Von Stiller und der Admiral gelangten zum Eingang, vor dem zwei Polizisten Wache hielten. Sie zeigten ihre Ausweise vor und wurden hineingeleitet. Sie fanden John Hobart und einen engen Beraterkreis um einen Konferenztisch versammelt vor. Zwei Plätze dem Premierminister gegenüber waren frei geblieben.
»Willkommen, Sir«, sagte der Premierminister, indem er sich von seinem Platz hinter dem Tisch erhob. Er sah abgezehrt aus, aber seine Stimme war fest.
»Bürger remierminister«, grüßte von Stiller mit einer knappen Verbeugung. »Darf ich Ihnen Admiral Sutu Praestowik Suvanavum von der Friedenstruppe vorstellen?«
»Admiral Suvanavum«, sagte der Premierminister. »Wir haben die Ankunft Ihres Schiffes mit besonderem Interesse zur Kenntnis genommen. Ich hoffe, seine Anwesenheit bedeutet keine schlechten Nachrichten.«
»Es ist nicht unsere Absicht, Luna zu provozieren, remierminister«, erwiderte der Australasier. »Die Avenger war lediglich die schnellste Möglichkeit für mich, zu diesem Treffen nach Luna zu kommen.«
Hobart nickte und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf von Stiller. »Was haben Sie für uns, Herr Botschafter?«
»Ich wurde beauftragt, Ihnen dies hier auszuhändigen«, antwortete der Europäer, indem er eine versiegelte diplomatische Note aus seiner Kuriertasche holte. Die Note war ihm eine Stunde zuvor von General Suvanavum persönlich überreicht worden. Von Stiller reichte sie dem Premierminister.
Hobart nahm das dünne Bündel Papier und begann zu lesen. Seine Fortschritte waren an seinem Gesichtsausdruck abzulesen. Gegen Ende der ersten Seite hatten sich seine Ohren zu röten begonnen. Nach der zweiten hatte sein Gesicht eine bedrohliche Färbung angenommen. Nach der dritten begann von Stiller sich zu sorgen, dass Hobart ein Blutgefäß platzen könnte.
»Was soll dieser Quatsch bedeuten?«, fragte der Premierminister mit rauer Stimme, als er fertig war.
»Meine Regierung hat mich beauftragt, Ihnen diese Note zu überbringen, Bürger Premierminister. Sie gibt die übereinstimmende Meinung aller größeren Nationen der Erde wieder. Die Nationen glauben, es läge in ihrem vitalen Interesse, dass mit den Maßnahmen zur Verlagerung des Asteroiden Avalon augenblicklich begonnen wird. Allen nterventionsversuchen seitens Lunas wird mit militärischen Aktionen begegnet werden.«
»Dann haben Sie also beschlossen, Luna dem Kometen zu opfern!«
»Nein, Sir. Wir glauben nur, dass es klug ist, uns alle Optionen offen zu halten. Ich bin gebeten worden, Ihnen ausdrücklich zu versichern, dass wir für den Fall, es ergibt sich irgendeine praktikable Alternative, alle Maßnahmen hinsichtlich Avalon augenblicklich einstellen werden. Ich möchte klarstellen, dass Avalon bis eine Woche vor dem Zusammenstoß jederzeit wieder aus der Flugbahn des Kometen herausgebracht werden kann.
Außerdem wurde ich autorisiert, Gespräche hinsichtlich der Evakuierung von Luna einzuleiten. Hierbei handelt es sich ebenfalls um eine Vorsichtsmaßnahme. Die Erde wird weder Kosten noch Mühen scheuen, um sicherzustellen, dass kein Lunarier Schaden erleidet, falls es sich als notwendig erweisen sollte, Donnerschlag auf Farside abzulenken.«
Als von Stiller geendet hatte, herrschte langes Schweigen. Es wurde von Alex Sturdevant gebrochen, Hobarts Chefberater und einer der engsten Freunde von Stiller auf Luna. »Ich glaube, deine Vorgesetzten auf der Erde haben unsere Entschlossenheit nicht begriffen, Willy.«
»Ich versichere dir, Alex, dass sie es tun. Ich flehe Sie an, die tiefe Verantwortung anzuerkennen, aus der heraus wir handeln.«
»Ein Dutzend unserer Schiffe sind bereit, nach Avalon zu starten, Admiral«, sagte Sturdevant und wandte seine Aufmerksamkeit dem Begleiter Sturdevants zu. »Wie viele haben Sie aufzubieten?«
»Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind zwei unserer Kriegsschiffe im Erde-Mond-System einsatzbereit. Wir haben sechs weitere in Rückrufweite. Sie können innerhalb eines Monats hier eintreffen.«
»Ziemlich verstreut, nicht wahr?«, fragte Harold Barnes.
