»Haben Sie noch etwas Konkreteres als ein Gefühl, worauf Sie Ihre Meinung gründen?«
»Das habe ich«, antwortete Blenham. »Ich habe meine Leute die vollständige Simulation eines Rückschlags zweiter Ordnung fahren lassen. Der resultierende Meinungsumschwung war zu vierzig Prozent negativ!«
Rund um den Tisch wurden mehrere leise Pfiffe ausgestoßen. Um vier von zehn Leuten dazu zu bringen, plötzlich ihre Meinung zu ändern, brauchte es für gewöhnlich ein Wunder. Auf der anderen Seite, bemerkte Constance Forbin, war dies genau das, womit sie konfrontiert waren!
Amber bewegte sich im Schlaf, sich undeutlich der Tatsache bewusst, dass etwas nicht stimmte. Sie befand sich in dem halb träumenden Zustand, der für die Zeit kurz vor dem Aufwachen charakteristisch ist, und schwelgte in dem friedlichen Gefühl, den er ihr vermittelte. Langsam, fast widerwillig gelangte sie zu vollem Bewusstsein und erkannte Cybil Barnard, die sich über sie gebeugt hatte.
»Hallo«, sagte die Ärztin. »Wie fühlen Sie sich?«
Amber streckte sich und stellte fest, dass ihre Muskeln merkwürdig schlaff waren. »Gut. Ich hatte gerade einen grauenhaften Traum …« In diesem Moment erkannte sie, was es bedeutete, dass die Ärztin bei ihr war. »Oh!«
»Ihnen ging es sehr schlecht«, sagte die Ärztin. »Sie waren anderthalb Stunden lang verschüttet.«
»Warum bin ich dann nicht tot? Ich erinnere mich, dass ich nach dem Eisrutsch aufgewacht bin und schrecklich gefroren habe. In neunzig Minuten müsste ich eigentlich steifgefroren sein.«
»Sie können sich bei der Eisschicht bedanken, die Sie eingekapselt hat. Offenbar hat sie Sie vom wirklich kalten Eis des Kerns isoliert. Ihr Anzug hat in einem fort Wärme nach außen gepumpt und Ihre Temperatur weit über dem Niveau gehalten, das Sie sonst erreicht hätten. Trotzdem stand es auf der Kippe. Ihre Arme und Beine waren beinahe durchgefroren, als wir Sie aus dem Anzug herausholten. Eine Weile fürchtete ich, wir müssten Sie wieder in den Kälteschlaf versetzen, bis wir zur Erde zurückkämen. Zum Glück waren die Dinge noch nicht so weit fortgeschritten. Ich konnte Sie mit der Bordausrüstung regenerieren.«
»Was ist mit Kyle? Hat er es überstanden?«
»Er war ebenfalls ziemlich durchgefroren, wenn auch nicht so schlimm wie Sie. Sein größeres Körpergewicht hat ihm geholfen, ebenso wie die Tatsache, dass sein Eisüberzug dicker war als Ihrer. Wir hatten aber noch einen weiteren Verunglückten.«
»Wen?«
»Unseren furchtlosen Anführer.«
Amber blinzelte überrascht und kämpfte darum, ihre Gefühle unter Kontrolle zu halten. »Thomas?«
»Er hat sich Erfrierungen zweiten Grades an seinen Fingern zugezogen. Der verdammte Narr hat Sie mit den Händen auszugraben versucht.«
»Wirklich?«
Die Ärztin nickte. »Er war als Erster zur Stelle. Als wir dazu kamen, bewegte er mit den Händen Eisblöcke, die größer waren als er selbst. Und er flennte wie ein Baby.«
»Das meinen Sie doch nicht im Ernst!«
»Ich beschwindele nie meine Patienten. Sie bedeuten ihm sehr viel. Sogar als wir Sie hierhergeschafft hatten, machte er sich noch zum Narren. Er hat mich stundenlang über Ihren Zustand ausgequetscht. Ich musste ihn schließlich aus der Krankenabteilung hinauswerfen, um überhaupt weiterarbeiten zu können.«
»Ist mit ihm jetzt wieder alles in Ordnung?«
Cybil lächelte. »Ihm fehlt nichts mehr, was Ihr Anblick nicht wieder heilen könnte. Aber ich möchte noch eine Reihe von Untersuchungen mit Ihnen durchführen, bis ich Sie Besuch empfangen lasse. Sie haben ganz schön was auszustehen gehabt.«
»Wann kann ich wieder zu arbeiten anfangen? Ich nehme an, auf mich wartet ein ganzer Stapel von Orbitalmessungen.«
