Die Passagiere und die Crew würden während des Durchflugs gut abgeschirmt, wenn auch ein wenig beengt sein. Doch die empfindlichen Elektronikelemente des Schiffes waren völlig ungeschützt. Sie würden die Strahlung aushalten müssen – und nicht nur einmal.
Der Einsatzplan sah für die Admiral Farragut dreimaliges Eintauchen in die Strahlungsgürtel des Jupiter vor. Der erste Sturm würde bei der Ansteuerung von Callisto über sie hereinbrechen, der zweite, wenn sie den Mond auf seinem Flug durch die Nachthemisphäre begleiteten; der dritte, wenn sie das System mit dem Kometen zusammen verließen. Die Schiffe, die normalerweise das Jupitersystem anflogen, waren speziell für die Abschirmung derart hoher Strahlendosen konstruiert. Karin Olafsons Schiff jedoch nicht.
»Laserbotschaft von Callisto«, sagte Rodriguez neben ihr. Sie beide hielten sich im Moment allein im Kontrollraum auf.
»Legen Sie sie rüber.«
Die Nachricht umfasste eine Aktualisierung der lokalen Messdaten und einen Vorschlag zur Ansteuerung, der die Strahlenbelastung geringfügig senken würde. Da die Zeitverzögerung zwischen Schiff und Station jeweils sechsundsechzig Sekunden betrug, erwartete sie kein zweiseitiges Gespräch mit jemandem auf dem Boden. Alles über fünfzehn Sekunden war so lästig, dass man Unterhaltungen vermied. Dennoch machte sie sich die Mühe, eine lange Nachricht aufzuzeichnen, mit der sie der Stationsbesatzung für ihre Mühen dankte. Sie führten ein einsames Leben dort, und von ein wenig Liebenswürdigkeit konnte man hier in der großen Leere sehr lange zehren.
14
Tom Thorpe schwebte vor dem Bullauge und starrte auf die kraterübersäte Oberfläche von Callisto hinab. Die Admiral Farragut befand sich in einer äquatorialen Umlaufbahn in lediglich fünfzig Kilometern Höhe über Jupiters achtem Mond. Genau unter ihr lag das große ringumschlossene Asgard-Becken mit seinen konzentrischen Eisriffeln, wo einst ein Asteroid die dicke Kruste durchschlagen hatte. Der Krater hatte sich mit Wasser gefüllt, das rasch gefroren war und die Wunde verschlossen hatte. Trotz seiner auffallenden Erscheinung war Asgard ein Phantomkrater und vom Orbit deutlicher zu erkennen als vom Boden aus, ein ebenes Gebiet in einer von Aufschlagkratern bedeckten Welt. Ein noch größerer Asteroid war bei Walhalla eingeschlagen, 3500 Kilometer im Südwesten. Das Walhalla-Becken lag dort, wo sich auch die Forschungsstation Callisto befand. Thorpe starrte auf den Krater hinab, ohne ihn recht zu sehen, und dachte an all das, was sich während der vergangenen zehn Tage ereignet hatte.
Die Admiral Farragut war ihrer abgeflachten hyperbolischen Umlaufbahn bis in eine Million Kilometer Entfernung vom Jupiter gefolgt, ehe Kapitän Olafson den Antrieb gezündet hatte. Nach so vielen Monaten war das abrupte Wiedereinsetzen der Schwerkraft ein Schock gewesen. Der Antrieb hatte kaum zwei Stunden lang gedonnert, als er wieder verstummte. In dem Moment, als die Schwerelosigkeit erneut einsetzte, hatte der Frachter seinen Namen in die Liste der upitersatelliten eingereiht.
Das Schiff hatte drei Tage gebraucht, sich vom Jupiter emporzuarbeiten und Callisto in einer Höhe von 1,8 Millionen Kilometern einzuholen. Die Hälfte der Zeit über waren sie alle im Sturmbunker zusammengepfercht gewesen. Kapitän Olafson war die ganze Zeit, die sie im Strahlungsgürtel gewesen waren, an ihrem Platz geblieben. Wie alle anderen auch, bemerkte Thorpe ihren besorgten Blick und hoffte, dass er lediglich von professioneller Sorgfalt herrührte.
Endlich hatten sie in die Außendecks zurückkehren dürfen, und alle hatten sich um die Sichtluken gedrängt. Thorpe würde den Anblick des sichelförmigen Ganymed, der sich als Silhouette von der dunklen Nachtseite des Jupiters abhob, nie vergessen.
