Hinter ihm schwoll der Partylärm plötzlich an. Als Smith sich umdrehte, entdeckte er vor der hellen Tür die Silhouette einer Frau. Sie hatten beide zusammen das College besucht. Es war Anna gewesen, die ihn mit Victoria bekanntgemacht hatte, die später seine Frau geworden war. Sie hatten alle drei mehrere Male zusammen auf der Sierra Seas gesegelt, und Anna hatte Victoria häufig Gesellschaft geleistet, wenn Smith geschäftlich unterwegs war. Nach Victorias Tod hatte sie ihm geholfen, die Scherben seines Lebens wiederaufzusammeln.
»Da bist du ja!«, rief sie aus, als sie ihn am entfernten Ende des Balkons entdeckt hatte. »Ich habe überall nach dir gesucht. Bist du allein?«
»Wen hast du denn bei mir erwartet?«
»Also komm, Hal! Ich hab doch eben noch diese Blondine an deinem Arm hängen sehen. Es ist allgemein bekannt, dass Männer deines Alters und in deiner gesellschaftlichen Position eine gewisse … Verwundbarkeit besitzen, oder wie sagt man?«
»Warst du deshalb so vorsichtig? Du dachtest, ich wäre hier mit so einem jungen Ding zugange?«
Anna lachte. »Ich hätte es nicht so drastisch formuliert, aber ja! Es wäre auch ein ermutigendes Zeichen gewesen. Du arbeitest zu viel! Du denkst an nichts anderes mehr als an diesen verdammten Asteroiden. Wenn dir eine kleine Affäre helfen würde, dich zu entspannen, dann bin ich ausgesprochen dafür.«
»Wenn mir der nächste Antrag gemacht wird, werde ich mich daran erinnern. Bist du herausgekommen, nur um mir einen Vortrag über mein Liebesleben zu halten?«
»Eigentlich nicht«, sagte sie und schauderte. »Es gab eine ganze Reihe von Gründen. Der erste ist, dass du mir von Weihnachten immer noch einen Kuss schuldig bist.«
»Du mir ebenfalls. Und der zweite?«
»Dein Butler Jarmon sucht nach dir.«
»Ist uns der Champagner ausgegangen?« Diese Frage war rhetorisch. Halver Smiths Weinkeller war auf drei Kontinenten berühmt.
Sie schüttelte den Kopf. »Die Kommunikationsüberwachung von der Zentrale hat angerufen. Man hat für dich eine Nachricht aus dem Raum.«
»Vom Felsen?«
Anna zuckte mit den Achseln. »Du weißt doch, dass ich einen Planeten nicht vom anderen unterscheiden kann. Jarmon machte einen aufgeregten Eindruck. Er meinte, die Nachricht sei in deinem Privatcode. Er durchsucht die andere Seite vom Haus. Mir ist eingefallen, dass du in diese Richtung gegangen bist, da dachte ich mir, ich sag dir Bescheid.«
»Danke. Es ist bestimmt der Manager vom Felsen, der sich wieder über den Wirtschaftsprüfer beschwert. Die beiden gehen schon seit Monaten aufeinander los. Du entschuldigst mich doch, nicht wahr?«
»Nicht, bevor ich meinen Kuss bekommen habe.«
»Richtig«, sagte er grinsend. Er schloss sie in die Arme, und für ein paar Augenblicke waren sie wieder zwanzig. Nach einer langen Weile brach er den Kuss ab. »Tut mir leid, aber ich glaube, ich sollte mal nachschauen, was los ist.«
»Du kommst doch wieder zur Party zurück, oder?«
»Wenn ich kann.« Er nahm Anna beim Arm und geleitete sie zurück nach drinnen.
Der Hausherr brauchte fünf Minuten, um seinen Butler inmitten des Gewühls der Partygäste ausfindig zu machen. Schließlich entdeckte er Jarmon im hinteren Schlafzimmer, wo ein nachtlanges Pokerspiel im Gange war.
»Sie haben eine Nachricht für mich, Jarmon?«
»Ja, Sir. Der Diensthabende am Komm hat eine lange, codierte Mitteilung herübergeschickt. Die Authentizitätsprüfung lässt vermuten, dass es sich um einen Ihrer Privatcodes handelt.«
»Wer hat sie geschickt?«
»Mr. Thorpe von der Admiral Farragut, Sir.«
Halver Smiths Augenbrauen hoben sich vor Überraschung. Während der acht Monate seit Beginn der Expedition hatte Thorpe sich nicht direkt an ihn wenden müssen. Dass er es jetzt tun musste, konnte nur Ärger bedeuten. Mit dem Schiff musste etwas nicht in Ordnung sein.
