»Zu meinem Zimmer, um mich für das Bankett frisch zu machen.«
»Was dagegen, wenn ich Sie begleite?«
»Überhaupt nicht. Was haben Sie auf dem Herzen?«
»All dieses Eis zu sehen – nun, das hat mich zum Nachdenken gebracht.«
»Worüber?«
»Ich frage mich, warum sich SierraCorp für den Kometen Hastings interessiert.«
Amber lachte, und Atemdampf umwirbelte sie wie Rauch. »Aus dem gleichen Grund, warum sich Luna dafür interessiert! Sie wollen das Eis abbauen und ein Vermögen machen.«
»Aber wenn der Eisabbau ihr Ziel ist, warum dann nicht Callisto? Ich habe mich bei Direktor Kaffin erkundigt. Er meint, sie wären glücklich, wenn hier jemand eine geschäftliche Unternehmung starten würde. Die Zahl der jährlich eintreffenden Schiffe würde sich dadurch verdreifachen, und die Betriebskosten der Station würden sinken.«
Amber hielt inne und wandte sich Malvan zu. »Der Abbau auf Callisto wurde schon einmal versucht. Die Wirtschaftlichkeit stand dagegen.«
»Genau!«, erwiderte Malvan. »Also was macht den Kometen Hastings dann attraktiver? Die Entfernung kann es nicht sein. Sie sagen selbst, dass sich die resultierende Umlaufbahn bis hinter den Jupiter erstrecken wird. Also, warum nicht stattdessen Callisto?«
»Sie können Luna die gleiche Frage stellen. Warum wollen wir ihn?«
»Wir wollen ihn, weil sie ihn wollen. Jedermann weiß, dass Halver Smith ein Experte ist. Wenn er glaubt, dass es sich auszahlen wird, dann wird wohl etwas daran sein.«
Sie nickte. »Tom meinte, sie hätten irgendeine preiswerte Methode, die Fracht in Transferorbits zu bekommen.«
»Was für eine Methode? Hat sie Ihnen irgendjemand erklärt?«
»Nein, es ist ein Betriebsgeheimnis.«
»Warum? Sobald sie einmal angewendet wurde, wird jedermann wissen, wie es funktioniert. Warum die Geheimniskrämerei?«
»Sie haben sich offensichtlich schon Gedanken darüber gemacht. Sagen Sie mir Ihre Meinung.«
»Ich glaube, sie beabsichtigen, den Kometen einzufangen und in eine Umlaufbahn um die Erde zu bringen.«
»Unmöglich! Das verdammte Ding hat eine Masse von sechzig Billiarden Tonnen. Um es in einen Erdorbit zu bringen, bräuchte man die ganze von der Menschheit bislang produzierte Energie – und noch etwas mehr.«
»Nicht wenn sie vorhaben, ein kleines Stück abzuschneiden und in eine Umlaufbahn zu bringen, während sie der Republik den nutzlosen Rest überlassen.«
»Das können sie nicht tun. Es würde den Vereinbarungen widersprechen.«
»Warum? Wir haben vereinbart, den Kern in gleiche Teile aufzuteilen. Sie nehmen sich ein Prozent, und wir behalten neunundneunzig Prozent. Welches Gericht würde sie wegen ihrer Großzügigkeit verurteilen?«
»Dann schneiden wir ebenfalls ein Stück ab«, sagte Amber, »und bringen es in einen Erdorbit.«
»Klar, sobald der Komet das nächste Mal wieder ins innere Sonnensystem kommt. Wie lange wird das dauern?«
»Sieben Jahre.«
»In der Zwischenzeit besitzt Halver Smith das Monopol auf die Eisproduktion und verlangt dafür so viel, wie es ihm gerade passt.«
»Besitzen Sie irgendwelche Beweise, dass dies wirklich das ist, was die vorhaben?«, fragte Amber.
»Nein. Das ist nur so ein Szenario im Moment. Mit Ihrer Hilfe könnte es mir gelingen, es zu beweisen.«
»Ich spioniere nicht für Sie!«
»Ich verlange nicht von Ihnen, dass Sie spionieren. Ich bitte Sie, Ihre Augen offen zu halten. Sollten Sie irgendetwas über die den Kometenkern betreffenden Pläne der Sierra Corporation zu hören bekommen, würde ich Sie bitten, es mir mitzuteilen.«
»Warum sollte ich?«
»Weil Sie eine patriotisch gesinnte Lunarierin sind und ich der offizielle Vertreter Ihrer Regierung bin. Denken Sie darüber nach. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden, ich habe jemandem vom Stationspersonal versprochen, an ihrem Bridgeturnier teilzunehmen.«
Mit diesen Worten wandte er sich ab und ging davon. Amber blickte ihm nach. Als sie ihre Besprechung mit Rajapur und seinen Kollegen beendet hatte, war sie müde gewesen, aber glücklich. Jetzt war sie erschrocken. Trotz der Warnungen, die Thorpe zu Anfang ausgesprochen hatte, begann die Politik ihr hässliches Haupt zu erheben.
