Einige Sekunden nachdem er den binären Zusatz geladen hatte, erschien auf dem Monitor eine schematische Darstellung des Sonnensystems. Zusätzlich zu den Umlaufbahnen der Planeten bis zum Jupiter zeigte das Diagramm eine lange Ellipse mit einem winzigen Kometensymbol, das sich langsam in Richtung Sonne bewegte. In etwas mehr als einer Minute flog der Komet vom Rand des Systems herein, umrundete die Sonne und begann sich wieder inauszubewegen. Das blauweiße Symbol der Erde bewegte sich so, als ob sie ihm den Weg abschneiden wollte.
Das Bild wechselte zu einer Großdarstellung von Erde und Mond.
Smith beobachtete, wie der Komet langsam auf Luna zuglitt. Sie verfehlten sich um weniger als einen Monddurchmesser.
Der Komet näherte sich der Erde von hinten unten in einem Winkel von etwa dreißig Grad. Während der Schweif über den Planeten hinwegstrich, bewegte sich der den Kern repräsentierende winzige Punkt vor die Erde. Die beiden Symbole erschienen als ein einziges. Das Bild fror ein, mit Ausnahme eines einzigen blinkenden Wortes, das in scharlachroten Buchstaben geschrieben war:
KOLLISION
Halver Smith ließ die Darstellung noch zweimal ablaufen. Das Ergebnis war jedes Mal dasselbe.
Beim Durchlesen der Anhänge des Berichts entdeckte er eine Liste von Empfehlungen, wie die Dinge von diesem Moment an gehandhabt werden sollten. Im Großen und Ganzen handelte es sich um Selbstverständlichkeiten, wenn man mit dem Ende der Welt konfrontiert war: 1) Verschaffen Sie sich eine Bestätigung von unabhängiger Seite, 2) Benachrichtigen Sie ohne Aufsehen die Autoritäten, 3) Vermeiden Sie eine allgemeine Panik und 4) Arbeiten Sie darauf hin, die Katastrophe abzuwenden. Am Ende der Seite war eine kurze Notiz in Tom Thorpes Handschrift:
Mr. Smith, gleicher Bericht und Empfehlungen unterwegs an Premierminister Hobart, Republik Luna.
Tom
Smith runzelte die Stirn. Es wäre ihm lieber gewesen, wenn er der einzige Empfänger dieser Nachricht gewesen wäre – jedenfalls vorerst. Dennoch konnte er dem Lunakontingent der Expedition keinen Vorwurf daraus machen, dass sie ihre eigenen Leute warnten. Die Mondbewohner waren von dem, was mit der Erde geschah, ebenso betroffen wie der durchschnittliche Erdbewohner. Schließlich waren sie in vielen Dingen ihres täglichen Bedarfs von ihrer Mutterwelt abhängig.
So wie Halver Smith befand sich auch John Hobart in einem schockartigen Zustand, nachdem er die apokalyptische Botschaft entschlüsselt hatte. Da auf Luna Weltzeit galt, war dort bereits Neujahr. Wie Smith, so hatte auch er die Nachricht bei sich zu Hause entschlüsselt und dann die grauenhaften Worte auf seinem Monitor aufmarschieren sehen. Dann hatte er die Grafik geladen, die den Zusammenstoß des Kometen mit der Erde darstellte. Er hatte die Kollision zehnmal mitangesehen, als sein Bildschirm mit einem Piepston um seine Aufmerksamkeit bat.
»Entschuldigung, Herr Premierminister«, sagte die diensttuende Frau am Komm der Regierung, sobald sie sein Gesicht auf dem Bildschirm sah. »Halver Smith ist in der Leitung, von der Erde. Er behauptet, er müsse Sie unbedingt sprechen. Er wird als VIP geführt, deshalb dachte ich, ich leite das besser weiter.«
Hobart zwinkerte überrascht. Die Nachricht von Malvan hatte erwähnt, dass eine Kopie des Berichts an den Vorsitzenden der Sierra Corporation auf der Erde geschickt wurde.
»In Ordnung. Stellen Sie ihn durch. Außerdem möchte ich, dass diese Leitung abgeschirmt wird.«
Das Bild wechselte, und aus dem Monitor heraus starrte ihn Smith an. Das runde Gesicht des terrestrischen Magnaten wurde durch die verzerrende Aufnahmeoptik der Kamera betont. Smiths Gesichtszüge schienen erstarrt, als befände er sich in Trance – ein Effekt, der durch die Zeitverzögerung von drei Sekunden zwischen Mond, Erde und zurück hervorgerufen wurde. Endlich zeigte sich das Erkennen in seinen Augen, und er begann zu sprechen.
