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Sie wusste, dass es nicht mehr darauf ankam, wie rasch die Retter vom Schiff eintreffen würden. Es war bereits zu spät. Wenn man sie ausgrub, würde sie so steifgefroren sein wie der Eisblock, in den sie eingebettet war. Bei der plötzlichen Erkenntnis, dass sie dem Tod entgegensah, begann Amber leise zu schluchzen. Das Geräusch hallte durch ihren Helm, als wollte es sie verspotten.

25

Tom Thorpe verankerte sich am Rand der Spalte und beobachtete, wie MoonJumper Eins in den schwarzen Himmel emporstieg. Die Abgase des Hüpfers erzeugten einen heftigen Wind, der Schauer von Ammoniakschnee aufwirbelte. Der Sturm sank bald zu einem Flüstern herab, als der winzige Flugapparat über dem südlichen Horizont verschwand. Gleich darauf hob der zweite Hüpfer mittels Autopilot ab und schüttelte Thorpe ein weiteres Mal durch, als er seinem entschwundenen Zwilling hinterherraste. Die Einsatzregeln verlangten, dass die Hüpfer als Vorsichtsmaßnahme gegen einen Computerausfall nach Möglichkeit bemannt wurden. Im Moment kam es jedoch entscheidend darauf an, die größtmögliche Zahl von Rettern so schnell wie möglich an Ort und Stelle zu bringen. Den Hüpfer Nummer zwei mittels Automatik zurückfliegen zu lassen, verdoppelte das Transportvolumen und machte das geringe Risiko, das sie eingingen, mehr als wett.

Mit dem Verschwinden der beiden Hüpfer wandte Thorpe seine Aufmerksamkeit wieder der Spalte zu. Er und Schmidt hatten abwechselnd an den beiden Sicherheitsleinen gezerrt, in der Hoffnung, die beiden Verschütteten wieder an die Oberfläche ziehen zu können. Nach einem gewissen anfänglichen Nachgeben hatten sich beide Leinen gestrafft und sich nicht mehr bewegen lassen. Schmidt hatte die Hüpferwinschen einsetzen wollen, doch Thorpe hatte die Idee als zu gefährlich verworfen. Wenn eine Leine risse, bestünde keine Hoffnung mehr, Amber oder Stormgaard in der Lawine ausfindig zu machen. Wenn sie sich beim Graben von den rotgelben Seilen leiten ließen, hatten sie eine Chance. Und selbst wenn die Sicherheitsleinen intakt geblieben wären, gab es keine Garantie dafür, dass dies auch für ihre beiden Freunde gegolten hätte. Stormgaard und Amber durch diese Ansammlung von Eisblöcken zu zerren konnte leicht ihre Anzüge zerreißen oder ihnen das Genick brechen.

Thorpe brachte sein eigenes Halteseil aus und glitt über den Rand der Spalte. Nach zwei Minuten war er unten angelangt und begann hektisch an der Stelle zu graben, wo die beiden Sicherheitsleinen im Eis verschwanden. Bei den Oberflächenarbeiten hatten sie rasch gelernt, dass ein Mann im Gravitationsfeld des Kerns die Arbeit von einem Dutzend tun konnte. Thorpe schlug sich mit Eisbrocken herum, die größer waren als er selbst, und warf sie mit Macht zur Seite. Trotz ihres geringen Gewichts hatten sie freilich ihre ganze Masse und Trägheit, was jedes Mal den Einsatz seiner ganzen Kraft erforderte. Innerhalb von Minuten schwitzte er stark in seinem klammen Raumanzug.

Er arbeitete ohne zu denken, aus Angst, sich auf das einzulassen, was Amber möglicherweise in diesem Moment empfand. Er grub mit der Kraft und der Geschwindigkeit eines Wahnsinnigen, trotz der eingeschränkten Bewegungsfreiheit, die ihm sein Anzug auferlegte. Er war den rotgelben Sicherheitsleinen durch den Eisrutsch gefolgt und hatte ein fast drei Meter tiefes Loch ausgehoben, als er feststellte, dass er seine Finger nicht mehr spürte. Er ignorierte die Taubheit, bis die Schwäche seiner Finger ihn zwang, mit dem Graben innezuhalten.

»Thorpe, sind Sie da unten?«

Der Funkanruf ließ ihn zum Rand der Spalte aufblicken. Die Sonne stand niedrig und gab der Kante das Aussehen eines Feuerflusses in einem ansonsten schwarzen Universum. Dort standen, vom Licht hell beleuchtet, zwei Gestalten in Raumanzügen. Einer von ihnen war John Malvan.

»Ich brauche hier unten Hilfe!«, brüllte er. Bis jetzt war ihm noch gar nicht aufgefallen, wie heftig er atmete.