»Wo ist die Nachricht jetzt?«
»In Ihrer Privatdatei im Haushaltscomputer, Sir. Wo möchten Sie sie entgegennehmen?«
»In meinem Arbeitszimmer, denke ich. Vertreiben Sie jeden, den Sie dort antreffen. Erledigen Sie das in aller Ruhe. Jedes Gerücht, das heute Abend aufkommt, könnte morgen unseren Aktienkurs in Schwierigkeiten bringen.«
»Ich kümmere mich darum, Sir.«
Smith wanderte fünf Minuten lang durch das Gedränge, scherzte mit seinen Angestellten, Freunden und Nachbarn. Nach Ablauf dieser Frist suchte ihn Jarmon auf und gab lautstark bekannt, dass ein alter Freund am Telefon sei, der ihm ein glückliches neues Jahr wünschen wolle. Smith entschuldigte sich und folgte dem Butler in sein Arbeitszimmer.
»Gut gemacht. Irgendwelche Probleme?«
»Nein, Sir. Das Zimmer war leer. Ich habe mir erlaubt, den Abhörschutz auf Standby zu schalten und die Gardinen vorzuziehen.«
»Danke. Sie können sich wieder Ihren Aufgaben widmen. Falls Sie jemand fragt, erzählen Sie ihm die Geschichte vom Freund am Telefon.«
»Ja, Sir.«
Sobald Jarmon die Tür geschlossen hatte, betätigte Smith einen Schalter, damit der Raum abgeschirmt wurde. Im gleichen Moment drang ein schwaches Summen aus den Wänden und der Decke und sorgte dafür, dass jede Lauschvorrichtung nichts als weißes Rauschen wiedergeben würde.
Er nahm vor seinem Terminal Platz und öffnete seine Privatdatei. Tatsächlich befand sich am Anfang der Liste eine Nachricht von Thorpe. Smith überflog das Datenprotokoll und stellte fest, dass die Nachricht in zwei Teilen übermittelt worden war. Der erste Teil war in Textformat, der zweite und größere in Binärcode. Wie Jarmon angedeutet hatte, ergab die Authentizitätsprüfung, dass die Nachricht mit einem von Smiths privaten Codes entschlüsselt werden musste.
Mit dem letzten Tastenanschlag klärte sich der Bildschirm. Die Nachricht schien ein sachlicher Bericht über die Orbitalparameter des Kometen zu sein. Smith überflog ihn rasch, begierig herauszufinden, was Thorpe für so dringlich erachtete, dass er seinen Boss damit behelligen musste. Er gelangte bis ans Ende des zweiten Absatzes:
… FOLGT AUS DIESER ANALYSE, DASS DER KOMETENKERN AM 17. JULI 2087 UM 20:12:16 UHR MIT DER ERDE KOLLIDIEREN WIRD. EIN SOLCHER ZUSAMMENSTOSS WIRD MIT SICHERHEIT JEGLICHES LEBEN AUF DER ERDE VERNICHTEN.
Smith hielt an, blinzelte und kehrte zum Anfang zurück. Er las den Bericht ein zweites Mal langsam durch, wobei er seine Augen eher von Wort zu Wort als in seinem normalen schnellen Tempo den Bildschirm hinunterscrollen ließ. Seit Verlassen der Grundschule hatte er nicht mehr so langsam gelesen. Er konnte nicht anders. Er stolperte in einem fort über unglaubliche Aussagen, die in einem trockenen, sachlichen Stil gehalten waren.
… GESCHWINDIGKEIT UND POSITION BIS AUF SECHS DEZIMALSTELLEN GENAU … SECHZIG BILLIARDEN TONNEN … UFPRALLGESCHWINDIGKEIT ZEHN KILOMETER PRO SEKUNDE RELATIV ZUR ERDE … STREIFT DIE ERDE NAHE DEM TERMINATOR … VERHALTEN NACH DEM ZUSAMMENSTOSS UNBEKANNT – ANNAHMEN SOLLTEN VON EXPERTEN ÜBERPRÜFT WERDEN …
Als seine Handflächen plötzlich schweißnass wurden, wandte Smith einen Trick an, den er auf dem College gelernt hatte. Er zwang sich zu völligem Einverstandensein und brachte die innere Stimme zum Verstummen, die in einem fort schrie, dass es so nicht sein könne. Durch die Willensanstrengung nahmen seine Gedanken eine traumartige Qualität an. Es war beinahe so, als läse jemand anderer Thorpes Schreckensbotschaft. Erst als er am Ende des Berichts angekommen war, lehnte er sich zurück, um über das nachzudenken, was, wenn es denn wahr war, mit Sicherheit den Tod der Erde bedeutete. Nach einer unbestimmten Zeit stellte er seinen Blick wieder scharf ein und überflog die zahlreichen Anhänge des Berichts. Die meisten enthielten technische Erläuterungen.