Amber wurde rot. Sie kannte den Artikel tatsächlich. Man hatte sie zu einer Mischung aus Albert Einstein und Corbel Van Dyke gemacht, mit einem Schuss Sir Isaac Newton. Man hatte sie deswegen wochenlang gnadenlos aufgezogen.
»Also, was fangen wir jetzt an?«, fragte er.
»Wären wir auf Luna, würde ich vorschlagen, dass du bei mir einziehst, damit wir sehen, ob wir nach einem Monat oder so immer noch das Gleiche fühlen.«
»Die Gebräuche auf der Erde sind nicht viel anders.«
»Schade, dass wir nicht auf der Erde oder auf Luna bleiben.«
»Ich kann dir nicht folgen.«
»Du hast es heute Morgen selbst gesagt. Wir werden bald Bewohner der Admiral Farragut sein. Das ändert die Lage.«
»Wie das?«, fragte er.
»An Bord des Schiffes wird es unmöglich sein, eine Affäre für sich zu behalten. Jeder wird über uns Bescheid wissen, sobald wir miteinander ins Bett gehen.«
»Ja, und?«
»Ich möchte halt nicht, dass die Leute denken, ich würde meine Stellung bei der Expedition dem verdanken, den ich jede Nacht in der Kabine besuche.«
»Verdammt, Amber, du hast den Kometen entdeckt. Warum sollte das jemand denken?«
»Ich weiß einfach, dass sie es tun würden. Das ist die menschliche Natur. Wenn wir zu achtzehnt drei Jahre lang dicht an dicht zusammenleben sollen, dann möchte ich lieber gar nicht erst anfangen, Wasser auf die Tratschmühlen zu leiten. Und du solltest das auch nicht tun. Es könnte deine Führungsautorität ernsthaft beeinträchtigen. Ich glaube, es ist am besten, wenn ich nur ein einfaches Mitglied deiner Crew bin. Wenn wir bei unserer Rückkehr immer noch das Gleiche empfinden, dann sehen wir weiter.«
»Du erwartest von mir, dass ich dich jeden Tag sehe und vorgebe, nicht von dir angezogen zu sein? Für welche Art Mann hältst du mich eigentlich?«
»Für einen, der meine Wünsche auch respektieren wird.«
»Da muss ich drüber nachdenken«, sagte er nach einer langen Pause.
»Das ist nur fair. In der Zwischenzeit, wie steht’s mit dem Nachtisch?«
12
Amber schwebte allein vor der vorderen Sichtluke der Orbit-Orbit-Fähre. Vor ihr lag die große Antenne des Sierra-Skies-Kraftwerks. Die rechteckige Antenne, eine zerbrechlich wirkende Konstruktion aus Metalldrähten und Strukturelementen von etwa fünf Kilometern Durchmesser, wäre ohne das Spinnwebmuster der Arbeitsleuchten nicht zu sehen gewesen. Die Lampen ließen sie wie ein körperloses Flugzeug erscheinen, das einsam in der unermesslichen Schwärze des Raumes trieb.
Zehn Kilometer darunter lag das eigentliche Kraftwerk. Wie das halbe Dutzend anderer Kraftwerke auch, die in 37.000 Kilometern Höhe über dem Äquator kreisten, bestand das Sierra-Skies-Kraftwerk aus einer Reihe komplizierter Anlagen, die in loser Formation nebeneinander herflogen. Der Habitatzylinder rotierte langsam im ungefilterten Sonnenlicht, die rot-weiß gemusterte Hülle stand blendend hell vor der Schwärze des Raums. Die Station war von sechs großen Fusionsreaktoren umgeben, gigantische Kugeln, aus denen lange, mit paddelförmigen, weißglühenden Kühlelementen besetzte Türme entsprangen. Jeder Generator erzeugte 1200 Gigawatt an elektrischer Energie. Die Hälfte davon wurde mit gebündelten Mikrowellen niedriger Intensität zur Erde gesendet und über das Vereinigte Europa verteilt. Der Rest wurde zur Herstellung von Antimaterie verwendet. Die Antiprotonen wurden in T eilchenbeschleunigern hergestellt, dann gekühlt, in Antiwasserstoff umgewandelt und in supraleitenden Magnetfallen gelagert.
Der Wirkungsgrad des Prozesses betrug weniger als zehn Prozent, doch Antimaterie war bei weitem die beste Energiequelle, die man für Raumfahrzeuge bislang entwickelt hatte. Die Doppelnatur der Tätigkeit des Kraftwerks war seit langem Gegenstand einer Kontroverse. Was ist wichtiger, so lautete die Frage, die Energieversorgung der Erde oder die Herstellung von Antimaterie für Schiffe weit entfernt im Raum? Für diejenigen, die außerhalb der Atmosphäre lebten, hatte das niemals auch nur zur Debatte gestanden. Eine stetige Versorgung mit Antimaterie war für sie ebenso lebenswichtig wie Sauerstoff oder Eis.
