»Danke. Ich werd’s weitersagen. Wir werden zum Verankern der Bohrer sicherlich etwas anderes brauchen als Eis.«
»Es gibt hier zwei Gebirgszüge, die aus Gesteinsmaterial bestehen. Der eine liegt nur wenige Kilometer von hier entfernt.«
»Ich hab ihn beim Anflug gesehen. Ich werde mein Geologenteam rüberschicken, damit sie einen Blick darauf werfen. Jetzt muss ich mich aber an die Arbeit machen. Ich sehe Sie dann morgen um acht in unserer Befehlsbaracke. Die müsste sich dann ungefähr dort befinden, wo dieser kleine Hügel ist.«
An der ersten Einsatzbesprechung mit der Baubrigade nahmen sechs Mitglieder des Expeditionsteams teiclass="underline" Tom Thorpe, Chen Ling Tsu, Kyle Stormgaard, Leon Albright und Hilary Dorchester. Thorpe hatte Amber vorgeschlagen, mitzukommen, aber sie war zu einer der periodischen Positionsabstimmungen mit der Erde verdonnert worden. Es bestand kein Zweifel mehr daran, dass Donnerschlag am Morgen des 17. Juli 2087 die Erde treffen würde. Dennoch wurden die Arbeiten zur Verfeinerung der Flugbahnbestimmung des Kometen fortgesetzt. Zumindest würden sie dadurch eine exakte Standlinie erhalten, von der aus sie ihren Fortschritt messen konnten.
Als die sechs das Habitatmodul verließen, wurden sie vom Anblick einer kleinen Stadt begrüßt, wo zwölf Stunden zuvor noch keine gewesen war. Sämtliche Gebäude waren standardisierte Vakuum-Schutzräume – mit Atmosphäre ausgestattete Container, auf die ein feiner Wassernebel gesprüht worden war. Das Besprühen war noch im Gange, obwohl sich bereits eine mehrere Zentimeter dicke Eisschicht gebildet hatte. Das Eis ließ die Gebäude im Licht der geschrumpften Sonne glitzern.
Vor der Hauptschleuse entdeckten sie einen Wegweiser. Er wies nicht nur den Weg zu verschiedenen Vorratsdepots und Gebäuden, sondern es zeigte auch ein Pfeil gerade nach oben. Darauf stand: NEW YORK CITY, 600 MILLIONEN KILOMETER.
Die Expeditionsteilnehmer passierten die überdimensionale uftschleuse als Gruppe und fanden sich anschlie ßend in einem großen offenen Raum wieder, in dem sich Spind an Spind reihte. Sie streiften rasch ihre Anzüge ab und hängten sie auf. In den Spinden fanden sie Schnürpantoffeln mit Velcrosohlen. Die Unterkünfte waren mit Velcroteppichen ausgelegt, die einem die Illusion von Schwerkraft vermittelten. Es war ein seltsames Gefühl, steif über den Boden zu gehen, nachdem man so viele Monate lang von einem Punkt zum anderen geschossen war.
»Entschuldigen Sie«, sagte Thorpe zum ersten Monteur, der ihm über den Weg lief. »Wo befindet sich das Büro von Mr. Carlton?«
»Dritte Baracke rechts, Kumpel. Kurz bevor du da bist, siehst du ein Schild mit der Aufschrift ›Hauptquartier‹.« Der Mann verlangsamte kaum, während er die Auskunft erteilte, und eilte weiter in den Umkleideraum.
Sie fanden die Kommandobaracke ohne Probleme. Im Innern stießen sie auf Amos Carlton, der einem halben Dutzend von Arbeitsgruppen gleichzeitig Anweisungen erteilte. Wie Thorpe tags zuvor vermutet hatte, war Carlton jung und blond. Er schätzte das Alter des Vorarbeiters auf etwa dreißig. Thorpe lächelte, als er Hilary Dorchesters taxierenden Blick und den Antwortblick bemerkte, den Carlton in ihre Richtung schickte.
Thorpe stellte seine Begleiter Carlton vor, der sie in den nebenan gelegenen Konferenzraum geleitete. Dort öffnete sich ein großes Fenster nach draußen. Das Glas wurde elektrisch beheizt, um zu verhindern, dass der Sprühnebel über seinen dicken Scheiben gefror. Die beiden Module der Admiral Farragut waren auf dem Eis in einem halben Kilometer Entfernung zu erkennen. Thorpe dachte unwillkürlich, dass sie dort draußen schrecklich einsam wirkten.
»Tom Thorpe, darf ich Ihnen Walter Wassilowitsch vorstellen, den stellvertretenden Kommandeur …« Carlton ging um den Konferenztisch herum und stellte das halbe Dutzend Leute vor, das dort saß. Dann tat Thorpe das Gleiche für das Expeditionskontingent. Als die Vorstellungen vorüber waren, sagte Carlton: »Bitte nehmen Sie Platz. Es wird gleich Kaffee gebracht …«
»Sie haben Kaffee!«, rief Hilary ungläubig.