»Ja«, stimmte Admiral Suvanavum zu. »Die Friedenstruppe war nie eine Militärmacht im herkömmlichen Sinn. Wir sind eher eine Polizeitruppe, die auf Abruf bereitsteht.«
»Eines dieser Schiffe ist die Avenger, die sich innerhalb der Reichweite unserer Bodenwaffen befindet, Admiral. Wir könnten sie innerhalb von Sekunden herunterschie ßen. Dann bliebe Ihnen nur noch ein einziges einsatzfähiges Kriegsschiff im Erde-Mond-System.«
»Das ist richtig.«
»Wie, zum Teufel, wollen Sie uns dann mit einem einzigen Schiff auf Avalon schlagen?«
»Wir haben nicht vor, es zu versuchen«, erwiderte Suvanavum geschäftsmäßig. »Wenn Sie beim Asteroiden intervenieren, dann habe ich Anweisung, Luna City zu bombardieren.«
»Das würden Sie nicht tun!«
»Doch«, erwiderte von Stiller grimmig, »das würden wir. Wir sprechen hier über das Überleben der Menschheit, meine Herren. Und eins kann ich Ihnen versichern: Luna wird die Erde nicht überdauern. Wenn Sie uns die einzige Möglichkeit, die Erde zu retten, zunichtemachen, dann lassen wir Sie mit uns untergehen.«
»Vielleicht sollten wir die Hälfte unserer Schiffe hierbehalten, um der armseligen Streitmacht des Admirals zu trotzen.«
»Das wird Ihnen nichts helfen, Bürger«, erwiderte Suvanavum. »Der Systemrat hat diejenigen Nationen, die noch über Nuklearwaffen verfügen, darum gebeten, ihre weitreichenden Abschusssysteme auf Luna auszurichten. Es gibt mehr als genug Sprengköpfe, um Ihre Abwehr zu durchdringen. Seien Sie versichert, dass die Erde bei jeder Art von useinandersetzung die Vorteile auf ihrer Seite hat. Vergeltung zu üben ist die einfachste aller militärischen Operationen.«
»Würden Sie uns wirklich bombardieren?«, fragte Hobart. Während der letzten Minuten, als ihm die Implikationen dessen, womit die Erde drohte, aufgegangen waren, hatte sich seine Gesichtsfarbe von rot zu aschfahl verändert.
»Nur wenn Sie uns dazu zwingen«, erwiderte von Stiller. »Wir haben weder die Absicht, einen Völkermord zu verüben, Premierminister, noch beabsichtigen wir zu sterben. Wenn die einzige Möglichkeit, den Kometen aufzuhalten, darin besteht, dass wir ihm mit Luna den Weg versperren, dann werden wir das tun. Wir würden es vorziehen, wenn dabei keiner sterben müsste. Unser Angebot steht. Wir werden die Avalon-Option nur als letzte Möglichkeit nutzen und, falls nötig, jeden einzelnen Lunarier evakuieren und zur Erde umsiedeln.«
Von Stiller blickte sich am Tisch um. »Die Entscheidung liegt bei Ihnen, meine Herren. Wir können zusammenarbeiten, oder wir können kämpfen. Wenn Sie mit uns kooperieren, finden wir gemeinsam vielleicht eine bessere Lösung. Falls nicht, wird zumindest die Menschheit gerettet, die zehn Millionen Einwohner Lunas eingeschlossen. Es wird unbequem für Sie sein, aber es braucht niemand zu sterben.
Wenn Sie sich für den Kampf entscheiden, dann stirbt die Erde beim Zusammenstoß mit dem Kometen, und Luna stirbt unter einem Bombenhagel. Ich biete Ihnen das Leben an oder den Tod. Die Entscheidung liegt ganz bei Ihnen.«
Wie John Hobart schlief auch Constance Forbin neuerdings schlecht. Das Gleiche galt für die meisten der erantwortlichen auf der Erde. Die Nationen dazu zu bringen, sich auf eine gemeinsame Antwort auf das Ultimatum Lunas zu einigen, hatte einen sehr großen Kraftaufwand erfordert. Erst nachdem mehrere Länder gedroht hatten, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, war eine Verständigung zustande gekommen.
Es war Constance Forbins Idee gewesen, ihre Forderungen durch einen Kreuzer der Friedenstruppe überbringen zu lassen. Eine Flotte wäre ihr lieber gewesen, aber es gab keine. Kanonenbootpolitik als Mittel der Staatskunst hatte man lange Zeit missbilligt. Aber manchmal war sie offenbar unumgänglich.