»Keine Sorge. Crag hat Professor Chen zu der Orbitalbestimmung hinzugezogen. Er ist ziemlich gut darin. Was Ihre Wiederaufnahme der Arbeit betrifft, würde ich empfehlen, es eine Woche oder so langsam angehen zu lassen. Sie können im Schiff arbeiten, aber ich gebe sie erst für Bodenarbeiten frei, wenn ich Sie eine Weile beobachtet habe.«
»Aber die Erkundungsteams werden jeden brauchen. Wir müssen die Untersuchungen fertig haben, bevor die Materialtransporter starten. Wie sollen sie sonst wissen, was sie mitbringen müssen?«
Das Gesicht der Ärztin nahm einen seltsamen Ausdruck an, dann lächelte sie. »Stimmt ja, ich habe Ihnen noch nichts gesagt, oder?«
»Mir was gesagt?«
»Sie werden sich mit ein paar neuen Tatsachen vertraut machen müssen. Ich musste in Ihren Gliedmaßen ziemlich viele Zellen regenerieren. Da führte kein Weg dran vorbei. Die Frostschäden waren erheblich. Die Zellregeneration ist, gelinde gesagt, ein schmerzhafter Prozess. Ich wollte Ihnen die Qual ersparen, deshalb ließ ich sie bewusstlos. Sie waren sechs Wochen ohne Bewusstsein.«
Amber runzelte die Stirn. »Sechs Wochen?«
Cybil Barnard nickte. »Die Transporter sind vor einem Monat gestartet. In zwei Monaten werden sie hier sein. Sie sehen also, mit Ihrer Rekonvaleszenz hat es keine Eile.«
26
Tom Thorpe lag im Kontrollraum der Admiral Farragut und blickte zu den drei winzigen violett-weißen Lichtkugeln hoch, die sich auf der Panoramakuppel zeigten. Die Lichter waren die lodernden Triebwerke der drei Schwertransporter. Nach mehreren Monaten, während derer sie bei der Erkundung des Kometen auf sich gestellt gewesen waren, war die Expedition im Begriff, massive Unterstützung zu bekommen.
Die Admiral Farragut hatte für den Flug von der Erde bis zum Jupiter ein halbes Jahr gebraucht. Die drei Transporter hatten eine vergleichbare Strecke in der halben Zeit zurückgelegt. Sie hatten die Erde vor dreiundachtzig Tagen verlassen. Nachdem sie auf das mehr als Zwanzigfache der solaren Fluchtgeschwindigkeit beschleunigt hatten, hatten sie sich im freien Fall weitertreiben lassen. Als sie bis auf fünfundzwanzig Millionen Kilometer herangekommen waren, hatten sie mit dem Bremsmanöver begonnen und waren mehrere Millionen Kilometer vor Donnerschlag zum Stillstand gekommen. Nachdem sie sechshundert Millionen Kilometer zurückgelegt hatten, um den Kometen zu erreichen, flohen sie nun vor ihm.
Das Manöver war nicht so paradox, wie es sich anhörte. Wie Läufer bei einem Staffellauf, die den Stabträger näherkommen sahen, bewegten sich die Transporter in die gleiche Richtung wie der Komet, um sich von ihm einholen zu lassen. Sie hatten ihre Beschleunigung so ausgelegt, dass sie seine Geschwindigkeit genau in dem Moment erreicht haben würden, wenn sie Seite an Seite mit ihm flogen.
»Wie läuft es?«, fragte Amber, als sie in den Kontrollraum geschwebt kam.
Thorpe lächelte ihr zu und reichte ihr eine helfende Hand. Die babyhaft rosige Haut ihrer Handteller und gleichartige Flecken auf ihren Armen erinnerten ihn, wie nahe er darangewesen war, sie zu verlieren.
»Es läuft gut bei ihnen«, antwortete er, indem er sie auf die Andruckliege beförderte. »In ein paar Stunden werden sie hier sein.«
Amber blickte dorthin, wo die Abgasschweife der drei Schiffe nahe dem Zenit der Kuppel schwebten. Abgesehen von ihrer Helligkeit, sahen sie genauso aus wie planetarische Wolken.
»Kampiert Professor Barnard immer noch im Teleskopraum?«, fragte Thorpe.
»Immer noch. Ich habe ihm angeboten, ihn abzulösen, aber er wollte nichts davon wissen.«
»Wie sieht es aus?«
»Gut. Er summt sogar vor sich hin!«
Thorpe schüttelte verwundert den Kopf. »Einmal ein Wissenschaftler, immer ein Wissenschaftler.«