»Ja, natürlich. Könnte ohne nicht arbeiten.«
»Mit unseren gefriergetrockneten Vorräten war etwas nicht in Ordnung. Der Kaffee ist uns vor einem Monat ausgegangen.«
»Ich lasse Ihnen etwas hinüberbringen.«
»Würden Sie das tun? Ich wäre Ihnen wirklich sehr dankbar.«
»Lassen Sie uns nun mit der Arbeit anfangen. Mr. Thorpe, ich möchte, dass unsere Bohrer so bald wie möglich zum Einsatz kommen. Uns liegen natürlich die vorläufigen Karten vor. Gibt es etwas, das Sie dazu anmerken möchten?«
»Da ich nicht weiß, was man Ihnen gesagt hat, warum beginnen wir nicht am Anfang? Professor Chen ist unser Experte für die Entstehung der Kometen. Er wird berichten, was wir während unseres Aufenthalts hier herausgefunden haben. Unser Geologe, Leon Albright, wird ihn dabei unterstützen.«
Chen Ling Tsu entrollte die große topografische Übersichtskarte, die während der letzten Monate sein persönliches Anliegen gewesen war. Sie zeigte den Ground-Zero-Krater und seine Umgebung, sowie die zahlreichen Störungssysteme darunter. Auf der Karte waren zweiundzwanzig schwarze Kreuze. Neben jedem befand sich eine rätselhafte Anmerkung.
»Dies ist unsere Hauptkarte von diesem Gebiet. Wir haben sowohl die Oberflächenstrukturen wie auch das Störungssystem bis zu einer Tiefe von zwanzig Kilometern kartografisch erfasst. Die tektonische Aktivität des Kerns hat uns hierbei geholfen. Die andauernden Beben vermitteln uns ein ausgezeichnetes Bild dessen, was unter der Oberfläche verborgen ist.«
Chen deutete mit einer weit ausholenden Geste auf die Karte. »Was Sie hier sehen, ist der Schnappschuss eines Kataklysmus, der sich vor einer Milliarde Jahre zugetragen hat. Durch ihn wäre dieser Himmelskörper beinahe geborsten. Wir beabsichtigen, diesen Prozess zu vollenden. Die schwarzen Umrisse stellen die Oberflächenstrukturen dar, den Krater und das umgebende Spaltensystem. Die mehrfarbigen Linien kennzeichnen unterirdische Strukturen. Jede Höhenlinie repräsentiert einen Niveauunterschied von fünfhundert Metern. Beachten Sie, dass der Krater im Grunde ein großer, konischer Zapfen ist und genau genommen kein Teil der eigentlichen Asteroidenmasse. Wir werden diesen Zapfen in den Weltraum sprengen.«
»Und diese schwarzen Kreuze?«, fragte Carlton.
»Das sind die empfohlenen Bohrstellen«, antwortete Chen. »Die Anmerkungen geben die Tiefe der Bohrung und den Winkel an. Wir haben versucht, die Schwachpunkte des Störungssystems herauszupicken, außerdem die Orte, an denen mehrere Verwerfungen zusammentreffen. Die Bohrtiefen variieren zwischen drei und siebzehn Kilometern.«
Die Monteure vertieften sich in die Karte und stellten Fragen. Während Professor Chen sie beantwortete, kritzelten sie auf ihre elektronischen Notizbücher. Nach einer halben Stunde blickte Amos Carlton auf die Karte hinunter und sagte: »Das sieht alles ausgesprochen einfach aus. Beinahe zu schön, um wahr zu sein. Was haben Sie uns verschwiegen?«
Leon Albright räusperte sich. »Wir haben einige Bedenken, was die Festigkeit der Kruste betrifft. Wie Sie erkennen können, ist sie durch die Wucht des ursprünglichen Aufpralls vollkommen zerbrochen. Um einen ausreichend großen Brocken abzuspalten, ist große Sorgfalt bei der Platzierung unserer Sprengladungen geboten. Jegliche Explosionsenergie, die an die Oberfläche dringt, wird verschwendet sein.«
»Vielleicht sollten wir dann lieber irgendwo anders bohren.«
Professor Chen schüttelte den Kopf. »Das wäre zwecklos. Wir brauchen das Störungssystem, um den Dampf unter den Krater zu leiten. Wir brauchen ein großes Druckpolster, um den Krater in einem Stück herauszuschleudern. Glauben Sie mir, Mr. Carlton, wir analysieren dieses Problem jetzt seit vielen Monaten. Die hier ausgewiesenen Punkte sind die stabilsten, durch die wir noch Zugang zum Störungssystem bekommen.«
Walter Wassilowitsch deutete auf eine Ansammlung von Kreuzen. »Wir werden mit diesen Tiefbohrungen im Westen beginnen. Dafür brauchen wir die meiste Zeit.«