Wegen der Meinungsverschiedenheiten darüber, wie viel Antimaterie der Expedition zugeteilt werden sollte, war die endgültige Betankung der Admiral Farragut bis kurz vor dem Start verschoben worden. Alle xpeditionsteilnehmer waren angewiesen worden, vom Sierra-Skies-Kraftwerk aus an Bord zu gehen. Es hatte beinahe eine Woche gedauert, bis sie von der Erde aus eingetrudelt waren. Amber traf als Letzte ein, da sie auf die letzten Beobachtungsergebnisse des Farside-Observatoriums gewartet hatte.
»Der Kapitän sagt, in drei Minuten zündet der Antrieb, Ma’am«, sagte eine Stimme hinter Ambers Rücken. Sie blickte über die Schulter und erkannte Terence Sweeney, den grauhaarigen Bordingenieur der Fähre. Sie hatte ihn nicht heraufkommen gehört.
»Heißt das, ich muss zu meinem Platz zurückkehren, Mr. Sweeney?«
»Keineswegs«, sagte er mit einem leisen Lachen. »Ist nur ein kleiner Seitenschub, damit wir auch wirklich an der Antenne vorbeikommen. Denken Sie daran sich festzuhalten, wenn der Summer ertönt. Sie könnten sich etwas verstauchen, falls Sie frei treiben, wenn der Schub einsetzt.«
»Ist klar«, sagte sie und wandte sich wieder der Aussicht zu. Die Erde lag als gesprenkelter Wasserball unter ihr, mit Irland und Großbritannien als zwei großen Schiffen, die von der Küste Kontinentaleuropas aus in die blaue See stachen. Über der Erde stand der Mond. Sein Anblick machte sie krank vor Heimweh. Es würde drei Jahre dauern, bis sie ihre Heimat wiedersehen würde. Plötzlich erschien ihr der Gedanke an die Expedition weit weniger reizvoll als zu Anfang.
Der Warnsummer ertönte fahrplanmäßig. Ihm folgten fünfzehn Sekunden später ein doppeltes langes Husten der Manövrierdüsen der Orbitalfähre. Simultan mit dem Geräusch schoss eine Dampfwolke an der Luke vorbei und sandte eine Million funkelnder Partikel in die Dunkelheit hinaus.
Nach der Kurskorrektur geschah zwanzig Minuten lang nichts, während die winzige Ansammlung von Gebilden in der Sichtluke weiter wuchs. Als das Kraftwerk die halbe Luke ausfüllte, kam der Bordingenieur in den kleinen Raum zurück.
»Der Kapitän sagt, da Sie unser einziger Passagier sind, hat er die Erlaubnis, zu Ihrem Schiff umzuschwenken und Sie gleich dort abzuliefern. Sie müssten dadurch etwa eine Stunde sparen.«
»Sagen Sie dem Kapitän meinen Dank, Mr. Sweeny. Wie lange ist es noch bis dahin?«
»Eine Viertelstunde. Die Leute vom Kraftwerk haben’s nicht gern, wenn wir mit mehr als Schneckentempo ankommen.«
»Wann können wir die Admiral Farragut sehen?«
»Sie können Sie jetzt schon sehen.«
»Wo?«
Der Ingenieur deutete auf eines von zwei großen, unregelmäßig geformten Gebilden, die durch eine Reihe von Kabeln mit einem der beiden Fusionsreaktoren verbunden waren. »Da liegt sie, gleich neben dem Beschleunigermodul Eins. Sehen Sie?«
Sie folgte seinem Finger. »Das kleine Ding?«
»So klein ist es gar nicht«, erwiderte er. »Es sieht nur so aus, weil der Beschleuniger so verdammt groß ist.«
Amber blickte zu dem Schiff hinüber, das immer noch kleiner wirkte als ein Fingernagel bei ausgestrecktem Arm – es war schwierig, andere Einzelheiten auszumachen als die kugelförmigen Wasserstofftanks, das zylindrische Frachtmodul und das 3annschaftsmodul an der Spitze. Doch 3wie sie so über mehrere Kilometer Vakuum hinweg hin überspähte, schien sich am Bug ein freiliegendes Gestell aus Rohren zu befinden, das sie von dem Foto, welches dem Einsatzplan beigefügt war, nicht wiedererkannte.
»Was ist das, Mr. Sweeney?«