Anschließend hatte Kapitän Olafson Anweisung gegeben, die letzten tiefschlafenden Expeditionsteilnehmer aufzuwecken. Die sieben in den Kältetanks würden enttäuscht sein, den Einflug ins Jupitersystem verpasst zu haben. Doch da der Komet Hastings in zwölf Tagen sichtbar werden würde, konnte ihre Enttäuschung nicht von langer Dauer sein.
Das Asgard-Becken verschwand außer Sicht. Wenige Minuten darauf wurde der Rand von Walhalla auf der zernarbten Oberfläche sichtbar. Thorpes Beobachtungen wurden von einem Summton gestört. Widerwillig wandte er sich von der Luke ab, um das Gespräch am InterKom entgegenzunehmen. »Hier Thorpe.«
»Wir sind nach unten in die Forschungsstation eingeladen worden, Mr. Thorpe«, sagte Kapitän Olafsons Stimme. »Sie wollen die Nachbetankung besprechen und die Kometenbeobachtung während der nahen Begegnung koordinieren.«
»Sorgen sie für die Beförderung?«
»Natürlich.«
Thorpe nickte. Die Admiral Farragut führte im Frachtraum zwei MoonJumper mit sich, aber auf Callisto würden sie wertlos sein. Ihre Rückstoßsysteme verfügten nicht über die nötige Leistung, um auf diesem großen Mond zu landen.
»Haben Sie die Versorgungsgüter klargemacht?«
»Rodriguez und Schmidt sind gerade dabei.«
Die Admiral Farragut neu zu betanken würde die Forschungsstation vor gewaltige Schwierigkeiten stellen. Acht Millionen Kilogramm Wasserstoff waren nicht leicht zu transportieren. Und wenn die Station für ihre Dienste auch ordentlich bezahlt werden würde, so hatte Halver Smith doch die Mitnahme von Delikatessen vorgeschlagen, um sich ihres Enthusiasmus zu versichern. Die ›Versorgungsgüter‹ bestanden aus mehreren Frachtcontainern, die in der Art von weihnachtlichen Fresspaketen bestückt waren.
»Wie lange noch bis zum Eintreffen ihres Schiffs?«
»Sie starten, sobald wir bei dieser Umrundung Walhalla überfliegen, und koppeln zwei Stunden später an. Dann bleibt uns eine halbe Stunde für das erste Landefenster. Sie schicken eine ihrer Hilfsfähren, also werden beim ersten Flug nur drei von uns Platz haben. Haben Sie einen Vorschlag, wer das dritte Mitglied der Landungsgruppe sein könnte?«
Thorpe hatte eine klare Vorstellung davon, wen er gerne dabei gehabt hätte. Es zu sagen hätte jedoch seine Vereinbarung mit Amber verletzt. Er antwortete betont gleichgültig: »Ich denke, wir nehmen am besten jemand vom astronomischen Fach. Professor Barnard ist der Mann der Wahl.«
»Ist verhindert. Er hilft seiner Frau beim Dekantieren. Es müsste schon Amber sein.«
»Gut«, erwiderte er und hoffte, dass seine Stimme seinen Versuch von Machiavellismus nicht verriet.
Am anderen Ende des InterKoms herrschte ein kurzes Schweigen; dies ließ Thorpe erkennen, dass Kapitän Olafson seinen kleinen Trick wohl mühelos durchschaute. »Sehr schön, Mr. Thorpe. Ich treffe Sie in zwei Stunden in Schleuse Eins. Ich kümmere mich darum, dass Miss Hastings benachrichtigt wird.«
Das Schiff, das zu ihnen hochkam, war weniger ein Raumschiff als eine Ansammlung von Komponenten, die an einem Stützrahmen entlang aufgereiht waren. Am Bug befand sich eine Kabine, die kaum groß genug für den mit Raumanzug bekleideten Piloten war. Sie erinnerte Thorpe an die bei einigen der frühen Helikoptermodelle verwendeten Ballons. Hinter der Kabine saßen drei Beschleunigungsliegen auf dem Träger. Es war keinerlei Anstrengung unternommen worden, sie zu verkleiden; die Passagiere waren dem offenen Raum ausgesetzt. Hinter den Passagiersitzen befand sich ein Querträger, an dem die Ladung befestigt werden konnte. Schließlich waren noch sechs zylindrische Brennstofftanks, ein Antimaterie-Toroid und eine magnetisch abgeschirmte Mischkammer am hinteren Ende des Rahmens befestigt.