»Guten Morgen, Bürger Hobart.«
»Hallo, Mr. Smith. Von wo aus rufen Sie an?«
»San Francisco.«
»Es muss sehr spät bei Ihnen sein.«
»Kurz nach Mitternacht«, bestätigte Smith. »Äh, haben Sie eine vertrauliche Mitteilung Ihres Repräsentanten an Bord der Admiral Farragut erhalten?«
»Habe ich. Ich habe sie gerade eben durchgesehen und muss sagen, ich finde das ziemlich niederschmetternd.«
»Mir geht es ebenso. Für wie glaubwürdig halten Sie das?«
»Ich bin mir nicht sicher.« Ihm fiel auf, dass Smith jede direkte Erwähnung des Gegenstands vermieden hatte. Dieser Umsicht konnte er nur zustimmen. Die Neuigkeiten waren nicht geeignet, sie einem Übertragungsstrahl anzuvertrauen, nicht einmal einem abgeschirmten.
»Ich habe vor, die Angaben überprüfen zu lassen, ehe ich weitere Schritte unternehme«, fuhr Smith fort. »Ich kenne jemanden an der Universität von Kalifornien, bei dem man sich darauf verlassen kann, dass er das Geheimnis für sich behält.«
»Was mich betrifft, so plane ich, den Direktor des Farside-Observatoriums einzubeziehen. Er wird ebenfalls auf strikte Geheimhaltung eingeschworen. Irgendwelche Vorschläge, was man tun könnte, wenn sich die Information als zutreffend erweisen sollte?«
»Kanzler ist Mitglied des Systemrates. Ich dachte mir, ich bitte ihn darum, beim Generalsekretär vorgelassen zu werden. Sind Sie einverstanden?«
»Ich pflichte Ihnen bei, dass der Systemrat die richtige Stelle ist, um anzufangen. Luna behält sich das Recht vor, notfalls selbstständig zu handeln.«
»Was auch für die Erde gelten wird. Aus diesem Grund muss der Rat die Gegenmaßnahmen koordinieren.«
»Ich bin ganz Ihrer Meinung, Sir«, sagte Hobart. »Es könnte allerdings dazu kommen, dass politische Erwägungen bei dieser Krise im Vordergrund stehen werden.«
»Eine gute Möglichkeit, dies zu verhindern, ist, die Sache so lange unter Verschluss zu halten, bis wir die Bestätigung haben, dass ein Problem vorliegt. Ich nehme an, die Rohdaten über den Kometen werden alle im Farside-Observatorium gesammelt.«
»Das ist zutreffend.«
»Es ist wichtig, dass Sie von dort aus nicht weitergereicht werden. Wir wollen schließlich nicht, dass ein unabhängiger Forscher darüber stolpert, ehe wir so weit sind.«
»Wir werden es nicht lange zurückhalten können«, warnte Hobart.
»Das werden wir auch nicht müssen«, erwiderte Smith. »Entweder wir weisen nach, dass es keinen Anlass zur Sorge gibt, andernfalls arrangiere ich ein Treffen mit dem Chefkoordinator des Rates.«
»Wie lange haben Sie vor zu warten?«
»Zehn Tage.«
»In Ordnung«, sagte Hobart. »Ich werde mich bemühen, auf unserer Seite den Deckel auf dem Topf zu lassen. Wenn ich bis in zehn Tagen nichts von Ihnen gehört habe, werde ich gezwungen sein, mit dem, was ich weiß, an die Öffentlichkeit zu gehen.«
»Das ist nur recht und billig.«
Es wurden noch ein paar Sätze gewechselt, dann legte Smith auf, und Hobart starrte auf den leeren Bildschirm. Schließlich seufzte er und rief seine Privatsekretärin zu Hause an.
»Ja, Sir?«, fragte sie, als sie auf dem Monitor erschien.
»Erinnern Sie sich an einen Regierungsbericht vor etwa einem Jahr, Amalthea? Eine Übersicht über Lunas Abhängigkeit von Erdimporten?«
»Ja, Sir.«
»Erinnern Sie sich an den Verfasser?«
»Ich glaube, es war Dr. Jinsai von der Universität. Der Titel war ›Eine Studie über strategische Abhängigkeiten der Lunaren Wirtschaft‹.«
»Holen Sie Jinsai an den Apparat und fragen Sie ihn, ob er mir den Gefallen erweisen würde, mich zu Hause zu besuchen. Heute noch, falls möglich. Könnte sein, dass ich Arbeit für ihn habe.«
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NACHRICHTENMELDUNG:
UNIVERSAL FAX, DEN HAAG, VEREINTES EUROPA – 15. JAN 2086