»Da ist sie, Mr. Thorpe. Halten Sie sich mit der Treibstoffleitung bereit!«
Thorpe klemmte in der Lücke zwischen zwei Wasserstofftanks der Admiral Farragut und fühlte sich wie eine Fliege, die auf einem Billardtisch festsaß. Er spähte Richtung Jupiter in den Raum hinaus, mit der immer noch riesigen halben Scheibe von Callisto zu seiner Linken. In weiter Entfernung, genau über dem rötlichen Rand des Planeten, konnte er den Zylinder sehen, auf den sie es abgesehen hatten. Wie Jarrod Whitehead vorhergesagt hatte, lief er mit einem Ende zum Planeten um, durch die Gezeitenkräfte des Jupiter in dieser Lage fixiert. Kapitän Olafson nutzte die Gezeitenkräfte ebenfalls aus. Während die Admiral Farragut langsam zu dem eisigen Treibstofftank aufschloss, zeigte der Schiffsbug genau auf das Zentrum Jupiters hinunter.
»Uh-oh«, brummte Thorpe und wünschte, er könnte sich seine brennenden Augen im Innern des Helmes reiben. »Der hier hat aber noch ein bisschen Spin!«
Beim Zusehen veränderte das schwarze Streifenmuster am einen Ende des Zylinders langsam seine Position. Thorpe aktivierte mit dem Kinn die Stoppuhr in seinem Helm und wartete, bis das gleiche Muster wieder zu sehen war.
»Ich komme auf eins Komma fünf Umdrehungen pro Minute, Emilio.«
»Ich ebenfalls, Mr. Thorpe«, sagte Rodriguez. »Irgendwelche Vorschläge?«
»Diesen hier gehen wir von oben an.« Thorpe meldete seine Entdeckung an Kapitän Olafson weiter.
»Es ist zu riskant«, entschied sie. »Sie werden den Tankschlauch verheddern. Kommen Sie zurück, und wir geben diesen hier auf.«
»Wir wollen nichts überstürzen«, erwiderte Thorpe. »Das ist der letzte aus der zweiten Partie. Es ist ja nicht so, dass wir noch einen anderen Kandidaten greifbar hätten. Warum nicht die Annäherung vollenden und uns die Zeit nehmen, die Lage anzusehen?«
»Ich möchte kein unnötiges Risiko eingehen.«
»Einverstanden, Captain. Aber angucken tut nicht weh.«
»Also gut. Sind Sie beide angeseilt dort draußen?«
»Angeseilt«, antworteten sie unisono.
»Sehr schön. Halten Sie Abstand von den Düsen.«
Das Lodern der Steuerdüsen war das Signal für die letzte Phase der Annäherung an den Zylinder. Bis jetzt waren sie gezwungen gewesen, zwei der freifliegenden Tanks aufzugeben. Der eine hatte unkontrollierte Trudelbewegungen ausgeführt, der zweite war beim Start aufgesprungen. Thorpe wollte keinen dritten aufgeben, wenn es nicht absolut notwendig war.
Der Kapitän brachte das Heck des Schiffes ungefähr fünfzig Meter von dem Quader entfernt zum Halten. Als er von seinem Sitz aus hinabblickte, konnte Thorpe das bronzefarbene Öffnungsventil sehen, das ihr Ziel war. Das Ventil rotierte langsam, entsprechend der Drehung des Zylinders um seine eigene Achse. Wenn sie sich einklinkten, dann würde die Rotation den Tankschlauch innerhalb weniger Minuten verknoten.
»Wie wäre es, wenn wir das Schiff in Rotation versetzen würden, Mr. Thorpe?«, fragte Rodriguez. »Wir könnten unser Heck nach der Zylinderachse ausrichten und uns seiner Rotationsrate anpassen. Dann können wir uns einklinken, ohne den Schlauch zu verdrillen.«
»Was ist mit der Schlaufe?«, fragte Thorpe. Wie lose sie den Schlauch auch halten mochten, er würde durchhängen. Das würde kein Problem darstellen, solange der Schlauch leer war, doch sobald er sich mit Wasserstoff füllte, würde die schwingende Masse sowohl das Schiff wie auch den Zylinder ins Trudeln bringen. Schlimmstenfalls würden sie miteinander kollidieren.
»Legen Sie eine Sicherheitsleine rüber und lassen Sie sie vom Kapitän mit den Düsen strammziehen. Wir können den Tankschlauch daranhängen und so am Durchhängen hindern.«