Thorpe schnallte sich im Beobachtersessel im Kontrollraum der Admiral Farragut fest und sah zu, wie die letzten Flugvorbereitungen getroffen wurden. Der Kontrollraum war ein kuppelförmiger, von einem Rundumbildschirm dominierter Raum, auf dem alle möglichen Kombinationen von Außenansichten und omputererzeugten Diagrammen abgebildet werden konnten. Wenn die Kuppel auf die Außenkameras geschaltet war, schienen die vier Andruckliegen im Raum zu schweben.
Thorpe fühlte sich wie in einem Planetarium. Der große glühende Sonnenball hing in geringer Höhe vor ihm, während sich die sichelförmige Erde bis unter den Horizont der Kuppel zu seinen Füßen erstreckte. Luna war nicht zu sehen und befand sich irgendwo achtern. Das Gebilde aus Reaktoren und Habitatzylinder, die das Sierra Skies Kraftwerk darstellten, waren über dem hellen Rand der Erde deutlich zu erkennen. Und der übermächtigen Sonne zum Trotz leuchteten die Sterne in ihrer ganzen elektronisch verstärkten Pracht. Die Milchstraße überwölbte die Kuppel als silbernes Band.
»Sierra Skies Control, hier Admiral Farragut. Wie ist die Verständigung?«, fragte Kapitän Olafson von irgendwo hinter Thorpe. Der Frachter hatte eine halbe Stunde zuvor mit einem einzigen kurzen Stoß seiner Steuerdüsen abgelegt. Seitdem waren sie von Sierra Skies allmählich abgetrieben.
»Hallo, Admiral Farragut. Wir verstehen Sie gut.«
»Wir haben soeben den Nahbereich verlassen. Erbitten Erlaubnis, auf mittlere Geschwindigkeit zu beschleunigen.«
»Warten Sie, Admiral Farragut.« Es entstand eine drei ßigsekündige Pause, während der Raumlotse die Flugbahn des Schiffes überprüfte. Vor zehn Jahren hatte ein Schiff von einem der Kraftwerke abgelegt – und war genau durch die zerbrechliche Energieantenne gefahren. Seit diesem Vorfall hatten An-und Ablegemanöver einen Beigeschmack von Paranoia. »In Ordnung, Admiral Farragut. Wir haben nachgeprüft, dass Sie den Nahbereich verlassen haben. Sie können beschleunigen wie geplant. Wir möchten Sie daran erinnern, dass es verboten ist, den Hauptantrieb in einer Entfernung unter einhundert Kilometern zu zünden.«
»Verstanden, Sierra Skies. Wir denken an die Hunderterregel!«
»Viel Glück für Ihre Mission, Admiral Farragut!«
»Danke, Sierra Skies Control. Bitte mach das Reaktionskontrollsystem fertig, Kyle.« Die letzten Worte galten dem Chefingenieur, der die Liege hinter der des Kapitäns einnahm.
»Jawoll! RKS bereit.«
»Warnen Sie die Crew, Mr. Rodriguez.«
Der dritte Mann der Steuercrew, der alle Schiffssysteme mit Ausnahme des Antriebs überwachte, griff nach vorne und berührte einen Schalter. Seine Stimme hallte durch alle Räume.
»Achtung, an alle. RKS-Manöver beginnt jeden Moment. Sie haben fünfzehn Sekunden Zeit, um sich zu sichern.«
Kapitän Olafson wartete die fünfzehn Sekunden ab, dann machte sie etwas mit ihrem LapBoard, woraufhin dem Kuppelschirm eine Serie von Richtkreisen überlagert wurde. Es folgte ein kurzes Fauchen der Motoren, und das niversum draußen begann langsam zu rotieren. Bei drei ßig Grad löste der Kapitän einen weiteren kurzen Schubstoß aus, und die Kreise kamen genau in der Position zur Ruhe, den der Flugplan erforderte. Das nächste Mal, als die Düsen zündeten, liefen sie länger als fünf Minuten. Thorpe fühlte ein schwaches Ziehen, als er in die gepolsterte Oberfläche seiner Beschleunigungsliege einsank.
Am Scheitelpunkt der Wölbung erschien eine Fluganzeige, die die langsam wachsende Entfernung zwischen dem Frachter und dem Kraftwerk sowie ihre zunehmende Geschwindigkeit angab. Als ihre Geschwindigkeit relativ zum Sierra-Skies-Kraftwerk auf 500 km/h gestiegen war, schaltete Kapitän Olafson die Manövrierdüsen ab.
