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»Danke, Nadia«, erwiderte Harold Barnes. »Und wie fühlt sich die First Lady von Luna heute Abend?«

»Immer noch sehr wohl, wenn sie von Leuten ›First Lady‹ genannt wird.«

»Du wirst dich noch dran gewöhnen. Du bist wie geschaffen für den Job. Lass dich bloß nicht von diesen Blutsaugern aus der Verwaltung vereinnahmen. Wenn du etwas tust, dann weil du dich wohl dabei fühlst, und nicht, weil irgendein Protokollbeamter es für angebracht hält.«

»Danke, ich werde daran denken«, sagte sie, während sie Barnes durch die Höhlensimulation des Wohnzimmers führte.

»Wie geht es John? Ich habe ihn seit der Siegesparty in der Wahlnacht nicht mehr gesehen.«

Nadia Hobart biss sich auf die Unterlippe, eine nervöse Geste, die sie sich als Farmerstochter in Kansas angewöhnt hatte. »Ich mache mir Sorgen wegen ihm, Harold. Er arbeitet zu viel. Erst die Wahlen, dann diese Kometengeschichte. Er wird sich innerhalb eines Jahres verausgaben, wenn er nicht ein bisschen kürzer tritt. Du bist sein Freund. Du könntest doch nach der Besprechung mal mit ihm reden.«

»Ich kann’s versuchen. Ich bin mir nicht sicher, ob es etwas nützt. Die Wahrheit ist, Nadia, dass wir alle hart an dieser Machbarkeitsstudie gearbeitet haben, die John in Auftrag gegeben hat. Gott sei Dank ist das meiste geschafft.«

»Was habt ihr herausgefunden?«

Barnes seufzte. »Dass unsere Lage besser ist, als wir alle für möglich gehalten haben. Die Importzölle, die das Parlament in der letzten Dekade verabschiedet hat, haben sich besser ausgewirkt als erwartet. Ich bin überzeugt davon, dass wir ohne die Erde überleben können, aber nur dann, wenn wir uns sofort darauf vorbereiten.«

»Was müsste getan werden?«

»Ja, womit fängt man an? Wir benötigen dringendst Vorräte von Halbfertigprodukten wie Germaniumchips, Impfkristalle, Supraleiter. Wir müssen auch unsere Vorräte an terrestrischen Genotypen aufstocken. Der Nachholbedarf unserer Genbanken beträgt fast dreißig Prozent! Wir haben einen Großteil unserer Steuersoftware niemals aktualisiert, und eine Menge unserer Finanzunterlagen sind in Datenbanken auf der Erde gespeichert.«

»Hast du John diese Dinge schon gesagt?«

»Noch keine Gelegenheit gehabt. Die Bank hat den Bericht heute Nachmittag fertiggestellt.«

»Hallo, Harold!«, dröhnte Hobart. »Was hast du mir noch nicht gesagt?«

»Die Ergebnisse unserer Überlebensstudie.«

»Dazu kommen wir noch. Du kennst meine Gäste, glaube ich.« Trotz seiner herzlichen Art konnte man deutlich sehen, dass Hobart ein erschöpfter Mann war. Er hatte dunkle Ringe unter den Augen, und auf seinem Gesicht hatten sich während des vergangenen Monats ganze neue Nester von Sorgenfalten entwickelt.

»Professor Jinsai und ich sehen uns jeden Mittwoch beim Mittagessen in der Handelskammer, und Wissenschaftsrat Sturdevant und ich kennen uns natürlich schon seit Jahren. Aber diesen anderen Herrn kenne ich noch nicht.«

»Professor Albert Portero, Astrophysiker an der hiesigen Universität, ich möchte Ihnen Harold Barnes vorstellen, Vizepräsident der Bank von Luna.«

»Professor Portero.«

»Bürger Barnes.«

»Gieß dir einen Drink ein, Harold. Professor Portero war gerade dabei, uns über Tektite zu informieren.«

»Was, beim Frost von Tycho, ist ein Tektit?«

Professor Portero, ein schmalgesichtiger Mann mit einer nervösen Art, seine Hände zu bewegen, sagte: »Ein Tektit ist ein durch die Aufprallhitze beim Einschlag eines Meteors gebildetes Stück Glas, Bürger Barnes. Sie kommen in zahlreichen unterschiedlichen Formen und Größen vor. Die meisten sind mikroskopisch klein, obwohl man schon welche von der Größe eines Zehnselenstücks gefunden hat. Ihr Vorkommen an einer bestimmten Stelle markiert den Landeplatz des Auswurfs, der mit der Bildung eines Meteorkraters einhergeht. Auf der Erde findet man Tektite an bestimmten Orten, die man ›Streufelder‹ nennt. Auf Luna sind die Tektite wegen der niedrigeren Schwerkraft und des Fehlens einer Atmosphäre eher gleichmäßig über die Oberfläche verteilt. Obwohl Tektite im Allgemeinen am gleichen Ort gefunden werden, wo sie entstanden sind, wurden doch eine Reihe von auf der Erde entstandenen Tektiten auf dem Mond entdeckt und umgekehrt.«