»Schon unterwegs.« Malvan fiel mit erstaunlicher Geschwindigkeit die Spalte herab. Er benutzte sein Rucksacktriebwerk, um seinen Fall zu beschleunigen und ihn dann wieder abzubremsen. Der Lunarier rutschte über den Eishaufen zu Thorpe hin, der immer noch in der von ihm geschaffenen Vertiefung stand. Malvan, der Exbergmann, nahm die Szenerie mit seinem geübten Blick auf. »Wie ist die Lage?«

Thorpe berichtete rasch, was er entdeckt hatte, dann zeigte er auf die schlaffe Sicherheitsleine, die er aus dem Eis auszugraben versucht hatte. »Ich kann mit meinen Händen nicht weiterarbeiten. Sie werden graben müssen.«

»Das ist Zeitverschwendung. So bekommen wir sie nie heraus.«

»Ich habe keine Zeit zum Diskutieren«, knurrte Thorpe.

Malvan blieb unbeeindruckt. »Ich auch nicht. Das ist nichts für Handarbeit. Wir müssen klüger vorgehen.«

»Was schlagen Sie vor?«

»Wir schicken’s gerade runter.«

Thorpe lehnte sich zurück und schaute nach oben. Mehrere Gegenstände wurden auf den Spaltboden heruntergelassen. Er erkannte einen der Hochdruck-Sauerstofftanks der Expedition und mehrere gerade Rohre.

»Was haben Sie damit vor?«

»Im Kleinen das zu machen, was die Erde mit diesem Asteroiden vorhat.«

»Sie haben doch nicht etwa vor, sie herauszusprengen?«

»Man könnte es so formulieren. Ich werde komprimiertes Gas in die Eismasse injizieren, um sie aufzubrechen.«

Thorpe kletterte aus dem Loch heraus, das er gegraben hatte, während zwei Gestalten in den Spalt herunterschwebten. Er war nicht überrascht, als er in einer von ihnen Kapitän Olafson erkannte, die andere war Cybil Barnard, die Schiffsärztin.

»Wer ist wer?«, fragte Karin Olafson, sobald sie gelandet war. Sie blickte auf die beiden Sicherheitsleinen hinab, die im Eis verschwanden.

»Ich weiß es nicht«, antwortete Thorpe. »Ich hab hier gegraben, weil ich diese Leine als Erste erreicht habe.«

Karin Olafson fiel nach vorne und fing sich mit ausgestreckten Armen in einer Art Niedrigschwerkraft-Liegestütz ab. Sie untersuchte die Leine dort, wo sie im Eis verschwand. Dann ging sie hinüber und wiederholte das Manöver an der anderen Leine. Anschließend drückte sie die Arme durch und stieß sich wieder in den Stand. »Sie haben Recht, man kann es nicht sagen. Wann ist es passiert?« Die Frage, in einem anderen Tonfall gesprochen, war offensichtlich nicht an Thorpe gerichtet.

Sofort ertönte Chen Ling Tsus gelehrtenhafte Stimme über InterKom. »Vor fünfundsiebzig Minuten.«

»Die Zeit wird knapp. Holen wir sie raus!«

John Malvan war bereits damit beschäftigt, lange Rohre aneinanderzufügen. Er arbeitete geschickt, trotz seines Handicaps. Als das Rohr zehn Meter lang war, trug er es zusammen mit einem Dreibein in die Kuhle. Das Dreibein war mit Explosivankern ausgerüstet, um es auf dem Kern zu befestigen, außerdem mit einem Antriebsmechanismus, der das lange Rohr packte und ins Eis hineintrieb. Malvan benötigte mehrere Versuche, bis er eine Stelle gefunden hatte, wo das Rohr tief eindringen würde. Als nur noch etwa ein Meter aus dem Eis hervorschaute, entfernte er das Dreibein und reichte es Karin Olafson. Malvan befestigte dann den Hochdruckschlauch an einem Anschlussstück am Rohrende. Thorpe versuchte zu helfen, stellte jedoch fest, dass seine Hände in den Handschuhen nutzlos waren. Sie begannen von der Wärme der Anzugheizung zu schmerzen.

Alle vier kletterten aus der Grube und trugen den Hochdrucktank im Spalt hundert Meter weiter.

»Achten Sie auf umherfliegende Trümmer!«, warnte Malvan, als er das Ventil des Lufttanks öffnete. Eine Weile geschah nichts. Dann beulte sich das Eis in einer langsamen Explosion rund um das vergrabene Rohr aus. Sie warteten, bis die größeren Stücke niedergegangen waren, bevor sie in den wogenden Nebel hineinrannten, der das Explosionszentrum verbarg.

»Hier ist einer!«, rief Cybil Barnard.