»Letzte Kontrolle. Mr. Rodriguez, machen Sie die Durchsage.«
»Achtung, an alle! Bereithalten zur letzten Bereitschaftskontrolle.«
Plötzlich gab die Kuppel nicht mehr länger die Umgebung wieder. An der Decke erschienen ein Dutzend verschiedene Innenansichten. Sie stammten von Kameras, die in den einzelnen Passagierkabinen angebracht waren. Die Anfangsbeschleunigung des Frachters würde weniger als ein Viertel der Normalschwerkraft betragen, doch die Erfahrung hatte Kapitän Olafson Vorsicht gelehrt. Es hatten sich schon Leute das Genick gebrochen, die vom Einsetzen der Beschleunigung unvorbereitet überrascht worden waren.
Sie ging rasch die Passagierliste durch und fragte jeden, ob er oder sie raumklar sei. Die meisten Bildausschnitte zeigten die Passagiere und Crewmitglieder der Admiral Farragut festgeschnallt in ihren Kojen. Erst als sie ihre Aufmerksamkeit der Kabine der Barnards zuwandte, fiel ihr auf, dass die Schiffsärztin nicht an ihrem zugewiesenen Platz war.
»Wo ist Ihre Frau, Professor Barnard?«
»Sie ist auf der Krankenstation und sortiert ihre Medikamente«, antwortete der lunarische Professor.
Karin Olafson schaltete auf die Krankenstation um. Sie fand Cybil Barnard sitzend vor, einen Fuß unter ein Regal gezwängt und munter mit dem Sortieren der medizinischen Vorräte beschäftigt.
»Wir sind fertig zum Start, Doktor!«
Die Schiffsärztin fuhr auf und sah rasch zu der Stelle hoch, von der das Aufnahmelämpchen der Kamera wie ein unheilverkündendes rotes Auge auf sie herunterblickte. »Sie sollten einen warnen, bevor Sie das tun, Kapitän.«
»Warum sind Sie nicht in Ihrer Kabine?«
»Ich habe hier zu arbeiten.«
»Sie haben sich für raumtüchtig erklärt, bevor wir vom Kraftwerk abgelegt haben. War das unzutreffend?«
»Nein, aber ich muss ein paar Sachen ordnen.«
»Wann werden Sie so weit sein, mit der Kälteschlafprozedur zu beginnen?«
»Sobald Sie die Lage stabilisiert haben, Kapitän. Je mehr wir in die Tanks bekommen, solange wir mit Antrieb fliegen, desto besser.«
»Sehr schön. Es geht nicht an, dass unser Bordarzt sich beim Start womöglich ein Bein bricht. Gehen Sie bitte deshalb in Ihre Kabine und schnallen sich fest.«
»Ja, sobald ich die Sachen hier verstaut habe.«
»Jetzt, Doktor! Das ist ein Befehl.«
Die kecke Blondine im weißen Overall schluckte und errötete ein wenig. »Zu Befehl, Kapitän. Ich bin in zwei Minuten angeschnallt.«
Der Kapitän fuhr mit der Überprüfung der Passagiere und der Crew fort. Als der Rest der achtzehn Männer und Frauen an Bord sich gemeldet hatte, begann sie eine methodische Überprüfung des Frachtmoduls. Hoch auf den Schotts montierte Kameras starrten auf die Ausrüstung der Expedition hinab. Alles schien in Ordnung zu sein.
Die visuelle Inspektion wurde im Antriebsmodul fortgesetzt. Außer bei einem Notfall würde während der Reise niemand das Modul betreten; dennoch ließ Kapitän Olafson den Blick durch die Räume schweifen und suchte nach losen Geräten, die möglicherweise von achtlosen Arbeitern zurückgelassen worden waren. Als Nächstes überprüfte sie die achtzehn kugelförmigen Wasserstofftanks des Schiffes. Hätte irgendeiner der Tanks geleckt, würde der Computer bereits Alarm geschlagen haben. Dennoch nahm sie die Gelegenheit wahr, um nach Andeutungen von austretendem Dampf zu suchen. Erst nach dieser visuellen Inspektion befahl sie dem Computer, den Zustand des Schiffes zu prüfen.
»Alle Anzeigen grün, Kapitän«, meldete Rodriguez.
»Sehr schön. Mr. Thorpe, habe ich die Erlaubnis zum Start?«
»Erlaubnis erteilt.«
»Bereitmachen zum Start. Alle Druckschotts schließen. Magnetfeld der Schubkammer auf volle Stärke bringen. Reaktionsmasse und Antimaterie-Injektion vorbereiten. Zwei-Minuten-Warnung, Mr. Rodriguez.«
»An alle. Längere Beschleunigung beginnt in zwei Minuten. Ich wiederhole. Beschleunigung mit einem Viertel g in zwei Minuten! Allgemeine Bereitschaft.«