»Das heißt«, warf Hobart ein, »dass der Auswurf gelegentlich die terrestrische Fluchtgeschwindigkeit erreicht hat und hier gelandet ist.«

»Richtig«, stimmte Portero ihm zu. »Die meisten erdentstandenen Tektite auf Luna gleichen in ihrer Zusammensetzung denen, die auf den Streufeldern Australasiens gefunden wurden. Dieses spezielle Feld geht auf einen Meteoreinschlag im Pazifischen Becken vor 750.000 Jahren zurück.«

»Inwieweit lässt sich dieser Einschlag mit dem Einschlag des Kometen Hastings vergleichen?«

Porteros Lachen war ein kurzes Bellen. »Das lässt sich nicht vergleichen, Sir. Der Aufschlag des Kometen Hastings wird um mehrere Größenordnungen heftiger sein!«

»Dann müssen wir darauf gefasst sein, dass eine ansehnliche Fontäne von Auswurf in den Raum hochgeschleudert wird?«

»Eine ansehnliche«, stimmte Portero zu. »Und da ein Großteil davon die Orbitalgeschwindigkeit der Erde erreichen wird, können wir damit rechnen, dass auf Luna noch Jahrzehnte nach dem Einschlag Trümmer niedergehen werden. Unsere Simulationen lassen darauf schließen, dass deren Masse möglicherweise mehr als eine Millionen Tonnen betragen wird.«

Von Barnes kam ein leiser Pfiff. »Eine Million Tonnen!«

»Das meiste davon wird mikrometeorischer Staub sein«, erklärte Professor Portero. »Dieser wird keine größere Gefahr für uns bedeuten. Wir müssen jedoch ebenfalls damit rechnen, dass größere Stücke vom Himmel fallen werden. Diese größeren esteinsbrocken werden ausgedehnte Gebiete auf dem Mond verwüsten.«

»Wie ausgedehnt?«

»Das ist ohne genauere Kenntnis der Aufschlagsdynamik schwer zu sagen. Ich würde jedoch die Vorhersage wagen, dass wir mit mehreren neuen Kratern von der Größe des Kopernikus rechnen müssen.«

Im Arbeitszimmer entstand ein plötzliches Schweigen. Der Kopernikus-Krater maß fast hundert Kilometer im Durchmesser. Die Wucht dieses Aufpralls hatte den Auswurf über Hunderte von Kilometern in alle Richtungen verstreut. Allein die Schockwelle würde Millionen von Quadratkilometern verwüsten.

»Wie bald nach dem Zusammenstoß mit der Erde wird es für uns gefährlich?«, fragte der Premierminister.

»Der Auswurf wird achtundvierzig Stunden nach der Zerstörung der Erde einzutreffen beginnen. Die Meteore werden jahrhundertelang herabfallen, es sei denn, dass wir etwas dagegen unternehmen.«

»Was können wir tun?«

»Wir können ein Warnsystem ähnlich wie Sky Watch einrichten«, erwiderte der Astrophysiker. »Wir werden die Bahn der größeren Brocken verfolgen und sie dann in sichere Umlaufbahnen bringen müssen. Ich bezweifle, dass wir sie alle erwischen können, aber zumindest können wir die Gefahr reduzieren.«

»Was ist mit denen, die wir nicht aufhalten können?«

»Ich glaube, wir werden die Bevölkerung verteilen müssen«, antwortete Sturdevant. Alex Sturdevant war seit fast zwanzig Jahren John Hobarts engster Freund und Ratgeber. Seine Stellung in der neuen Regierung war ebenso einflussreich wie nichtamtlich. »Auf diese Weise werden wir nicht alles verlieren, wenn uns ein Stück Erde auf Luna City herunterfällt.«

»Ist das praktikabel, Professor Jinsai?«, fragte Hobart. »Würde unsere Wirtschaft diese Aufsplitterung überstehen?«

Der Professor der Wirtschaftswissenschaften zuckte mit den Achseln. »Haben wir denn eine andere Wahl, Premierminister?«

Die geschrumpfte Sonne stand am schwarzen Himmel, als Amber vorsichtig auf das vor ihr liegende klaffende Loch zuging. Die Sonne stand in ihrem Rücken; sie warf einen schwarzen Schatten vor ihre Füße und hatte den Riss in einen Tintenfleck in der Landschaft verwandelt. Trotz der zahlreichen Spikes an ihren Stiefelsohlen rutschte sie wie ein Schlittschuhfahrer kurz vor dem Verlust der Kontrolle, als sie eine schwache Steigung zu überwinden hatte.