeuer der Schäfer.

Der Maître hatte sie zu ihrem Tisch gebracht und sich dann zurückgezogen. Wer immer das Restaurant entworfen haben mochte, er hatte es irgendwie fertiggebracht, ein Panoramabild hinzubekommen und gleichzeitig alles außer den nächstgelegenen Tischen abzuschirmen. Thorpe blickte sich voller Bewunderung um. Nach einer Weile lachte er jedoch in sich hinein.

»Was ist denn?«, fragte Amber und folgte seinem Blick.

»Das dort ist falsch«, sagte er und zeigte darauf. »Dieses viereckige Bauwerk auf dem ersten Hügel ist der Parthenon, während das runde dort hinten das Kolosseum ist.«

»Und?«

»Nun, das eine befindet sich in Athen und das andere in Rom. Sie liegen gut tausend Kilometer auseinander.«

»In unmittelbarer Nachbarschaft, wenn man bedenkt, wie weit sie von hier entfernt sind.«

»Ich schätze, da haben Sie Recht«, gab Thorpe zu.

Sie begannen das Essen mit einem Champagner, der sich niemals in oder auch nur in der Nähe von Frankreich befunden hatte. Anschließend gaben sie ihre Bestellung auf. Thorpe aß Kalbfleisch mit Parmesankäse, und Amber entschied sich für Muscheltortellini. Während sie warteten, gingen sie zu Rotwein über und aßen warme Brötchen mit Butter.

Das Essen ging bei den Geschichten, die Thorpe Amber vom Leben auf dem Felsen erzählte, rasch vorbei. Ehe er sich’s versah, war er mit seiner Schüssel Spumoni fertig, und Amber leerte ihre Tasse Tee. Musik wehte durch das Restaurant, und Paare begannen sich auf die Tanzfläche zuzubewegen, die eben noch eine Bergwiese gewesen war.

»Lust zu tanzen?«

»Aber ja.«

Sie tanzten zu drei verschiedenen Melodien und wechselten dabei kaum ein Wort. Thorpe war sich Ambers Wärme und des Dufts ihres Parfüms auf schmerzhafte Weise bewusst. Sie schmiegte sich an ihn und senkte ihren Kopf auf seine Schulter. Er ließ seine Hand auf ihren Rücken hinabsinken, wo er ihre nackte Haut sanft liebkoste. Er fühlte ihr Lächeln mehr, als dass er es sah.

So ging es weiter, bis die Lautstärke der Musik beinahe bis zur Unhörbarkeit abnahm. Während der Pause seufzte Thorpe tief auf. »Ich könnte die ganze Nacht so weitermachen, aber ich glaube, wir müssen über das Geschäftliche reden.«

Amber hob ihren Kopf von seiner Schulter. »Das Geschäftliche?«

»Kommen Sie, lassen Sie uns zum Tisch zurückgehen, und ich erkläre es Ihnen.«

Sie kehrten zu ihren Plätzen zurück, wo Thorpe weiteren Wein bestellte. Als ihre Gläser wieder gefüllt waren, schnitt er das Thema an, das ihn seit Verlassen des Büros von Rektor Cummings so sehr beschäftigt hatte.

»Ich habe mit der Erde telefoniert«, log er. »Mr. Smith hat das Gesetz über Rechtsansprüche im Weltraum von der Rechtsabteilung überprüfen lassen.«

»Und?«

»Nun, im Gesetz steht, dass die Erstentdeckerrechte bei dem/der Individuum/Organisation verbleiben, welche die Entdeckung zuerst bekanntgegeben hat.«

Amber nickte. »Weshalb Sie und Direktor Meinz die Absichtserklärung unterschrieben haben.«

»Genau. Als ich von der Erde aufgebrochen bin, war die Rechtsabteilung der Meinung, alle Rechte lägen beim Observatorium. In diesem Punkt sind sie sich nicht mehr so sicher. Sie glauben, dass Sie ebenfalls Erstentdeckerrechte beanspruchen könnten.«

»Ich?«, fragte Amber verblüfft. »Aber ich habe doch gar nichts gemacht. Der Computer hat den Kometen entdeckt. Ich habe doch nur den Sichtungsbericht geschrieben.«

»Das könnte schon alles sein, was erforderlich ist. Die Frage ist, ob der Schrägstrich in Individuum/Organisation und oder oder bedeutet.«

»Aber ich bin vom Observatorium angestellt. Wie sollte ich einen Anspruch auf eine Entdeckung des Observatoriums anmelden können?«

»Ich behaupte nicht, dass Sie einen Anspruch haben. Ich sage nur, die Rechtsabteilung glaubt, Sie könnten einen haben. Sie wissen doch, wie Rechtsanwälte sind. Sie werden dafür bezahlt, dass sie mit dem Schlimmstmöglichen rechnen. Sie haben Mr. Smith geraten, dass es die Lage vereinfachen könnte, wenn wir Sie in jede Vereinbarung mit dem Observatorium einbeziehen.«